Generalanwältin schlägt auch für E-Mobility-Provider das Kommissionsmodell vor – Schlussantrag vom 25. April 2024, C-60/23

Die Leitlinien des Mehrwertsteuerausschusses (MwSt.-Ausschuss) zu den Tankkarten vom 6. September 2023 überraschten mit dem kreativen Vorschlag, das Tankkartengeschäft als Kommissionsgeschäft zu behandeln. Für das Geschäft mit der E-Mobilität beschloss der MwSt.-Ausschuss in einer entsprechenden (unverbindlichen) Leitlinie jedoch, es sei als Reihenliefergeschäft von Elektrizität vom Ladepunktbetreiber an den E-Mobility-Provider und von diesem an den Kunden einzuordnen. Die Generalanwältin schlägt hingegen vor, auch hier das Kommissionsmodell anzuwenden.

Sachverhalt C-60/23

Der Schlussantrag betrifft den deutschen E-Mobility-Provider Digital Charging Solutions GmbH (DCS), der in diesem Fall in Schweden den Nutzer*innen von Elektrofahrzeugen Zugang zu einem Netzwerk von Ladepunkten zur Verfügung stellt. Dieses Netzwerk bietet den Nutzer*innen in Echtzeit Informationen über Preise, Standorte und Verfügbarkeit der Ladepunkte sowie Funktionen für das Auffinden und die Routenplanung. Die Ladepunkte werden von Betreibern bereitgestellt, mit denen DCS Verträge abgeschlossen hat. DCS stattet die Kund*innen mit einer Karte und einer Authentifizierungs-App aus, wodurch das Laden beim Ladepunktbetreiber registriert wird. Dieser stellt dann über den Ladevorgang eine Rechnung an DCS aus. DCS belastet den Ladevorgang an den*die Nutzer*in weiter. Außerdem berechnet DCS eine feststehende Gebühr für den Netzwerkdienst, und zwar unabhängig davon, ob der*die Nutzer*in während des betreffenden Zeitraums Elektrizität gekauft hat.

Vorschlag der Generalanwältin zur umsatzsteuerlichen Behandlung

Die Generalanwältin arbeitet zunächst heraus, dass der Netzwerkdienst und die Lieferung von Elektrizität durch DCS zwei voneinander unabhängige Leistungen seien, die umsatzsteuerlich getrennt zu beurteilen seien. Der Netzwerkdienst als sonstige Leistung sei in diesem Verfahren nicht von Interesse, sondern nur die Lieferung von Elektrizität. Hierfür kommen drei Möglichkeiten der umsatzsteuerlichen Einordnung in Betracht:

  1. DCS liefert keine Elektrizität, sondern gewährt im Sinne des EuGH-Urteils Auto Lease Holland einen Kredit. Die Lieferung würde dann vom Ladepunktbetreiber an den Nutzer erfolgen.
  2. Es liegt eine Reihenliefergeschäft vor, bei dem der Betreiber des Ladepunkts an DCS und DCS sodann an den Nutzer liefert.
  3. Es liegt ein Kommissionsgeschäft vor, bei dem DCS Elektrizität im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung vom Ladepunktbetreiber kauft und an den Nutzer liefert, sodass eine Reihenlieferung fingiert wird.

Das Geschäftsmodell der Elektromobilität sei mit dem Tankkartengeschäft nicht vergleichbar, u. a. weil E-Fahrzeuge, anders als andere Fahrzeuge, nicht an jeder beliebigen Ladesäule aufgeladen werden können, sondern sich die Nutzer innerhalb der jeweiligen Netzwerke bewegen müssen. Daher sei hier nicht von einer Kreditgewährung auszugehen.

Ein Reihenliefergeschäft erfordere, dass in einer Kette die Fähigkeit übertragen werde, wie ein Eigentümer über den Liefergegenstand zu verfügen. Dies sei hier nicht der Fall, da DCS weder den Ladesäulenbetreibern den Kauf einer gewissen Menge Elektrizität zusichert noch eine Entscheidung darüber trifft, eine bestimmte Elektrizitätsmenge zu kaufen. Faktisch setze allein der Nutzer den Kaufvorgang in Gang.

