Welchen Beweiswert haben Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und unter welchen Voraussetzungen können diese angezweifelt werden?

Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 8. September 2021 (5 AZR 149/21) das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hannover (Urteil vom 13. Oktober 2000 – 10 Sa 619/19) zugunsten des klagenden Arbeitgebers insoweit aufgehoben, als dieser geltend machte, dass die vom Arbeitnehmer vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur zum Schein ausgestellt worden sei.

Diese bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Kündigung immer wieder aufkommende Frage, inwieweit sich der gekündigte oder kündigende Arbeitnehmer nicht durch eine vorgeschobene Krankschreibung Vorteile sowohl bezüglich der Entgeltfortzahlung als auch regelmäßig der Abgeltung von Urlaubsansprüchen verschafft, ist häufig dann besonders relevant, wenn dies bei längeren Kündigungsfristen zu deutlichen Zahlungsansprüchen führt.

Sachverhalt

Der Arbeitnehmer legte unmittelbar nach (Eigen-) Kündigung eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit der Diagnose „sonstige und nicht näher bezeichnete Bauchschmerzen“ für die restliche Dauer seiner Beschäftigung (14 Tage) vor. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung war unstreitig ordnungsgemäß. Allerdings berief sich der Arbeitgeber darauf, dass der Arbeitnehmer noch am Tage der Kündigung im Gespräch mit einem Kollegen seine Erkrankung nicht erwähnt habe. Auch habe er sich dahingehend geäußert, er sehe in der Beschäftigung im Betrieb keinen weiteren Sinn. Der Arbeitgeber verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, dass deshalb der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sei, auch weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach Eigenkündigung des Klägers abdecke.

Entscheidung

Im Wortlaut liegt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zwar noch nicht vor, jedoch ist der Pressemitteilung des Gerichts vom 8. September 2021 schon Wesentliches ist zu entnehmen. Danach kann der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Arbeitnehmers, der sein Arbeitsverhältnis kündigt, erschüttert sein, wenn er am Tage der Kündigung arbeitsunfähig geschrieben wird und die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst.

Zwar handle es sich bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung um das gesetzlich vorgesehene Beweismittel, sodass an die Erschütterung des Beweiswertes hohe Anforderungen zu stellen seien. Kann der Arbeitgeber aber tatsächliche Umstände darlegen und im Zweifel beweisen, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit begründen, so obliegt es dem Arbeitnehmer, den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit zu erbringen. Die Vernehmung des behandelnden Arztes ist hierbei ein geeignetes und ausreichendes Mittel, diesen Nachweis zu erbringen.

Fazit

Das Arbeitsgericht ist bei seiner Entscheidung, dessen Gründe noch nicht vorliegen, nicht erkennbar von den bisherigen Anforderungen bei der Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers abgewichen. Das Gericht hat auf die Besonderheiten des Einzelfalles abgestellt. Das zeitliche Zusammenfallen der Eigenkündigung mit der Arbeitsunfähigkeit für sich genommen war ganz offensichtlich noch kein Grund, an der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeit zu zweifeln. Hinzu kamen weitere Umstände, nämlich die Tatsache, dass der Arbeitnehmer gegenüber anderen Mitarbeitern seine Erkrankung nicht erwähnte und die Art der Erkrankung nicht zwingend eine Arbeitsunfähigkeit von 14 Tagen nahelegte. Des Weiteren legte die passgenaue Übereinstimmung des Kündigungszeitraumes mit der Arbeitsunfähigkeit zumindest den Zweifel nahe, dass diese nur vorgeschoben sein könnte.

Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles hielt das Arbeitsgericht den Arbeitnehmer bezüglich seiner Arbeitsunfähigkeit für nachweispflichtig, das heißt für darlegungs- und beweisbelastet bezüglich seiner Erkrankung. Der behandelnde Arzt war daher vom Arbeitnehmer von der Schweigepflicht zu entbinden, worauf das Gericht hinwies, der Arbeitnehmer dem jedoch nicht nachkam, sodass zugunsten des Arbeitgebers zu entscheiden war.

Praxistipp

In vergleichbaren Fällen, bei denen sich ein Arbeitnehmer nach Kündigung durch den Arbeitgeber oder im Falle der Eigenkündigung innerhalb der Kündigungsfrist krank meldet und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt, ist nach wie vor grundsätzlich davon auszugehen, dass dies in der Regel ausreichend ist. Auch wenn die Vermutung besteht, die Bescheinigung könnte nur vorgeschoben sein, sind an den Nachweis dieser Vermutung hohe Anforderungen stellen.

Hat der Arbeitgeber berechtigte Zweifel, muss er in jedem Falle den konkreten Sachverhalt ermitteln und anhand von Dokumenten oder Zeugen belegen können. Auch muss sich die konkrete Situation so darstellen, dass bei Abwägung aller Umstände ernsthafte und belegbare Zweifel bestehen, welche das Gericht veranlassen, eine Überprüfung des Nachweises der Arbeitsunfähigkeit insbesondere durch Einvernahme des behandelnden Arztes unter Befreiung von seiner Schweigepflicht als erforderlich anzusehen.

Da es bei der grundsätzlichen Einschätzung, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als zunächst zutreffend anzusehen ist, bleibt, empfiehlt es sich – soweit sich hierfür Anlass und Möglichkeit bietet –, vorzugsweise eine einvernehmliche Lösung bei Ausscheiden eines Arbeitnehmers zu suchen.

Da das Urteil des Gerichts mit seinen tragenden Gründen noch nicht vorliegt, bleibt abzuwarten, ob sich hieraus weitere Überlegungen ableiten lassen.

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Autor

Volker Backs, LL. M.
Tel: +49 351 45 15 2238

   

Dies ist ein Beitrag aus unserem Newsletter „Menschen im Unternehmen“ 2-2021. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.