BFH-Urteil vom 24. August 2022 (II R 14/20) – Grundstückswertermittlung bei Existenz eines zeitnahen Kaufpreises

Der BFH hat in seinem Urteil vom 24. August 2022 (II R 14/20) entschieden, dass für die Wertermittlung eines Grundstücks ein in zeitlicher Nähe zum Bewertungsstichtag vereinbarter Kaufpreis auch dann herangezogen werden kann, wenn es sich um den Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück selbst handelt, sofern keine vorrangigen Vergleichspreise oder Vergleichsfaktoren vorhanden sind. Da es für die Grundstücksbewertung kein Pendant zu § 11 Abs. 2 S. 2 BewG gibt, schließt das BFH-Urteil eine wichtige Lücke für die Praxis.

Hintergrund

In dem Streitfall hatte ein Vater – der Kläger – seiner Tochter einen Betrag von 920.000 € zum Erwerb eines genau bestimmten Grundstücks mit Einfamilienhaus geschenkt (sogenannte mittelbare Grundstücksschenkung). Die Tochter hatte mit diesem Geld anschließend das Grundstück erworben, wobei das Grundstück – bei einer solchen mittelbaren Grundstücksschenkung – als geschenkt gilt. In den Erklärungen für die Festsetzung der Schenkungsteuer hatte der Kläger das Grundstück im Sachwertverfahren mit knapp 520.000 € bewertet. Das Finanzamt und dem folgend das FG Düsseldorf (11 K 3447/19) ist dem nicht gefolgt und hat argumentiert, dass das Grundstück im Vergleichswertverfahren bewertet werden müsse. Der einzige vorliegende Vergleichswert sei der Kaufpreis, den die Tochter selbst für den Erwerb des Grundstücks gezahlt hat, sodass es mit 920.000 € zu bewerten und zu versteuern sei.

Der BFH hat dem Finanzamt Recht gegeben und die Revision als unbegründet zurückgewiesen.

Für die Bewertung von Grundvermögen sieht das Bewertungsgesetz (BewG) verschiedene typisierte Verfahren für die einzelnen Grundstücksarten vor. Dadurch soll der gemeine Wert (§ 9 BewG) = der Preis, der nach der Beschaffenheit des zu bewertenden Grundstücks im normalen Geschäftsbetrieb bei einer Veräußerung zu erzielen wäre, ermittelt werden.

Die gesetzlichen Bewertungsregeln enthalten Vorgaben für die Bewertung in den verschiedenen Verfahren vor, enthalten aber keine Regelung zur Berücksichtigung tatsächlich erzielter Verkaufspreise. Lediglich im Rahmen des Nachweises eines niedrigeren gemeinen Werts nach § 198 BewG zugunsten des Steuerpflichtigen kann der vereinbarte Kaufpreis berücksichtigt werden. Insofern gelten die typisierenden Bewertungsmethoden grundsätzlich auch dann, wenn das zu bewertende Grundstück in zeitlicher Nähe zum Bewertungsstichtag am Markt zu fremdüblichen Bedingungen erworben oder veräußert wurde.

Demgegenüber ist für die Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften in § 11 Abs. 2 S. 2 BewG gesetzlich geregelt, dass der gemeine Wert zwingend vorrangig aus Verkäufen von Anteilen an der zu bewertenden Gesellschaft zwischen fremden Dritten, die weniger als ein Jahr vor dem Bewertungsstichtag liegen, abzuleiten ist.

Kernaussage

Da die Bewertung von Grund und Boden ebenfalls zum gemeinen Wert erfolgen soll, hat der BFH entschieden, dass ein zeitnah zum Bewertungsstichtag erzielter Kaufpreis für die Grundstücksbewertung ebenfalls von Bedeutung sein kann.

Für die Bewertung von Ein- und Zweifamilienhäusern, Eigentumswohnungen sowie Teileigentum sind gemäß den §§ 182 Abs. 2, 183 BewG im Rahmen des Vergleichswertverfahrens Kaufpreise von Grundstücken heranzuziehen, die hinsichtlich der wertrelevanten Merkmale mit der zu bewertenden Immobilie hinreichend übereinstimmen (Vergleichsgrundstücke). Hiernach ist der Grundbesitzwert primär aus von Gutachterausschüssen ermittelten und mitgeteilten Kaufpreisen anderer Vergleichsgrundstücke oder aus Vergleichsfaktoren abzuleiten. Nur wenn solche Vergleichsgrundstücke nicht vorhanden sind, kann sich der Vergleichspreis auch aus einem zeitnah zum Bewertungsstichtag vereinbarten Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück selbst ergeben.

Dadurch hat der BFH auch klargestellt, dass sich ein Vergleichspreis auch aus der Veräußerung eines einzelnen Grundstücks ableiten lässt. Voraussetzung ist, dass der Kaufpreis zwischen fremden Dritten unter marktüblichen Bedingungen vereinbart wurde.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung des BFH ist ein vorsichtiger Schritt in Richtung einheitliche Maßstäbe bei der Bewertung. Für die Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften hat der Gesetzgeber in § 11 Abs. 2 S. 2 BewG vorgegeben, dass der gemeine Wert von Geschäftsanteilen in erster Linie aus dem Kaufpreis von Verkäufen zwischen fremden Dritten abzuleiten ist, die weniger als ein Jahr vor dem Bewertungsstichtag liegen. Darin steckt der Gedanke, dass kein Bewertungsverfahren besser sein kann als der Markt. Typisierte Bewertungsregeln sollen nur relevant sein, wenn es keinen Kaufpreis als Leitlinie gibt. Sie sind der Versuch, einen theoretischen Kaufpreis herzuleiten, wo es keinen tatsächlichen Kaufpreis gibt. Insbesondere für die Wertermittlung von Immobilien gibt es überraschenderweise keine vergleichbare Regelung zur Berücksichtigung eines tatsächlichen Kaufpreises. Das Vergleichswertverfahren gemäß § 183 BewG ermöglicht wenigstens eine grobe Bezugnahme auf tatsächliche Kaufpreise für Vergleichsgrundstücke.

Dass der BFH einen Schritt weiter gegangen ist und die Berücksichtigung des tatsächlichen Kaufpreises für das zu bewertende Grundstück zugelassen hat, ist vom systematischen Ansatz her zu begrüßen. Eine klare gesetzliche Regelung wäre besser. In dem vom BFH entschiedenen Streitfall hat sich dies für die Steuerpflichtigen zwar negativ ausgewirkt. Es gibt aber auch Fallkonstellationen mit positiver Auswirkung für die Steuerpflichtigen. Und in diesen Fällen ist es immer schwer zu verstehen, dass der tatsächliche niedrigere Kaufpreis nicht per se berücksichtigt wird, sondern die Steuerpflichtigen diesen dann nur über den Umweg eines ihnen zu bezahlenden Bewertungsgutachtens zum Gegenstand der Grundstücksbewertung machen können.

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