Update zur BFH-Rechtsprechung zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Säumniszuschlägen

Beim Bundesfinanzhof (BFH) wird weiterhin über die Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Säumniszuschlägen diskutiert. Allerdings fallen die Entscheidungen der einzelnen Senate erneut uneinheitlich aus.

Während der V. und X. Senat bei summarischer Prüfung im Eilverfahren (Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung) der Auffassung des VII. Senats folgen, wonach die Höhe der Säumniszuschläge von 1 % pro Monat bzw. 12 % pro Jahr auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau keinen Verstoß gegen das Grundgesetz darstellt (siehe unseren zweiten Steuernewsletter 2023), bestehen für den VIII. Senat ebenfalls im Eilverfahren nach wie vor ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge.

Hintergrund

Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 8. Juli 2021 entschieden hatte, dass ein Zinssatz von 0,5 % pro Monat für Steuernachforderungen/-erstattungen für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 verfassungswidrig ist (siehe unsere Mandanteninformation und dritter Steuernewsletter 2021), wurde auch vermehrt die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge hinterfragt, soweit Säumniszuschlägen eine zinsähnliche Funktion zukommt. In Eilverfahren kamen die einzelnen Senate des BFH bisher zu unterschiedlichen Entscheidungen.

Uneinigkeit zwischen den einzelnen Senaten des BFH

Während der III., V. VII. und VIII. Senat vorläufigen Rechtsschutz wegen ernstlicher verfassungsrechtlicher Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge gewährten, bestehen für den VI. Senat keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge (siehe unseren vierten Steuernewsletter 2022).

Abweichend von seiner bisherigen Auffassung hatte sich der VII. Senat in zwei Hauptsacheverfahren abschließend auch für eine Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge ausgesprochen. Der X. Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen und geht mit seinem Beschluss vom 13. September 2023 (X B 52/23) ebenfalls von einer Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge aus.

Demgegenüber hat der VIII. Senat in seinem Beschluss vom 22. September 2023 (VIII B 64/22) bei einer überschlägigen Prüfung im Eilverfahren weiterhin ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge, soweit sie die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung der fälligen Steuern haben. Zur Darlegung der zinsähnlichen Funktion nimmt der VIII. Senat zwar Bezug auf eines der oben erwähnten Urteile des VII. Senats (VII R 21/22). Allerdings setzt sich der VIII. Senat erstaunlicherweise nicht damit auseinander, dass der VII. Senat in diesem Urteil aber Säumniszuschläge von 12 % pro Jahr für verfassungsgemäß hält. Für den VIII. Senat steht die Tatsache, dass Säumniszuschläge auch die Funktion eines Druckmittels haben, das den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Zahlung fälliger Steuern anhalten, also verhaltenslenkend wirken und zugleich entstandenen Verwaltungsaufwand ausgleichen soll, der Annahme ernstlicher Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge nicht entgegen. Da es keine Teilverfassungswidrigkeit für einen bestimmten Zweck einer Norm gibt, hatten die ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des zinsähnlichen Anteils in den Säumniszuschlägen zur Folge, dass für den VIII. Senat die streitgegenständlichen Säumniszuschläge in voller Höhe von der Vollziehung auszusetzen waren. Durch diesen Beschluss des VIII. Senats gab es jedoch nur kurzzeitig wieder Hoffnung für diejenigen Steuerpflichtigen, die auf eine Minderung der Säumniszuschläge hoffen.

Denn nun ändert auch der V. Senat seine bisherige Auffassung (siehe unseren
dritten Steuernewsletter 2022) und schließt sich in seinem Beschluss vom 16. Oktober 2023 (V B 49/22) – auch unter Berücksichtigung des oben genannten Beschlusses des VIII. Senats – den Entscheidungen des VII. Senats an und sieht keine ernstlichen Zweifel mehr an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge.

Bedeutung für die Praxis

Die Rechtslage ist leider weiterhin unübersichtlich. Der Beschluss des VIII. Senats des BFH verdeutlicht, dass zwischen den einzelnen Senaten des BFH zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Säumniszuschlägen trotz der eingangs erwähnten Urteile des VII. Senats nach wie vor Uneinigkeit besteht. Andererseits zeigen die Beschlüsse des V. und X. Senats, dass sich die Erfolgsaussichten für eine Minderung der Höhe der Säumniszuschläge verringern. Für das derzeit beim BFH anhängige Hauptsacheverfahren des X. Senats (X R 30/21) ist tendenziell zu erwarten, dass die Entscheidung die Höhe der Säumniszuschläge nicht beanstanden wird. Sollte es in der Hauptsache noch zu einer vom VII. Senat abweichenden Entscheidung kommen, würde die Anrufung des Großen Senats des BFH erforderlich werden, um zu einer einheitlichen Rechtsprechung in dieser Frage zu gelangen. Bis zur endgültigen Klärung der Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Säumniszuschlägen durch das BVerfG sollte im Falle der Geltendmachung von Säumniszuschlägen in Höhe von 1 % monatlich durch das Finanzamt somit weiterhin vorsorglich ein Abrechnungsbescheid beantragt werden, gegen den man dann Einspruch einlegen muss, um sich eine Handlungsmöglichkeit gegen die Säumniszuschläge offenzuhalten. Hierbei sollte auch das Ruhen der Einspruchsverfahren mit Hinweis auf das oben genannte beim BFH anhängige Hauptsacheverfahren (X R 30/21) sowie den Beschluss des VIII. Senats des BFH vom 22. September 2023 (VIII B 64/22) beantragt werden.

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 4/2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.