Kein Ausschluss der Sozialversicherungspflicht bei „Zwischenschaltung“ einer GmbH

Die Beauftragung einer Ein-Personen-Kapitalgesellschaft kann ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis des alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers beim Auftraggeber begründen und bietet keinen wirksamen Schutz vor dem Risiko einer Scheinselbständigkeit. So entschied das Bundessozialgericht in gleich drei – kürzlich veröffentlichten – Entscheidungen.

Hintergrund

Beim Einsatz von  Soloselbständigen und der Inanspruchnahme von externer Beratung oder Dienstleistungen, aber auch Handwerkerleistungen stellt sich häufig die Frage, ob womöglich sozialversicherungsrechtlich von einer Scheinselbständigkeit auszugehen ist. Eine spätere Betriebsprüfung der Deutschen Rentenversicherung könnte dann im Nachhinein die Einordnung als selbständige Tätigkeit nicht anerkennen, was zu erheblichen Beitragsnachforderungen und Säumniszuschlägen führen würde.

Um diesem Risiko vorzubeugen hatte sich in der Vergangenheit eine Praxis entwickelt, bei der Beauftragte im Zweifel eine Ein-Personen-Kapitalgesellschaft gründeten und diese als Auftragnehmer „dazwischengeschaltet“ wurde. Auftragnehmer wurde also die neu gegründete Kapitalgesellschaft. Die vereinbarten Leistungen wurden gleichwohl durch die dahinterstehende, nun an der Gesellschaft allein beteiligte geschäftsführende natürliche Person ausgeführt.

Da nur eine natürliche Person sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein kann, sollte die Sozialversicherungspflicht auf diese Weise ausgeschlossen sein. Denn die leistende natürliche Person wird für ihre eigene Gesellschaft tätig. Auf diese hat sie wegen ihrer 100-Prozent-Beteiligung beherrschenden Einfluss und ist damit nicht sozialversicherungspflichtig. Eine Beschäftigung zwischen Auftraggeber und der geschäftsführenden Person entstehe aber mangels direktem Vertragsverhältnis nicht.

Dem schiebt das Bundessozialgericht (BSG) mit seiner neuen Rechtsprechung einen Riegel vor

Das BSG hat in drei Urteilen vom 20. Juli 2023 (B 12 BA 1/23 R; B 12 R 15/21 R; B 12 BA 4/22 R) entschieden, dass die an einer Kapitalgesellschaft allein beteiligte geschäftsführende Person auch dann sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein kann, wenn nur zwischen der Kapitalgesellschaft und dem Auftraggeber Verträge abgeschlossen wurden, die Tätigkeiten aber doch allein von einer hinter der Gesellschaft stehenden Einzelperson ausgeführt werden.

Das Fehlen von direkten Vertragsbeziehungen steht dem Beschäftigungsverhältnis beim Auftraggeber also nicht entgegen. Auch die grundsätzliche Trennung zwischen juristischen Personen und ihren Organen ändert daran nichts. Die Geschäftsführertätigkeit für die Gesellschaft schließt eine daneben ausgeübte Tätigkeit als Beschäftigter des Auftraggebers nicht aus.

In den drei entschiedenen Fällen waren natürliche Personen alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften in Form einer Unternehmergesellschaft (UG) oder GmbH. Diese Gesellschaften haben dann Verträge mit Dritten über die Erbringung von Dienstleistungen geschlossen. Konkret ging es um Pflegedienstleistungen und Beratungsleistungen. Die bei den Gesellschaften beauftragten Dienstleistungen erbrachten jeweils die alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführer persönlich.

Das BSG stellt auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls ab

Eine pauschale Verneinung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung allein aufgrund der vertraglichen Ausgestaltung lehnt das BSG ab. Vielmehr hängt die Beurteilung von einer Gesamtabwägung der konkreten tatsächlichen Umstände im Einzelfall ab. Es kommt auf die Art und Ausübung der Beschäftigung nach den allgemeinen Abgrenzungskriterien an, ob eine sozialversicherungspflichtige abhängige Beschäftigung bzw. ein Arbeitsverhältnis oder eine sozialversicherungsfreie selbständige Tätigkeit vorliegt. Die Beurteilung erfolgt also anhand der Vereinbarungen und der praktischen Durchführung, nicht aber nach der von den Parteien gewünschten Rechtsfolge.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidungen des BSG haben Rechtssicherheit geschaffen. Die unter Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers erbrachte Tätigkeit des Alleingesellschafters einer Kapitalgesellschaft ist als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu werten. Die bloße Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft ist nicht generell geeignet, die Sozialversicherungspflicht außer Kraft zu setzen.

Die Rechtsprechung des BSG bezieht sich auf Ein-Personen-Kapitalgesellschaften und ist auf Gesellschaften mit mehreren Gesellschaftern und eigenen Angestellten nicht unmittelbar anzuwenden. Absolute Rechtssicherheit lässt sich indes nur über eine abhängige Beschäftigung erzielen, die kurzfristig oder projektbezogen befristet sein kann. Als Alternative kommt ggfs. eine Arbeitnehmerüberlassung über einen Verleiher mit Erlaubnis (für maximal 18 Monate) in Betracht.

Auftraggebern ist nun umso mehr zu raten, bei der Beauftragung von Dienstleistungen das Risiko einer Scheinselbständigkeit sorgfältig zu prüfen und dabei auch Kapitalgesellschaften einzubeziehen. Denn die spätere Annahme einer Scheinselbständigkeit kann für den Auftraggeber nicht nur die Pflicht zur Zahlung der rückständigen Sozialversicherungsbeiträge, sondern auch – sofern sich die finanzgerichtliche Rechtsprechung der des BSG anschließt – die Haftung für nicht abgeführte Lohnsteuer und unzulässigerweise vorgenommene Vorsteuerabzüge zur Folge haben. Spätestens jetzt wird man sich bei der Zwischenschaltung von Kapitalgesellschaften auch nicht mehr auf den guten Glauben an die Sozialversicherungsfreiheit berufen können, was Säumniszuschläge auf die nachzuentrichtenden Beiträge unvermeidbar werden lässt. Daneben muss der Auftraggeber im schlimmsten Fall mit strafrechtlichen Vorwürfen rechnen.

Zur Risikominimierung bedarf es also klarer Prozesse, unternehmensinterner Kontrollmechanismen, sorgfältiger Vertragsgestaltung, gut geschulten, risikobewussten Personals bei der Auftragsvergabe und sorgfältiger Dokumentation. Hierbei handelt es sich um ein wichtiges Compliance-Feld, für das die Unternehmensleitung direkt verantwortlich ist.

Im Rahmen der Implementierung eines Compliance-Management-Systems für den Steuerbereich (mehr dazu hier) können diese prozessualen und organisatorischen Anforderungen sichergestellt werden.

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Autorin

Ines Otte
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 1/2024. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.