Keine feste Niederlassung durch Subunternehmer – EuGH-Urteil „Cabot Plastics Belgium SA“ (C-232/22)

Eine feste Niederlassung bzw. nach deutscher Terminologie eine Betriebsstätte erfordert personelle und sachliche Ausstattung in dem betreffenden Land – dies hat der EuGH besonders eindrücklich in seinem „Titanium“-Urteil klargestellt. Ob und unter welchen Bedingungen fremde Ausstattung zugerechnet werden kann, ist nicht vollständig geklärt. Der EuGH fügt dem Bild aber nun ein Puzzleteil hinzu und befasst sich mit der Frage, ob ein eng verbundener Subunternehmer zu einer Betriebsstätte des Auftraggebers führen kann.

Sachverhalt und Fragestellung

Die in der Schweiz ansässige Cabot Switzerland GmbH hatte die mit ihr gesellschaftsrechtlich eng verbundene belgische Gesellschaft Cabot Plastics beauftragt, bestimmte Rohstoffe zu veredeln. Die daraus entstehenden Produkte verkaufte Cabot Switzerland von Belgien aus an verschiedene Kunden. Die dafür notwendigen, im Eigentum von Cabot Plastics stehenden Anlagen durfte diese nur für ebendiese Tätigkeit verwenden, nicht für Aufträge anderer Kunden. Außerdem erbrachte Cabot Plastics verschiedene Zusatzleistungen an Cabot Switzerland, z. B. die Zwischenlagerung von Produkten, technische Kontrollen und Beratung zur Prozessoptimierung.  

Cabot Switzerland verfügte in Belgien weder über eigene Anlagen noch über Personal.

Fraglich war der Leistungsort der von Cabot Plastics an Cabot Switzerland erbrachten Dienstleistungen, der nach der Grundregel des Artikels 44 MwStSystRL zu beurteilen ist. Er befindet sich demnach am Sitz der Cabot Switzerland GmbH in der Schweiz – es sei denn, Cabot Switzerland hätte in Belgien eine feste Niederlassung und hätte die Leistungen für diese Niederlassung bezogen. Der EuGH hatte zu klären, ob die Anlagen und das Personal von Cabot Plastics der Cabot Switzerland GmbH zugerechnet werden können und so zu einer festen Niederlassung der Cabot Switzerland GmbH in Belgien führen.

EuGH: keine feste Niederlassung

Entscheidend war, ob Cabot Switzerland in Belgien in hinreichend beständiger und geeigneter Weise über eine personelle und technische Ausstattung verfügte und, wenn ja, ob diese Ausstattung es tatsächlich ermöglichte, die Dienstleistungen dort zu empfangen und zu verwenden.

Wie bereits in früheren Entscheidungen stellte der EuGH klar, dass die technische Ausstattung nicht zwingend im Eigentum von Cabot Switzerland stehen muss – auch ein nicht kurzfristig kündbarer Mietvertrag hätte ausgereicht. Cabot Switzerland hätte aber jedenfalls so über die Anlagen verfügen können müssen, als wären sie ihre eigenen. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen, obwohl Cabot Plastics die Anlagen nur für die Produkte von Cabot Switzerland verwenden durfte: Auch wenn eine Gesellschaft nur einen einzigen Kunden hat, verwende sie ihre Ausstattung doch für ihren eigenen Bedarf. Etwa anderes würde nur gelten, wenn Cabot Switzerland aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen unmittelbaren und ständigen Zugang zu der Ausstattung gehabt hätte, so, als wäre sie ihre eigene.

Eine feste Niederlassung müsste es Cabot Switzerland darüber hinaus ermöglicht haben, die bezogenen Dienstleistungen dort zu verwenden. Hierbei sei die Verwendung der Eingangsleistungen vom Verkauf der entstandenen Produkte zu unterscheiden. Unter Berufung auf die Entscheidung „Berlin Chemie“ könne aber ein und dieselbe Ausstattung nicht gleichzeitig dem Leistenden dazu dienen, die Leistung zu erbringen, und dem Leistungsempfänger, sie zu verwenden.

Dass beide Gesellschaften eng miteinander verbunden waren und dass Cabot Plastics über die Lohnveredelung hinaus Zusatzleistungen erbracht hat, spiele für sich genommen keine Rolle.

Einordnung

Die hier im Fokus stehende Frage nach der Zurechnung fremder Ausstattung hat den EuGH schon mehrfach beschäftigt (zuletzt in den Fällen Titanium und Berlin Chemie). Hier reiht sich das vorliegende Urteil ein und entwickelt die dort herausgearbeiteten Kriterien weiter: Allein die enge gesellschaftsrechtliche Verflechtung und die wirtschaftliche Abhängigkeit eines Subunternehmers machen diesen nicht zur festen Niederlassung des Auftraggebers. Der EuGH wiederholt hier auch den entscheidenden Grundsatz, demnach ein und dieselbe Ausstattung nicht gleichzeitig der Erbringung und dem Empfang derselben Leistung dienen kann. Damit stellt sich aber die Frage, ob die Ausstattung des Leistenden jemals zu einer passiven Betriebsstätte des Leistungsempfängers führen kann, selbst wenn Letzterer, anders als im vorliegenden Fall, wie ein Eigentümer über die Ausstattung verfügen kann.

Zusätzlich kompliziert werden solche Sachverhalte dadurch, dass der EuGH in DFDS, Daimler und Widex, Dong Yang und Berlin Chemie entschieden hat, dass eine Tochtergesellschaft eine Betriebsstätte der Muttergesellschaft sein kann. Die Abgrenzung der verschiedenen Fallkonstellationen ist hier nicht immer nachvollziehbar.

Stand: 18.07.2023

Autorin

Nadia Schulte
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