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Arbeitsmarktförderung – umsatzsteuerrechtliche Behandlung

Der BFH hat mit Urteil vom 22.04.2015 (XI R 10/14) entschieden, dass auch die – durch öffentliche Zuschüsse geförderten – Leistungen eines gemeinnützigen Vereins umsatzsteuerbar sind, wenn sie derart mit den Zuschüssen verknüpft sind, dass sie sich auf die Erlangung der Zuschüsse richten. Im besagten Streitfall ging es um einen eingetragenen gemeinnützigen Verein, der für Langzeitarbeitslose Arbeitsförderungs-, Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen durchführt, die durch Zahlungen eines Landkreises, eines Bundeslandes bzw. der Bundesagentur für Arbeit finanziert werden. Das FG Berlin-Brandenburg verneinte in seinem Urteil vom 30.04.2013 (K 2191/08) zunächst die Steuerbarkeit der erbrachten Leistungen.

Der BFH hob in seiner Revisionsentscheidung die Vorentscheidung auf und verwies den Streitfall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG Berlin-Brandenburg mit dem Verweis auf folgende vom BFH herausgearbeiteten Grundsätze zurück:

Ein steuerbarer Umsatz in Form einer Leistung gegen Entgelt i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG liegt vor, wenn die untereinander ausgetauschten Leistungen auf einem gültigen Rechtsverhältnis beruhen und die vom Leistenden erhaltene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert der für den Leistungsempfänger erbrachten Leistung darstellt.

Übernimmt ein Unternehmer die Erfüllung der Aufgaben einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und erhält er im Zusammenhang damit Geldzahlungen, ist somit für die Beantwortung der Frage, ob die Leistung des Unternehmers derart mit der Zahlung (Zuschuss) verknüpft ist, dass sie sich auf die Erlangung einer Gegenleistung (Zahlung) richtet, in erster Linie auf die rechtlichen Vereinbarungen des Leistenden mit dem Zahlenden, den Bewilligungsbescheid oder die Vereinssatzung abzustellen.

Demnach liegt der für die Umsatzsteuerbarkeit erforderliche Leistungsaustausch grundsätzlich vor, wenn sich Leistender und Leistungsempfänger in einem gegenseitigen Vertrag zur Ausführung der Leistungen verpflichtet haben. So liegt eine umsatzsteuerbare Leistung auch dann vor, wenn der Zahlungsempfänger (z.B. Verein) im Auftrag für den Zahlenden (öffentliche Hand) eine Aufgabe aus dessen Kompetenzbereich übernimmt und die Zahlung hiermit zusammenhängt.

Der Annahme eines Leistungsaustausches steht nicht entgegen, wenn der gemeinnützige Unternehmer mit der besagten Leistung zugleich auch seine satzungsmäßigen Zwecke verwirklicht, da die wirtschaftliche Tätigkeit nicht durch ein gleichzeitiges ideelles Bestreben aufgewogen wird. Auch die Rechtsform des Leistenden sowie die Frage, ob es sich um eine Pflichtaufgabe oder eine freiwillige Aufgabe der betreffenden Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt, sind für die Beurteilung im vorliegenden Fall nicht relevant.

Handelt es sich auf Basis der oben beschriebenen Grundsätze um eine umsatzsteuerbare Aufgabenübertragung zwischen der öffentlichen Hand und einer (gemeinnützigen) Körperschaft, so ist im zweiten Schritt zu prüfen, ob eine Steuerbefreiungsvorschrift nach nationalem Recht oder ggf. dem Unionsrecht zum Tragen kommt.

Um in der Praxis die Möglichkeit auf den Vorsteuerabzug aus Aufwendungen im Zusammenhang mit Leistungen, die durch Zuschüsse der öffentlichen Hand finanziell gefördert werden, nicht zu gefährden, sollte aus den zugrunde liegenden Verträgen die Aufgabenübertragung durch die Gebietskörperschaft eindeutig als Leistungsgegenstand hervorgehen.

Die unternehmerische Mindestnutzung gerät ins Wanken

Gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG dürfen bei dem Erwerb von Lieferungen und sonstigen Leistungen, die der Unternehmer zu weniger als 10 Prozent für sein Unternehmen nutzt, nicht als für das Unternehmen ausgeführt gelten. Der Unternehmer erfüllt in diesem Fall nicht die unternehmerische Mindestnutzung. Die Auslegung dieser Regelung ist nunmehr durch den Bundesfinanzhof (BFH) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung vorgelegt worden; BFH, Beschluss vom 16.06.2015 (Az. XI R 15/13).

