Bindungswirkung von Wertfeststellungsbescheiden bei der Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe

(BFH, Urteil vom 26. Juli 2023, II R 35/21)
Ein gesondert festgestellter Grundbesitzwert entfaltet für alle Schenkungsteuerbescheide, bei denen er in die steuerliche Bemessungsgrundlage einfließt, Bindungswirkung, auch wenn er materiell falsch sein sollte. Dies gilt auch für die Berücksichtigung eines früheren Erwerbs nach § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG.

Hintergrund

Der Kläger hatte von seinem Vater einen hälftigen Miteigentumsanteil an einem (unbebauten) Grundstück geschenkt bekommen. Der steuerliche Wert des auf den Kläger übertragenen Anteils wurde in einem Wertfeststellungsbescheid mit 87.392 € festgesetzt, sodass die Schenkung wegen des Freibetrages steuerfrei blieb. Der Wertfeststellungsbescheid wurde bestandskräftig. Ein Jahr später erhielt der Kläger von seinem Vater unentgeltlich 400.000 € durch einen Forderungsverzicht zugewendet. Das Finanzamt setzte nun in einem Bescheid Schenkungssteuer in Höhe von 9.603 € fest. Berücksichtigt wurde hier als gemäß § 14 ErbStG mit zu besteuernder Vorerwerb die Schenkung des Miteigentumsanteils. Nach § 14 ErbStG sind alle unentgeltlichen Erwerbe, die ein Erwerber von der gleichen Person erhält, als ein Gesamterwerb zu addieren und zu besteuern. Für einzelne Vorerwerbe bereits gezahlte Schenkungsteuer wird dabei angerechnet.

Gegen den Schenkungsteuerbescheid ging der Kläger mit Einspruch und Klage erfolglos vor. Er führte dabei an, dass der ermittelte Grundbesitzwert im Wertfeststellungsbescheid zu hoch und damit falsch und folglich auch der spätere Schenkungsteuerbescheid nicht korrekt sei. Im Schenkungsteuerbescheid müsse der materiell-rechtlich zutreffende geringere Wert des Grundstücks einbezogen werden.

Mit der Revision vor dem BFH machte der Kläger eine Verletzung von § 14 Abs. 1 ErbStG geltend. Er führt dabei an, dass bei der Zusammenrechnung mehrerer innerhalb von zehn Jahren von derselben Person erfolgter Vermögenserwerbe bei der Besteuerung des letzten Erwerbs die früheren, steuerlich zu berücksichtigenden Erwerbe mit ihren richtigen Werten anzusetzen seien und nicht mit falschen Werten. Aus Klägersicht würde dagegen auch nicht die Bestandskraft des Wertfeststellungsbescheids für den Miteigentumsteil an dem Grundstück sprechen.

Entscheidungsgründe des BFH

Dieser Ansicht des Klägers folgte der BFH nicht. Der bestandskräftig festgestellte Wert für den Miteigentumsteil an dem Grundstück wurde zu Recht auch der Schenkungsteuerfestsetzung anlässlich des Forderungsverzichts zugrunde gelegt.

Zwar ist es richtig, dass der materiell-rechtlich zutreffende Wert des Vorerwerbs bei der Zusammenrechnung nach § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG hinzuzurechnen ist, und das auch dann, wenn bei der vorherigen Steuerfestsetzung des Vorerwerbs ein materiell-rechtlich nicht zutreffender Wert berücksichtigt wurde oder gar keine Steuerfestsetzung für den Vorerwerb erfolgt ist. Jedoch sind die verfahrensrechtlichen Besonderheiten für die Feststellung des Grundbesitzwerts zu beachten. Entscheidend ist, dass es sich bei Bescheiden, die gemäß § 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BewG den Grundbesitzwert für die Schenkungsteuer feststellen, um bindende Grundlagenbescheide im Sinne des § 182 Abs. 1 S. 1 AO für alle nachfolgenden Schenkungsteuerbescheide (bei denen der Grundbesitzwert als Erwerb oder Vorerwerb zu berücksichtigen ist) handelt.

Einwendungen müssen im Feststellungsverfahren geltend gemacht werden und können nicht gegen einen Schenkungsteuerbescheid als Folgebescheid angeführt werden, selbst dann nicht, wenn der Wertfeststellungsbescheid noch nicht unanfechtbar geworden ist. Auch dann muss gegen den Wertfeststellungsbescheid Einspruch eingelegt werden.

Fazit/Bedeutung für die Praxis

Der BFH klärt mit diesem Urteil eine noch offene Frage. Es ist grundsätzlich so, dass die einzelnen Erwerbe bei der Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe innerhalb eines Zehnjahreszeitraums (im Bereich der Erb- und Schenkungsteuer) zu einem Gesamterwerb selbstständig bleiben und folglich die früheren Erwerbe zwar späteren Erwerben hinzugerechnet werden, es sich jedoch bei jeder Zurechnung früherer Werte um den materiell richtigen Wert handeln muss. Ungeklärt war bislang, ob dieses Prinzip auch gilt, wenn der Wert eines Vorerwerbs in einem eigenständigen Wertfeststellungsbescheid gesondert festgestellt wurde. Abzuwägen war, ob in solchen Fällen das Interesse daran, den materiell richtigen Wert zu berücksichtigen, höherwertig ist als der formale Aspekt, dass sich der Wert eines Vorerwerbs aus einem Wertfeststellungsbescheid ergibt. Der BFH hat entschieden, dass der formale Aspekt überwiegt. Jeder Bescheid trifft eine verbindliche Entscheidung über seinen Inhalt. Ist man damit nicht einverstanden, muss sich der Adressat gegen diesen Bescheid wenden. Macht der Adressat das nicht, wird auch ein fehlerhafter Inhalt verbindlich.

Diese BFH-Entscheidung über die Feststellung von Grundbesitzwerten (nach § 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BewG) hat auch Relevanz für die gesonderte Feststellung des Werts von Betriebsvermögen (§ 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i. V. m §§ 95–97 BewG), von Anteilen an Kapitalgesellschaften (§ 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i. V. m § 11 Abs. 2 BewG) und des anteiligen Werts an sonstigen Vermögensgegenständen, die mehreren Personen zustehen (§ 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BewG).

Der BFH-Fall macht deutlich, dass man bei jedem Bescheid unbedingt die inhaltliche Richtigkeit prüfen muss, auch wenn der Bescheid, wie in dem BFH-Fall, zunächst keine Steuern auslöst. Nur so kann man die spätere Einbeziehung der Werte aus fehlerhaften Wertfeststellungsbescheiden verhindern, da das Verfahrensrecht Vorrang vor dem Aspekt der materiellen Richtigkeit hat. Die Bindungswirkung der Wertfeststellungsbescheide gilt übrigens in beide Richtungen. Ergibt sich aus einem Wertfeststellungsbescheid ein zu niedriger Wert, weil das Finanzamt bei der Festsetzung einen Fehler gemacht hat, ist auch dieser für den Steuerpflichtigen und für die Finanzverwaltung verbindlich.

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