Keine Schlechterstellung von Teilzeitbeschäftigten bei Mehrarbeitsvergütung

Die Mitgliederversammlung der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) hat am 10. November 2023 die „Richtlinie der VKA zur Gewinnung und zur Bindung von Fachkräften“ (Fachkräfte-RL) und die „Richtlinie der VKA zur Gewährung einer Arbeitsmarktzulage“ (Arbeitsmarkt-RL) beschlossen.

In diesem Fall seien Teilzeitbeschäftigte durch die Regelung in höherem Maß belastet und die Ansprüche für eine Vergütung von Überstunden könnten seltener erfüllt werden. Diese Benachteiligung sei mit EU-Recht nicht vereinbar, sofern sich die Benachteiligung nicht durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der in Teilzeit tätige Kläger seinen Arbeitgeber auf Zahlung von Mehrflugdienststunden verklagt. Eine auf den Kläger anwendbare tarifliche Regelung sah vor, dass eine Mehrvergütung nur dann gezahlt wird, wenn eine bestimmte Anzahl an Flugdienststunden im Monat überschritten wird. Dabei wurde hinsichtlich des Schwellenwertes, dessen Überschreiten den Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung auslöst, nicht zwischen Teil- und Vollzeitkräften differenziert.

Diese Sachlage bewertete der Kläger als unzulässige Benachteiligung wegen seiner Teilzeitarbeit, da er nicht in dem Umfang von der tariflichen Vergütung für Mehrflugdienststunden profitieren konnte wie seine in Vollzeit tätigen Kollegen, ohne dass dafür ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vorliegt. Mit seiner Zahlungsklage machte der Kläger insoweit Mehrarbeitsvergütung geltend und berechnete dabei die Mehrflugdienststunden auf der Grundlage seiner Teilzeitquote.

Erstinstanzlich obsiegte der Kläger, verlor aber in der zweiten Instanz vor dem Landesarbeitsgericht München (LAG München). Das LAG München argumentierte, dass Zweck der tariflichen Sondervergütung von Mehrflugdienststunden nicht im Ausgleich der Inanspruchnahme von Freizeit des Piloten bestehe, sondern dadurch vielmehr die erhöhte Belastung der Piloten ausgeglichen werden solle.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Anfrage vor, ob formal gleiche Schwellenwerte wie im Streitfall mit § 4 Nr. 1 und Nr. 2 der Rahmenvereinbarung zur Richtlinie 97/81/EG zu vereinbaren sind, oder ob die Festlegung solcher einheitlichen Schwellenwerte Teilzeitkräfte diskriminiert.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH hat hierzu entschieden, dass Teilzeitkräfte benachteiligt werden, sofern bei der Zahlung einer tariflichen Mehrarbeitsvergütung ab Überschreiten einer bestimmten Anzahl von Arbeitsstunden nicht zwischen Voll- und Teilzeitkräften unterschieden wird.

Der EuGH führte hierzu u. a. aus, dass der Umstand, dass vorliegend ein teilzeitbeschäftigter Mitarbeiter die Mehrvergütung nicht mit der ersten Stunde erhält, mit der der Schwellenwert seiner individuellen täglichen Arbeitszeit überschritten wird, sondern erst dann, wenn der für vollzeitbeschäftigte Mitarbeitende geltende Schwellenwert überschritten wird, dazu führe, dass der Teilzeitbeschäftigte dieselbe Zahl an Arbeitsstunden wie ein Vollzeitbeschäftigter arbeiten müsse, um die Vergütung für die Mehrarbeit zu erhalten. Dabei würde die Schwelle nach Maßgabe seiner individuellen Arbeitszeit jedoch nicht herabgesetzt und insoweit nicht berücksichtigt.

Folge sei, dass teilzeitbeschäftigte Mitarbeitende die für den Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung erforderlichen Schwellenwerte nicht oder nur mit erheblich geringerer Wahrscheinlichkeit als Vollzeitbeschäftigte erhalten würden. Im Ergebnis müssten also Teilzeitbeschäftigte einen längeren Stundendienst als Vollzeitbeschäftigte leisten, was zu einer höheren Belastung der Teilzeitkräfte und zu einer Ungleichbehandlung bzw. schlechteren Behandlung i. S. v. § 4 Abs. 1 Rahmenvereinbarung führen würde. Eine Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung läge nur dann vor, wenn es dafür einen sachlichen Grund geben würde.

Ob ein solcher sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vorliegt, muss nun das BAG als mit dem Streitfall befasstes nationales Gericht klären.

Hinweise für die Praxis

Der Europäische Gerichtshof hat durch seine Entscheidung die Rechte von Teilzeitbeschäftigten bei der Mehrarbeitsvergütung gestärkt. Regelungen wie im vorliegenden Fall dürften also in der Regel wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot europarechtswidrig sein, sofern die Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt werden kann. Entsprechende in Unternehmen anwendbare Regelungen aus Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen sind insoweit auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen, insbesondere was die Rechtfertigung einer ggf. bestehenden Ungleichbehandlung durch einen ggf. bestehenden sachlichen Grund anbelangt. Die sachliche Rechtfertigung ist dabei anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls insbesondere auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer mittelbaren Diskriminierung zu überprüfen.

Autorin

Gudrun Egenolf
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