Update zu Zinsen und Säumniszuschlägen

Auf den in unserem Webbeitrag und ersten Steuernewsletter aus 2022 bereits angesprochenen Gesetzesentwurf zur Neuregelung des Zinssatzes nach § 233a AO (zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit des bisherigen Zinssatzes) folgten nun das am 12. Juli 2022 beschlossene Gesetz (Zweites Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung; BGBl. I S. 1142) sowie ein erläuterndes BMF-Schreiben vom 22. Juli 2022 (IV A 3 – S 1910/22/10040 :010). Auch zu den in unseren Beiträgen angesprochenen verfassungsrechtlichen Zweifeln in der Rechtsprechung an der Rechtmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge gemäß § 240 AO ab dem Veranlagungszeitraum 2019 hat der BFH in seinem Beschluss vom 23. Mai 2022 (Az. V B 4/22) nun Stellung genommen.

Zweites Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 12. Juli 2022

Gemäß dem neuen Absatz 1a in § 238 AO betragen die Zinsen in den Fällen des § 233a AO rückwirkend ab dem 1. Januar 2019 nur noch 0,15 % (statt 0,5 %) monatlich (1,8 % jährlich statt bisher 6 %). In Fällen, in denen innerhalb einer Zinsberechnung unterschiedliche Zinssätze (vor 2019 und ab 2019) maßgeblich sind, ist der Zinslauf nach dem neuen Absatz 1b in § 238 AO in Teilverzinsungszeiträume aufzuteilen, für die die Zinsen jeweils tageweise zu berechnen sind. Überdies regelt § 238 Abs. 1c AO, dass die Angemessenheit des Zinssatzes nach § 238 Abs. 1a AO unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes gemäß § 247 BGB wenigstens alle zwei Jahre, erstmals zum 1. Januar 2024, zu evaluieren ist.

BMF-Schreiben vom 22. Juli 2022 zu den Änderungen der §§ 233 bis 239 AO durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 12. Juli 2022

Das BMF-Schreiben enthält neben erläuternden Angaben zur Zinsberechnung bei unterschiedlichen Zinssätzen gemäß § 238 Abs. 1b AO noch weitere Anwendungshinweise:

  • § 238 Abs. 1a bis 1c AO gilt für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 und ist vorbehaltlich des § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO in allen offenen Fällen anzuwenden.
  • Bei der Festsetzung von Zinsen in Fällen der Steuererstattung ist für die Minderung bisher festgesetzter Nachzahlungszinsen (§ 233a Abs. 5 S. 3 Hs. 2 AO) der Zinssatz maßgeblich, der bei der ursprünglichen Festsetzung der Nachzahlungszinsen zugrunde gelegt wurde.
  • Waren bisher nur Erstattungszinsen festgesetzt worden, kann sich unter Berücksichtigung von § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO (Vertrauensschutz für den Steuerpflichtigen, wenn die verfassungswidrige Regelung für ihn günstiger war) aufgrund der rückwirkenden Senkung des Zinssatzes keine Rückforderung ergeben. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Zinsen bei Inkrafttreten der Neuregelung vorläufig festgesetzt waren oder nicht.
  • Wenn bisher nur Nachzahlungszinsen festgesetzt worden waren, sind diese im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten auf Basis des § 238 Abs. 1a und 1b AO neu zu berechnen und eine entsprechend geänderte Zinsfestsetzung zu erlassen.
  • In einem Mischfall mit Nachzahlungs- und Erstattungszinsen ist § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO auf das Gesamtergebnis der Neuberechnung anzuwenden.
  • § 176 Abs. 1 S. 1 AO findet im Falle der Nachholung einer nach § 165 Abs. 1 S. 4 AO ausgesetzten Zinsfestsetzung von vornherein keine Anwendung, da insoweit keine Änderung einer Zinsfestsetzung erfolgt, sondern Zinsen erstmals festgesetzt werden.
  • Solange die Neuregelung in § 238 Abs. 1a und 1b AO technisch oder organisatorisch noch nicht umgesetzt werden kann, können die nach dem 21. Juli 2022 zu erlassenen Zinsfestsetzungen gemäß § 233a AO für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2019 ungeachtet der am 22. Juli 2022 in Kraft getretenen Neuregelung in entsprechender Anwendung von § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und S. 4 sowie Abs. 2 AO weiterhin vorläufig ergehen bzw. ausgesetzt werden.

BFH-Beschluss zu ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge gemäß § 240 AO

Zu den bereits in unseren oben genannten Beiträgen angesprochenen verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Höhe der Säumniszuschläge gemäß § 240 AO ab dem Veranlagungszeitraum 2019 hat nun auch der BFH in seinem Beschluss vom 23. Mai 2022 Stellung genommen.

Nach Ansicht des BFH bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge (1 % monatlich), soweit Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern sie die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern haben (zinsähnliche Funktion). Allerdings misst der BFH lediglich der Zinskomponente von Säumniszuschlägen nach dem 31. Dezember 2018 dieselben verfassungsrechtlichen Bedenken zu, wie das BVerfG der Verzinsung nach den §§ 233a, 238 Abs. 1 S. 1 AO in seinem Beschluss vom 08. Juli 2021 (Az. 1 BvR 2237/14).

Da die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge nur insgesamt verfassungsgemäß oder -widrig sein kann, weil es keine Teilverfassungswidrigkeit in Bezug auf einen bestimmten Zweck einer Norm gibt, erfassen die ernstlichen Zweifel die gesamte Höhe der Säumniszuschläge. Im zugrunde liegenden Fall erging die Entscheidung des BFH im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens gegen eine Aussetzung der Vollziehung, sodass für eine endgültige Klärung einer Verfassungswidrigkeit von § 240 AO zunächst der Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten ist, bevor die Frage an das BVerfG, das allein die Verfassungswidrigkeit des § 240 AO feststellen dürfte, gehen kann. Da das Verfahren voraussichtlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, wäre aktuell im Falle der Geltendmachung von Säumniszuschlägen in Höhe von 1 % monatlich durch das Finanzamt vorsorglich ein Abrechnungsbescheid zu beantragen, um eine Handhabe gegen die Säumniszuschläge zu haben.

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 3/2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.