Aufsichtsräte/Verwaltungsräte sind möglicherweise selbst bei variabler Vergütung nicht unternehmerisch tätig

Aufsichtsräte/Verwaltungsräte sind möglicherweise selbst bei variabler Vergütung nicht unternehmerisch tätig – Schlussantrag der Generalanwältin vom 13. Juli 2023 (C-288/22)

Das BMF hatte sich erst im Jahr 2021 aufgrund vorangegangener EuGH- und BFH-Rechtsprechung darauf festgelegt, dass Aufsichtsräte mangels fehlendem Vergütungsrisiko nicht selbstständig tätig sind, wenn sie eine Festvergütung erhalten (wir berichteten hier). Nachdem sich Unternehmen und Aufsichtsräte an diese geänderte Rechtsauffassung teilweise mühevoll angepasst hatten, streut die Generalanwältin beim EuGH nun schon wieder Sand ins Getriebe: Sie meint, auf die Art der Vergütung komme es gar nicht an; selbst bei einer variablen Vergütung liege keine selbstständige und damit keine unternehmerische Tätigkeit vor.

Was bisher geschah

In der Rechtssache „IO“ (Urteil vom 13. Juni 2019, C-420/18) hatte der EuGH herausgearbeitet, dass ein Aufsichtsrat bei einer Festvergütung kein für einen Unternehmer typisches Risiko trage. Dem folgte der BFH mit Urteil vom 27. November 2019 (V R 23/19). Mit Schreiben vom 8. Juli 2021 zog das BMF nach und änderte den Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) entsprechend. Da das BMF die Art der Vergütung als entscheidenden Faktor erkannt hatte, erarbeitete die Behörde auch Regelungen zu den von der Rechtsprechung nicht thematisierten Mischvergütungen. Diese könnten nun möglicherweise obsolet werden.

Generalanwältin: auch bei variabler Vergütung keine Unternehmereigenschaft

In der Rechtssache „TP“ betreffend den Verwaltungsrat einer luxemburgischen SA setzt sich die Generalanwältin mit der Frage der Selbstständigkeit nochmals intensiv auseinander und kommt dabei zu dem Schluss, ein Verwaltungsrat sei selbst dann nicht unternehmerisch tätig, wenn er eine variable Vergütung erhalte. Ihre Argumente sind im Wesentlichen:

  • Der Verwaltungsrat haftet, anders als z. B. ein mandatierter Rechtsanwalt, nicht vertraglich, wenn sein Rat falsch ist. Eine etwaige deliktische Haftung betreffe jeden (auch einen Arbeitnehmer) und begründe daher keine Selbstständigkeit.
  • Anders als ein Unternehmer kann ein Verwaltungsrat seine Tätigkeit nicht am freien Markt anbieten.
  • Er kann seine Vergütung nicht frei verhandeln, sie wird vielmehr von der Hauptversammlung festgelegt.
  • Zwar bestehe möglicherweise kein klassisches Unterordnungsverhältnis wie bei einem Arbeitnehmer, dies sei aber auch nicht erforderlich, um die Unternehmereigenschaft zu verneinen.
  • Auch bei einer variablen Vergütung, die sich am Erfolg des Unternehmens orientiert, partizipiere der Verwaltungsrat nur wie ein Aktionär am wirtschaftlichen Risiko des Unternehmens, ohne es jedoch selbst zu tragen. Die Situation sei mit der eines Arbeitnehmers vergleichbar, der neben seinem Fixgehalt noch eine variable Vergütung nach Maßgabe des Erfolgs seines Arbeitgebers erhält – auch dieser Arbeitnehmer wird dadurch nicht zum Unternehmer.

Praktische Auswirkungen

Zwischen dem Verwaltungsrat einer luxemburgischen SA und dem Aufsichtsrat einer deutschen Aktiengesellschaft bestehen gesellschaftsrechtlich gewisse Unterschiede, die allerdings in der Argumentation der Generalanwältin keine Rolle zu spielen scheinen. Auch deutsche Aktiengesellschaften und ihre Aufsichtsräte sollten sich also darauf einstellen, dass hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Behandlung der Vergütung das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Wenn auch die variablen Vergütungen nicht steuerbar wären, müssten die Aufsichtsräte keine Rechnungen mit Umsatzsteuer mehr ausstellen, was für Unternehmen ohne Vorsteuerabzugsrecht vorteilhaft wäre. Allerdings verlören die Aufsichtsräte den Vorsteuerabzug aus ihren Aufwendungen.

Bevor steuerliche Konsequenzen gezogen werden, sollte die Entscheidung des EuGH abgewartet werden. Gegen bestehende Steuerfestsetzungen kann aber bereits jetzt, soweit verfahrensrechtlich noch möglich, Einspruch eingelegt und mit Blick auf den Schlussantrag das Ruhen des Verfahrens beantragt werden.

Stand: 01.08.2023

Autorin

Nadia Schulte
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