Berichtigung des steuerlichen Einlagekontos: ein verfahrensrechtlicher „Dauerbrenner“

Nach § 129 AO kann das Finanzamt offenbare Unrichtigkeiten, die ihm beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen, jederzeit berichtigen. Die Rechtsprechung wendet diese Vorschrift über den Wortlaut hinaus auch an, wenn der Steuerpflichtige versehentlich steuerrelevante Umstände nicht oder unrichtig mitgeteilt und die Finanzbehörde diese Angaben ungeprüft übernommen hat. Die Voraussetzungen für eine solche weitergehende Anwendung des § 129 AO sind des Öfteren Anlass für Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung. In einem Urteil vom 8. Dezember 2021 hat der BFH die Anwendbarkeit der Vorschrift für den Fall der fehlerhaften Feststellung des steuerlichen Einlagekontos nach § 27 KStG präzisiert.

Hintergrund

Als offenbare Unrichtigkeiten im Sinne des § 129 AO gelten solche, die mit mechanischen Schreib- oder Rechenfehlern wertungsmäßig vergleichbar sind und ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können. Solche Fehler können auch dann „beim Erlass eines Verwaltungsakts“ unterlaufen, wenn das Finanzamt falsche oder lückenhafte Angaben aus einer Steuer- oder Feststellungserklärung des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt. Dagegen ist § 129 AO nicht anwendbar, wenn feststehende Tatsachen falsch gewürdigt wurden, der Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt wurde oder Denkfehler gemacht wurden. Auf ein Verschulden kommt es dabei nicht an.

Entscheidung des BFH

Die Entscheidung des BFH vom 8. Dezember 2021 (Az. I R 47/18) betrifft die materiellrechtlich sehr relevante Feststellung des steuerlichen Einlagekontos einer Kapitalgesellschaft. Im steuerlichen Einlagekonto werden alle Eigenkapitalbeiträge der Gesellschafter erfasst und gesondert festgestellt. Hierzu gehören das satzungsmäßige Stamm- oder Grundkapital, aber auch nachträglich geleistete (offene und verdeckte) Einlagen der Gesellschafter. Im konkreten Fall hatten die Gesellschafter ihrer GmbH Darlehensforderungen und Geldbeträge unentgeltlich (insbesondere ohne Gewährung weiterer Gesellschaftsrechte) überlassen. Handelsrechtlich wurde dies korrekt als Kapitalrücklage im Sinne des § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB erfasst.

Steuerlich handelt es sich um Einlagen im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 EStG i. V. m. § 8 Abs. 1 S. 1 KStG. Jedoch unterblieb eine Erfassung im steuerlichen Einlagekonto, sodass die nach § 27 Abs. 2 S. 1 KStG erforderliche Feststellung des steuerlichen Einlagekontos fehlerhaft mit 0 € angegeben war. Letzteres wurde auch so vom Finanzamt festgestellt.

Da festgestellte Zugänge zum steuerlichen Einlagekonto steuerfrei an die Gesellschafter zurückgezahlt werden können, waren Gesellschafter und Gesellschaft an einer Berichtigung des fehlerhaften Einlagekontos interessiert und stützten sich hierbei auf § 129 AO.

In seiner Entscheidung stellt der BFH zunächst fest, dass das steuerliche Einlagekonto im vorliegenden Fall erkennbar unrichtig war, da sein Bestand in eklatanter Weise im Widerspruch zu den handelsrechtlichen Aufzeichnungen stand. Im Anschluss wiederholt der BFH die bekannten Grundsätze zur Anwendung des § 129 AO. Danach schließen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts die Anwendung des § 129 AO aus. Sodann führt der BFH jedoch aus, dass eine offenbare Unrichtigkeit auch vorliegen kann, wenn eine weitere Aufklärung zur Ermittlung des richtigen Bestands im steuerlichen Einlagekonto erforderlich ist. Der zutreffende Wert muss nicht ausschließlich ohne weitere Prüfungen erkennbar sein.

Zumindest in denjenigen Fällen, in denen die offenbare Unrichtigkeit auf der versehentlichen Nichtangabe eines Werts in der Steuererklärung beruht, ist § 129 S. 1 AO bereits dann anwendbar, wenn für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich erkennbar ist, dass die Nichtangabe fehlerhaft ist. Entsprechendes muss gelten, wenn (nur) die Angabe einer Endsumme mit 0 € erfolgt und dies erkennbar unrichtig ist. In den Angaben des Steuerpflichtigen muss also zwar ein Fehler, nicht aber bereits der richtige steuerliche Wert ohne Weiteres erkennbar sein.

Bedeutung für die Praxis

Bisher hatte die Rechtsprechung nur solche Fehler zur Berichtigung nach § 129 AO zugelassen, die ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können. In seinem neuen Urteil stellt der BFH nun klar, dass eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 129 AO auch vorliegen kann, wenn zur Berichtigung des Fehlers eine weitere Sachaufklärung erforderlich ist. Für die Steuerpflichtigen kann dies z. B. hilfreich sein, wenn eine handelsrechtlich vollzogene Einlage versehentlich nicht zur Eintragung in das steuerliche Einlagekonto angemeldet wird. Dies kommt in der Praxis insbesondere im Rahmen von Sanierungsbemühungen häufiger vor. Werden nicht im steuerlichen Einlagekonto erfasste Einlagen an die Gesellschafter zurückerstattet, kann es zu einer Steuerpflicht eigentlich steuerfreier Einlagen kommen.

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 3/2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.