Kein Gestaltungsmissbrauch bei unentgeltlicher Zuwendung eines befristeten Nießbrauchrechts an minderjährige Kinder

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 20. Juni 2023 (IX R 8/22) über die Frage entschieden, ob die unentgeltliche Zuwendung des Nießbrauchs an einem vermieteten Grundstück von den Eltern an ihre minderjährigen Kinder steuerlich anzuerkennen ist, mit der Folge, dass die Vermietungseinkünfte nach § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG den minderjährigen Kindern persönlich zuzurechnen sind. Nach der Entscheidung des BFH liegt kein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO vor. Diese Entscheidung eröffnet Möglichkeiten zur Verlagerung von Einkünften an Kinder anstelle von Unterhaltszahlungen.

Sachverhalt

Das im Eigentum der Eltern der Kläger stehende bebaute Gewerbegrundstück wurde seit 2015 mit einem befristeten Mietvertrag an eine GmbH vermietet. In den Streitjahren waren 2016 der Vater und 2017 die Mutter Alleingesellschafter der GmbH. Mit notariellem Vertrag vom 29. Juli 2016 räumten die Eltern ihren beiden minderjährigen Kindern einen befristeten unentgeltlichen Nießbrauch an der Immobilie ein. Der Vater stimmte dem Vermieterwechsel im Namen der GmbH zu. Das Finanzamt rechnete die Vermietungseinkünfte nach § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG trotz des zivilrechtlich wirksam eingeräumten Nießbrauchs nicht den Kindern, sondern deren Eltern zu.

Hintergrund

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH vom 18. Oktober 1990 (IV R 36/90) liegt ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO zwischen nahen Angehörigen vor, wenn die Eltern ihren minderjährigen Kindern unentgeltlich einen befristeten Nießbrauch an einem Grundstück bestellen, das die Kinder anschließend an die Eltern zurückvermieten. In diesem Fall wird der Gestaltungsmissbrauch dahin gesehen, dass das unentgeltliche Nutzungsrecht die entgeltliche Vermietung steuerrechtlich als unangemessen erscheinen lässt. Auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BFH vertrat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg in der Vorinstanz vom 21. März 2022 (16 K 4112/20) die Ansicht, dass die Konstellation mangels eigener Objektverwaltung durch die nießbrauchsberechtigten Kinder und aufgrund der verwandtschaftlichen Nähebeziehung zwischen den Beteiligten ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO vorliegt.

Die neue Entscheidung des BFH

Anders als in dem Sachverhalt der bisherigen Rechtsprechung des BFH vom 18. Oktober 1990 begründet die neue Entscheidung des BFH vom 20. Juni 2023, dass der Nießbrauch in dieser Fallgestaltung lediglich eine steuerrechtlich zulässige Übertragung der Einkunftsquelle auf die Nießbraucher darstellt. Die Vermietungseinkünfte werden von den nießbrauchsberechtigten Kindern und nicht von den Eltern erzielt. Sofern sich bei einer Gesamtbetrachtung ein steuerlicher Vorteil ergibt (z. B. ein geringerer Steuersatz bei den Kindern gegenüber dem bei den Eltern), ist dieser als gesetzlich vorgesehen zu bewerten. Im vorliegenden Fall liegt kein weiterer unangemessen erscheinender steuerlicher Vorteil vor. Es kommt zu keiner Verlagerung der Unterhaltsaufwendungen in den Bereich der Einkünfte. Ferner hat die GmbH die Geschäftsraummiete bereits vor Begründung des Nießbrauchs als Betriebsausgabe abziehen können.

Der BFH ist der Ansicht, dass es ausreicht, wenn der Nießbraucher seine zivilrechtlichen Pflichten im Außenverhältnis erfüllt, indem er als Vermieter auftritt. Mangels Anhaltspunkten bedarf es keiner Prüfung, ob die Vermietung an die GmbH das Merkmal der nahen Angehörigkeit begründet, wenn der Vater für die GmbH dem Vermieterwechsel „aufgrund der Personenidentität“ zugestimmt hat.

Bedeutung für die Praxis

Herkömmlich erzielen die Eltern Einkünfte, aus denen sie nach deren Versteuerung die Unterhaltsaufwendungen für ihre Kinder tragen. Die Unterhaltsaufwendungen sind bei den Eltern keine steuermindernden Aufwendungen (§ 12 Nr. 1 EStG). Wenden die Eltern ihren Kindern eine Einkommensquelle zu (z. B. für die Zeit der Ausbildung oder des Studiums) beziehen die Kinder eigene Einkünfte, die bei ihnen zum einen (typischerweise) geringer besteuert werden als bei den Eltern und zum anderen weitere Unterhaltsleistungen der Eltern obsolet machen können. Der BFH hat in seinem Urteil nun klargestellt, dass die vorgenannten Vorteile im System des Steuerrechts angelegt und damit nicht unangemessen sind, sodass kein Gestaltungsmissbrauch vorliegt. Damit wird Rechtssicherheit geschaffen, dass die endgültige oder auch nur vorübergehende Verlagerung von Einkunftsquellen der Eltern auf die Kinder nicht zu beanstanden ist, nur weil sich daraus im Familienverbund ein steuerlicher Vorteil ergibt.

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