Am besten passe das Kommissionsmodell auf diesen Sachverhalt. Dabei wird der E-Mobility-Provider so behandelt, als ob er die Elektrizitätslieferung selbst erhalten und erbracht hätte. Zwei Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein: Zum einen müsse dem Kommissionär, also dem E-Mobility-Provider, vom Kommittenten ein Auftrag erteilt werden, und zum anderen muss hinsichtlich der Leistung in beiden Verhältnissen Gleichartigkeit bestehen. Im Fall DCS seien beide Voraussetzungen erfüllt. Zwar fordere der jeweilige Karten- bzw. Applikationsnutzer DCS nicht bei jedem Ladevorgang ausdrücklich auf, Elektrizität für seine Rechnung zu kaufen. Das Vorzeigen der Karte bzw. Applikation beim Ladepunkt könne aber als ein dem Kommissionär erteilter Auftrag verstanden werden, eine gewisse Menge Elektrizität zu kaufen. Was die Gleichartigkeit betreffe, werde zwar teilweise argumentiert, der Ladepunktbetreiber liefere nur Elektrizität, während der E-Mobility-Provider mit dem Netzwerkdienst ergänzende Dienstleistungen erbringe, sodass die Gleichartigkeit fraglich sei. Die Generalanwältin sieht dies jedoch nicht als problematisch an, da der Netzwerkdienst von der Elektrizitätslieferung zu trennen sei.

Für eine Anwendung des Kommissionsmodells spreche zudem, dass es Lex specialis zu der allgemeinen Definition von Lieferungen und deshalb vorrangig anzuwenden sei, wenn die Voraussetzungen vorliegen.

Das vorlegende Gericht habe zu prüfen, ob die beiden Voraussetzungen des Kommissionsmodells anwendbar seien, also der Auftrag und die Gleichartigkeit. Wenn dies nicht der Fall sei, läge eine „normale“ Lieferung vom E-Mobility-Provider an den Nutzer vor.

Einordnung

Der Schlussantrag der Generalanwältin steht im Widerspruch zu den Leitlinien des MwSt.-Ausschusses aus der 118. Sitzung vom 19. April 2021. Einstimmig waren die Mitglieder der Auffassung, dass das Geschäftsmodell der E-Mobilität als Reihenliefergeschäft behandelt werden sollte. Diese Leitlinien sind allerdings nicht bindend, und die Generalanwältin befand sie nicht für eindeutig und umfassend.

In der Tat sind die Argumente gegen ein Reihenliefergeschäft im Bereich der E-Mobilität genauso überzeugend wie bei den Tankkarten, sodass das Kommissionsmodell auch hier das passendste Modell ist. Zwar erfordert es eine gewisse gedankliche Flexibilität, da hier, anders als bei einem klassischen Kommissionsgeschäft, der Kommittent selbst am Ladepunkt agiert und sozusagen den Kommissionär bei der Besorgung seines eigenen Geschäfts vertritt. Die rechtlichen Voraussetzungen des Kommissionsgeschäfts sind aber trotz dieser ungewöhnlichen Umstände erfüllt. Es führt, genau wie ein Reihenliefergeschäft, zu dem gewünschten Ergebnis, dass der E-Mobility-Provider den Nutzer*innen gesammelte Rechnungen für definierte Zeiträume ausstellen kann, aus denen die Nutzer*innen dann den Vorsteuerabzug geltend machen können.

Abzuwarten ist, ob der EuGH dem Schlussantrag folgen wird, und wenn ja, ob er weitere Bedingungen für das Kommissionsgeschäft aufstellen wird – die Bedingungen des MwSt.-Ausschusses für das Kommissionsmodell bei den Tankkarten waren wesentlich umfangreicher und differenzierter als die der Generalanwältin für die E-Mobilität. Die beiden von der Generalanwältin hier aufgestellten Bedingungen des Auftrags und der Gleichartigkeit dürften in der Praxis stets erfüllt und damit unproblematisch sein, sodass sich für Unternehmen im Bereich E-Mobility weniger Umstellungsbedarf ergibt als bei den Tankkarten.

Stand: 08.05.2024

Autorin

Nadia Schulte
Tel.: +49 211 83 99 330