FG Münster und FG Berlin-Brandenburg – Anwendbarkeit der Drei-Tage-Fiktion zur Bekanntgabe von Verwaltungsakten

Im Urteil vom 11. Mai 2023 hat das FG Münster – 8 K 520/22 E – entschieden, dass die Drei-Tage-Fiktion des § 122 Abs. 2 AO für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten durch Postversand auch dann Anwendung findet, wenn nach dem Tag der Absendung zwei aufeinanderfolgende zustellfreie Tage folgen. Demgegenüber vertritt das FG Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 24. August 2022 – 7 K 7045/20 – die gegenteilige Auffassung: dass die Drei-Tage-Fiktion in solchen Fällen nicht zur Anwendung kommt.

Hintergrund

Ein schriftlicher Verwaltungsakt gilt bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn dieser tatsächlich nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO). In Zweifelsfällen hat die zuständige Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und dessen Zeitpunkt nachzuweisen.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist maßgebend, wann der Verwaltungsakt bei Übersendung mit einem einfachen Brief tatsächlich zur Post aufgegeben worden ist.

Das FG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 24. August 2022 (Revision anhängig beim BFH – VI R 18/22) zur Anwendbarkeit der Drei-Tage-Fiktion ausgesprochen, dass diese bei planmäßigen aufeinanderfolgenden zwei zustellfreien Tagen keine Anwendung findet. Begründet wird dies damit, dass die Regelung in Anlehnung an eine sechstägige Arbeitswoche der Deutschen Post eingefügt wurde.

Nun musste auch das FG Münster die Anwendbarkeit der Drei-Tage-Fiktion in Bezug auf die Verfristung eines Einspruchs prüfen. Dem Sachverhalt zufolge hat der Sachbearbeiter des Finanzamtes den Bescheid am Donnerstag für die Weitergabe an einen privaten Postdienstleister intern bearbeitet. Der Bescheid wurde als einfacher Brief an den privaten Postdienstleister zur Zustellung am Freitag weitergegeben. Am Samstag erfolgte keine Postzustellung an den Prozessbevollmächtigten, da der private Postdienstleister planmäßig keine Sendungen an diesen Tagen in einem Gewerbegebiet zustellt. Im Ergebnis ging das Gericht davon aus, dass die Bekanntgabe an dem darauffolgenden Montag erfolgte, obwohl der Steuerpflichtige bzw. der Prozessbevollmächtigte eine spätere Zustellung des Briefes bzw. des Bescheides behauptete.

Das FG Münster kam – entgegen der Auffassung des FG Berlin-Brandenburg in einem ähnlichen Sachverhalt – zu dem Ergebnis, dass die Drei-Tage-Fiktion anwendbar sei, obwohl feststand, dass nach Weitergabe zur Zustellung zwei aufeinanderfolgende zustellfreie Tage lagen.

Kernaussage des FG Münster

Nach der Rechtsprechung des BFH kommt als Nachweis in Bezug auf die zeitgemäße Aufgabe zur Post der betreffende Briefumschlag mit dem sich darauf befindlichen Poststempel in Betracht. Anerkannt ist auch, dass es aufgrund der Beweisverteilung in § 122 Abs. 2 Hs. 2 AO genügt, wenn der Steuerpflichtige substanziiert Zweifel an der Anwendbarkeit der Drei-Tage-Fiktion weckt.

Im entschiedenen Fall hielt das FG Münster die erbrachten Nachweise des Finanzamtes (Ausdruck der „Dokumenteneigenschaften“ aus der elektronischen Akte sowie Screenshots des Sachbearbeiters) sowie des privaten Postdienstleisters (Unterlagen mit den Sendungsdetails) für ausreichend. Bei fehlenden genauen Anhaltspunkten hat das Gericht nach seiner freien Überzeugung selbst zu beurteilen, ob eine rechtzeitige Absendung stattfand oder nicht. Nach Betrachtung der vorgelegten Nachweise entschied das FG Münster, dass die Tatsache der späteren Zustellung des Briefes mit dem Bescheid vom Steuerpflichtigen nicht substanziiert dargelegt wurde. Auch die Aussagen bzw. anwaltliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten seien nicht ausreichend, wenn objektive Beweismittel zur Verfügung stehen. Solche sah das Gericht in den vorgelegten bzw. vorgebrachten Nachweisen des Finanzamtes und des privaten Postdienstleisters.

Des Weiteren bestätigte das Gericht auch die Auffassung, dass selbst eine generelle Unzuverlässigkeit des Postdienstleisters keine Zweifel an der Zugangsvermutung des Verwaltungsaktes begründen würde. Allerdings führte das FG Münster zusätzlich aus, dass der Steuerpflichtige den späteren Erhalt der Sendung umgehend beim Finanzamt schriftlich oder telefonisch (durch Erstellung eines Gesprächsvermerks) anzeigen könnte.

Gegen das Urteil des FG Münster wurde Revision beim BFH – VI R 6/23 – eingelegt. 

Bedeutung für die Praxis

Für die Rechtzeitigkeit von strengen fristgebundenen Rechtsmitteln ist der Zugang der Verwaltungsakte, zumeist Steuerbescheide, entscheidend. Im entschiedenen Fall vertritt das FG Münster eine gegenteilige Auffassung zum FG Berlin-Brandenburg. Das ist für die Praxis mehr als misslich und sorgt für erhebliche Rechtsunsicherheit. Des Weiteren wird die Rechtslage dadurch verkompliziert, dass laut dem FG Münster neben den vorgebrachten Anhaltspunkten für einen späteren Zugang der Steuerbescheide die Tatsache der Nichtzustellung an zwei aufeinanderfolgenden Tagen für die Nichtanwendbarkeit der Drei-Tage-Fiktion nicht ausreichend ist. Man wird in der Praxis also vorsorglich die strengere Auffassung des FG Münster zugrunde legen müssen, um keinesfalls eine Einspruchs- oder Klagefrist zu versäumen.

In der Rechtsfrage, ob die Zugangsvermutung gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO auch dann Anwendung findet, wenn innerhalb der Drei-Tage-Frist an einem Werktag regelmäßig keine Postzustellung stattfindet – derzeit beim BFH im Rahmen der Revisionen VI R 18/22 und VI R 6/23 anhängig –, wird nun hoffentlich der BFH für Rechtssicherheit sorgen. Bis dahin sollte man die strengere Auffassung des FG Münster beherzigen.

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