Neues zur Signing/Closing-Problematik bei der Grunderwerbsteuer durch das JStG 2022

Der unmittelbare oder mittelbare Übergang von mind. 90 % der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft innerhalb von zehn Jahren auf neue Gesellschafter führt zur Verwirklichung des § 1 Abs. 2a GrEStG (Personengesellschaften) bzw. § 1 Abs. 2b GrEStG (Kapitalgesellschaften; anwendbar erstmals für Erwerbsvorgänge ab 1. Juli 2021).

Darüber hinaus besteuern die §§ 1 Abs. 3 und 3a GrEStG die unmittelbare und/oder mittelbare Vereinigung von mind. 90 % der Anteile an einer grundbesitzenden Personen- oder Kapitalgesellschaft in der Hand eines Erwerbers. Die in § 1 Abs. 2a GrEStG und § 1 Abs. 2b GrEStG für Änderungen im Gesellschafterbestand normierten Ergänzungstatbestände gehen dabei den Regelungen zur Anteilsvereinigung vor („soweit eine Besteuerung nach den Absätzen 2a und 2b nicht in Betracht kommt“). Dieser Vorrang gilt auch dann, wenn die Steuer für den verwirklichten Tatbestand des § 1 Abs. 2a bzw. § 1 Abs. 2b GrEStG aufgrund einer Befreiungsvorschrift nicht erhoben wird.

Dennoch wirft die gesetzlich angeordnete Vorrangigkeit/ Subsidiarität Probleme auf: Denn während die Voraussetzungen des – subsidiären – § 1 Abs. 3 GrEStG grds. bereits bei Abschluss (Signing) eines Anteilskaufvertrags erfüllt sein können, werden die – vorrangig anzuwendenden – Tatbestände des § 1 Abs. 2a bzw. Abs. 2b GrEStG zeitlich erst mit Übergang der Anteile (Closing) verwirklicht. Das heißt, die jeweiligen Tatbestände werden – bei zeitlichem Auseinanderfallen von Signing und Closing – zu unterschiedlichen Zeitpunkten verwirklicht und könnten dadurch gegebenenfalls kumulativ eingreifen. Zudem unterscheiden sich die Vorschriften in der Steuerschuldnerschaft: Steuerschuldner bei § 1 Abs. 2a bzw. Abs. 2b GrEStG ist jeweils die grundbesitzende Gesellschaft selbst; bei § 1 Abs. 3 bzw. Abs. 3a GrEStG ist es dagegen die Gesellschaft, bei der die Anteilsvereinigung eintritt (bzw. bei § 1 Abs. 3 Nr. 3 und 4 GrEStG die Beteiligten).

Die Diskussionen um das Problem der etwaigen Doppelverwirklichung kamen erst mit/bei Einführung des neuen § 1 Abs. 2b GrEStG durch das Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes vom 12. Mai 2021 auf, obwohl sich das gleiche Thema eigentlich bereits in der Vergangenheit in Fällen des § 1 Abs. 2a GrEStG ergeben hätte (jedoch – soweit ersichtlich – nicht/kaum problematisiert wurde).

Regelung in den gleichlautenden Ländererlassen vom 10. Mai 2022

Anders als die herrschende Auffassung in der Literatur sieht die Finanzverwaltung Signing und Closing – jedenfalls bei zeitlichem Auseinanderfallen – als „zwei grunderwerbsteuerrechtliche Vorgänge“ an. Um die verfahrensrechtlichen Auswirkungen zu begrenzen, wurde in den gleichlautenden Ländererlassen zu § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG jeweils vom 10. Mai 2022 festgelegt, dass bei erfolgter Festsetzung nach § 1 Abs. 2a bzw. Abs. 2b GrEStG die Festsetzung nach § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG bei Grundstücksidentität aufzuheben oder zu ändern sei. Darüber hinaus sei eine Festsetzung nach § 1 Abs. 3 GrEStG bei Signing nur dann geboten, wenn eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a bzw. 2b GrEStG innerhalb eines Jahres nach Kenntnisnahme der Verwaltung von dem steuerbegründenden Sachverhalt nicht zu erwarten ist.

Die Regelungen in den Erlassen dürften als eine Art „Billigkeitslösung“ zu verstehen sein, da nach Auffassung der Finanzverwaltung die verfahrensrechtlichen Korrekturvorschriften nicht eingreifen.

§ 16 Abs. 4a und Abs. 5 GrEStG i. d. F. JStG 2022 vom 16. Dezember 2022:

Durch das JStG 2022 hat der Gesetzgeber nunmehr in § 16 Abs. 4a GrEStG eine Regelung eingeführt, nach der eine Festsetzung nach § 1 Abs. 3 bzw. 3a GrEStG auf Antrag nachträglich aufgehoben (bzw. geändert) wird, wenn in Erfüllung des Rechtsgeschäfts beim Übergang der Anteile § 1 Abs. 2a oder 2b GrEStG verwirklicht wird. Dies gilt jedoch nicht, wenn einer der in § 1 Abs. 3 oder 3a GrEStG oder in § 1 Abs. 2a oder 2b GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgänge nicht fristgerecht und in allen Teilen vollständig angezeigt war (§ 16 Abs. 5 S. 2 GrEStG). Bei nicht vollständiger oder nicht fristgerechter Anzeige nur einer der Vorgänge kann es daher zu einer Doppelbesteuerung kommen.

Die Regelungen des § 16 Abs. 4a und Abs. 5 GrEStG treten am 21. Dezember 2022 in Kraft. Da eine Anwendungsregelung fehlt, könnte die Regelung auch rückwirkend anwendbar sein. Dies dürfte verfassungswidrig sein.

Fazit

Auch wenn die verfahrensrechtlichen Regelungen in § 16 Abs. 4a und Abs. 5 GrEStG laut Gesetzesbegründung der Vermeidung einer zweifachen Belastung mit Grunderwerbsteuer dienen, legen sie aufgrund der restriktiven Ausgestaltung dieses Risiko gerade fest. Vor diesem Hintergrund ist in der Praxis bei jedem Share Deal darauf zu achten, vollständige und fristgerechte Anzeigen des jeweiligen Steuerschuldners bei Signing und bei Closing einzureichen.

Autor

Stephan Franzen
Tel: +49 221 28 20 2456

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Immobilienrecht Newsletter 1-2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.