Das Maßregelungsverbot – Einfallstor für erfindungsreiche Arbeitnehmer? Zugleich eine Entscheidungsbesprechung

Immer wieder fühlen sich Arbeitnehmer im Alltag benachteiligt und das sogenannte „Maßregelungsverbot“ soll zum Zug kommen. Das Maßregelungsverbot ist verankert in § 612a BGB und es besagt: „Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise Rechte ausübt“.

Das Maßregelungsverbot soll Arbeitnehmer in ihrer Entscheidungsfreiheit, ein Recht auszuüben, schützen. Eine Benachteiligung ist dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber die Maßnahme gegenüber einem vergleichbaren Arbeitnehmer, der sein Recht nicht ausgeübt hat, nicht durchführen würde.

Die Rechtsausübung muss Ursache und nicht nur Anlass der Benachteiligung sein. Es gibt verschiedene Beispiele der zulässigen Rechtsausübung, wie zum Beispiel das Fernbleiben der Arbeit wegen notwendiger Pflege des kranken eigenen Kindes, die Aufforderung durch den Arbeitnehmer, eine Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen oder kritische Äußerungen in Betriebsversammlungen oder anderen Veranstaltungen. Der Arbeitnehmer darf diese Rechte ausüben. Wird ihm diese Rechtsausübung allerdings verkürzt und verschlechtert sich die Rechtsposition des Arbeitnehmers, so stellt dies eine unzulässige Benachteiligung dar. Auch das Vorenthalten von Vorteilen gegenüber dem Arbeitnehmer stellt eine Benachteiligung dar und ist ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot.

Die Entscheidung des BAG vom 20. Mai 2021 – Aktenzeichen 2 AZR 560/20

Das BAG hatte über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung zu entscheiden. Der Geschäftsführer der Beklagten legte dem Kläger Pflichtverletzungen zur Last und mahnte ihn deshalb ab. Der Kläger war anschließend arbeitsunfähig erkrankt. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gab er fristgerecht bei der Beklagten ab. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich mit Schreiben vom gleichen Tag wie die Krankmeldung.

Der Kläger hat sich mit der vorliegenden Klage dagegen gewandt. Die Kündigung sei u. a. wegen Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot unwirksam. Die früheren Abmahnungen enthielten zudem unzutreffende Vorwürfe und seien deshalb aus seiner Personalakte zu entfernen.

Nach dem Urteil des BAG ist eine Kündigung aus Anlass einer Krankmeldung allerdings nur dann eine unzulässige Maßregelung, wenn gerade das Fernbleiben von der Arbeit sanktioniert werden soll. Will der Arbeitgeber dagegen für die Zukunft erwartete Folgen weiterer Arbeitsunfähigkeit, insbesondere Betriebslaufstörungen vorbeugen, fehle es an einem unlauteren Motiv für die Kündigung.

Für das Maßregelungsverbot sei nur maßgeblich, ob der tragende Beweggrund eine zulässige Rechtsausübung war, und nicht, ob die Motive für die Maßnahme objektiv berechtigt waren.

Gefahren für den Arbeitgeber aus einem Verstoß gegen das Maßregelungsverbot

Rechtsfolgen sind die Unwirksamkeit der Maßnahme zulasten des Arbeitnehmers wie auch die Umsetzung einer Handlung zugunsten des Arbeitnehmers.

Primäre Rechtsfolge ist meist die Nichtigkeit des gegen das Maßregelungsverbot verstoßenden Rechtsgeschäfts, etwa der Kündigung. Auch tatsächliche Maßnahmen des Arbeitgebers wie verbotswidrige Arbeitszuweisungen oder Anordnungen sind rechtswidrig und für den Arbeitnehmer unverbindlich. Er braucht sie nicht zu beachten, ohne sich auf weitere Rechte wie ein Zurückbehaltungsrecht seiner Arbeitsleistung (§ 273 BGB) berufen zu müssen.

Hierzu kann der Arbeitnehmer Beseitigung der Maßnahme und etwa bei Wiederholungsgefahr Unterlassung verlangen. Auch besteht eine Pflicht zur Leistung von Schadenersatz für den Arbeitgeber, wenn dem Arbeitnehmer ein Vermögensschaden entstanden ist.

Die Problematik

Es liegt wie aufgezeigt nur dann ein Verstoß gegen das im Gesetz nominierte Maßregelungsverbot vor, wenn einem Arbeitnehmer wegen etwa einer Krankmeldung gekündigt wird. Der Arbeitnehmer übt nämlich mit der Krankmeldung nur in zulässiger Weise eigene Rechte aus und darf deshalb nicht gekündigt werden.

Es wird allerdings in der Praxis häufig nicht nachweisbar sein, dass die Kündigung gerade aus diesem Grund erging. Nur etwa, wenn der Arbeitgeber – vielleicht unglücklicherweise – ausdrücklich als Grund der Kündigung benennt, dass der Arbeitnehmer seine Rechte geltend gemacht habe (Rechte wie eben Krankmeldung, aber auch Streikteilnahme, Klage auf Entgeltfortzahlung bei Krankheit und vieles mehr), wird das Maßregelungsverbot eingreifen und etwa eine Kündigung unwirksam sein.

Praxishinweise

Die primäre Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß des Arbeitgebers gegen das Maßregelungsverbot liegt beim Arbeitnehmer. Im Ergebnis kann dies, wenn der Arbeitgeber sich klug verhält, zu einer erheblichen Minimierung seines Risikos führen. Denn nur die sog. sekundäre Beweislast liegt beim Arbeitgeber, also bei der Gegenpartei, wenn die primär beweispflichtige Partei, also der Arbeitnehmer, nicht nur quasi ins Blaue hinein einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot behauptet.

Weiterhin gibt es zwar auch noch den sog. Beweis des ersten Anscheins, der dem Arbeitnehmer zugutekommen kann. Hierbei ist es notwendig, dass sich unter Berücksichtigung des festgestellten Sachverhalts ein für die zu beweisende Tatsache nach der Lebenserfahrung typischer Geschehensablauf ergibt. Aber nur wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die Maßnahme des Arbeitgebers als Reaktion auf die Ausübung eines Rechts durch den Arbeitnehmer erfolgt ist und ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Rechtsausübung und Maßnahme des Arbeitgebers besteht, ist insbesondere ein Anscheinsbeweis anzunehmen.

Sind also entscheidungserhebliche Behauptungen streitig, hat der Arbeitnehmer regelmäßig den Grund und den Zusammenhang zwischen Rechtsausübung und Maßnahme darzulegen und zu beweisen (Kausalität), und dies wird er bei dem klug beratenen Arbeitgeber vermutlich nur in seltenen Fällen können.

Also in der Praxis doch eher hohe Hürden und kein Einfallstor für findige Arbeitnehmer. Vorausschauendes Verhalten und gute Beratung des Arbeitgebers ist gefragt und oftmals gilt dann auch hier „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“.

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Autor

Andreas Thomas
Tel: +49 69 96 76 51 663

   

Dies ist ein Beitrag aus unserem Newsletter „Menschen im Unternehmen“ 2-2021. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.