Nach aktueller Auffassung des BFH und der Finanzverwaltung wird derzeit im deutschen Umsatzsteuerrecht die Verwendung von Lieferungen und Leistungen für das Unternehmen in drei unterschiedliche Bereiche eingeteilt. Neben der unternehmerischen Nutzung gibt es auch die nichtwirtschaftliche Nutzung im engeren Sinne (z.B. für den ideellen Bereich oder den Hoheitsbereich) und die unternehmensfremde Nutzung (z.B. für den Privatgebrauch).

Fraglich ist nunmehr, ob die aktuelle gesetzliche Regelung zur unternehmerischen Mindestnutzung gegen europäisches Recht verstößt. Diese ermächtigt die Mitgliedsstaaten lediglich dazu, Lieferungen und sonstige Leistungen für das Unternehmen vom Vorsteuerabzug auszuschließen, die zu mehr als 90 Prozent privat genutzt werden. Der BFH möchte letztendlich wissen, ob nach dem Wortlaut der Ausschluss lediglich die unternehmensfremden Zwecke betrifft oder auch die nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten im engeren Sinne.

Würde der EuGH dies bejahen, dürften in Zukunft Gegenstände, die zu weniger als 10 Prozent für den unternehmerischen Bereich genutzt werden, jedoch überwiegend für den nichtwirtschaftlichen Bereich im engeren Sinne, nicht mehr von der unternehmerischen Mindestnutzung und somit vom Vorsteuerabzugsverbot betroffen sein.

Fälle, auf die das zutifft, sollten unter Berufung auf den BFH offengehalten werden.

EuGH weicht Regelung zur Organschaft auf

Mit Urteil vom 16.07.2015 in den verbundenen Rechtssachen C-108/14 und C-109/14 (Larentia, Minerva und Marenave) hat der EuGH auf Vorlage des XI. Senats des BFH in zwei zentralen Punkten die nationale Umsetzung der sog. „Mehrwertsteuergruppe“ (Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL) in die Regelungen zur „Umsatzsteuerlichen Organschaft“ (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) als nicht unionsrechtskonform beurteilt:

  • Während nach deutschem Wortlaut lediglich juristische Personen als Organgesellschaften zugelassen sind, sieht das übergeordnete Unionsrecht eine solche Einschränkung nicht vor. So dürften insbesondere auch Personengesellschaften einzubeziehen sein.
  • Nach nationaler Rechtsinterpretation erfordert die umsatzsteuerliche Organschaft ein Über-/Unterverordnungsverhältnis der beteiligten Gesellschaften. Nach Unionsrecht ist es dagegen ausreichend, wenn die Personen durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind. Die zuletzt durch den V. Senat des BFH zunehmend gesteigerten Anforderungen an die organisatorische Eingliederung dürften damit absehbar neu zu beurteilen sein.

Angesichts des eindeutigen Wortlautes der Mehrwertsteuersystemrichtlinie war eine entsprechende Beurteilung absehbar, zumal nicht erkennbar ist, inwieweit die enge Fassung des nationalen Rechts geeignet ist, tatsächlich einer (nach Unionsrecht zulässigen) Missbrauchsverhinderung zu dienen.

So klar das Urteil in diesen Grundsätzen ist, so schwierig ist für die Praxis die Ableitung sinnvoller Handlungsempfehlungen, da der EuGH zugleich entschieden hat, dass der Steuerpflichtige sich nicht – anders als etwa bei bestimmten Steuerbefreiungsvorschriften – unmittelbar auf das übergeordnete Unionsrecht berufen kann.

Es ist daher zunächst der weitere Verfahrenslauf, d.h. insbesondere die vom EuGH geforderte „unionsrechtskonforme Auslegung“ des nationalen Rechts durch den XI. Senat in den der Vorlage zugrunde liegenden Fällen, abzuwarten. Laufende Veranlagungen sind bei Bedarf, z.B. durch das Einlegen von Einsprüchen, offenzuhalten. Aktive Gestaltungen unter Berücksichtigung der Urteilsgrundsätze sollten nur unter gründlicher Abwägung der im Einzelfall bestehenden Risiken erfolgen.