Zinsen werden neu geregelt; auch Säumniszuschläge könnten verfassungswidrig sein - Referentenentwurf BMF vom 22. Februar 2022

Mit Beschluss vom 8. Juli 2021, veröffentlicht am 18. August 2021, hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden: Ein Zinssatz von 0,5 % pro Monat für Steuernachforderungen ist zu hoch und verstößt gegen das Grundrecht auf Gleichbehandlung. Das BMF hat einen Vorschlag zur Neuregelung der Zinsen erstellt, demnach der Zinssatz deutlich herabgesetzt werden und in Zukunft regelmäßig evaluiert werden soll. Finanzgerichte und auch der BFH ziehen zudem mit Blick auf den Beschluss des BVerfG auch die Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge in Zweifel.

Referentenentwurf BMF: Herabsetzung des Zinssatzes auf 0,15 % pro Monat

Kern des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) war, dass der bisherige Zinssatz für Nachzahlungszinsen von 0,5 % pro Monat (also 6 % pro Jahr) nicht mehr den heute üblichen Zinsen am Kapitalmarkt, und damit auch nicht mehr dem Vorteil entspricht, der sich aus der erst späteren Zahlung von Steuern ergibt. Für Verzinsungszeiträume bis Ende 2018 soll der alte Zinssatz fortgelten, für Verzinsungszeiträume ab 2019 hat das BVerfG den Gesetzgeber aber verpflichtet, bis Ende Juli 2022 eine rückwirkende verfassungsgemäße Neuregelung zu erlassen. Dabei hat der Gesetzgeber einen gewissen Ermessensspielraum, der auch einen starren, aber realitätsgerechten Zinssatz ermöglicht. Einzelheiten finden Sie hier.

Der Referentenentwurf des BMF vom 22. Februar 2022 will den Zinssatz rückwirkend zum 1. Januar 2019 auf 0,15 % pro Monat herabsetzen, also auf 1,8 % pro Jahr. Um zukünftigen Entwicklungen gerecht zu werden, soll die Angemessenheit des Zinssatzes unter Berücksichtigung des Basiszinssatzes nach § 247 BGB alle drei Jahre evaluiert werden. Damit nähert sich das BMF der Realität am Kapitalmarkt zwar an, entspricht ihr aber nicht voll: Der von der Deutschen Bundesbank veröffentlichte Basiszinssatz beträgt seit 2019 bis heute -0,88 %. Mit der Abschaffung der Vollverzinsung konnte sich das BMF nicht anfreunden; genauso wenig wie mit einer vollständigen Bindung an den Basiszinssatz. Der Staatshaushalt wird es danken. Denkbar erscheint aber, dass auch gegen den neuen Zinssatz Verfassungsbeschwerden erhoben werden.

Sobald das Gesetz in Kraft ist, werden die Finanzämter die derzeit ruhenden Verfahren wieder aufnehmen und Zinsen entsprechend festsetzen.

BFH und FG Münster zweifeln Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge an

Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist gem. § 240 AO für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten. Hieraus ergibt sich ein jährlicher Zinssatz von 12 % – dass dies mit der Realität am Kapitalmarkt nichts zu tun hat, springt ins Auge. So verwundert es nicht, dass angesichts des Beschlusses des BVerG auch (bzw. erst recht) die Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge angezweifelt wird.

Das FG Düsseldorf verteidigt in seinem Urteil vom 22. April 2021 (12-K-1420/20-AO) die Säumniszuschläge und bezieht sich dabei auf einen Beschluss des FG Münster vom 29. Mai 2020 (12-V-901/20-AO): Die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes seien auf die Säumniszuschläge nicht übertragbar. Säumniszuschläge seien ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerpflichtigen zur fristgemäßen Zahlung anhalten soll. Sie seien damit eine Art Zwangsmittel. Außerdem stellen sie eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung dar und sollen den Verwaltungsaufwand der Finanzämter ausgleichen, der durch die verspätete Zahlung entsteht. Dabei sei die Funktion des Druckmittels vorrangig, was gegen eine Vergleichbarkeit mit den Zinsen spreche. In der Literatur werde zwar teilweise vertreten, die Säumniszuschläge enthielten einen Zinsanteil – dem folgt das FG Düsseldorf aber nicht.
Das FG Münster hat allerdings inzwischen seine Meinung geändert, unter anderem in seinem Beschluss vom 16. Dezember 2021 (12-V-2684/21): Demnach bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge. Zwar habe das BVerfG in seinem Beschluss betont, dass Verzinsungstatbestände, bei denen der Steuerpflichtige entscheiden könne, ob sie erfüllt werden, einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Würdigung bedürfen – und stellt somit eine Verbindung zu den Säumniszuschlägen her. Auch hier hat es der Steuerpflichtige in der Hand, sich zinsgünstig Liquidität am Kapitalmarkt zu beschaffen, so die Steuerschuld zu tilgen und die teuren Säumniszuschläge zu vermeiden.

Das FG Münster verweist hier aber u. a. auf den Beschluss des BFH vom 14. April 2020 (VII B 53/19) und auf einen nicht veröffentlichten Beschluss vom 30. Juni 2020 (VII R 63/18). Dort hat der BFH ausgeführt, verfassungsrechtliche Zweifel seien jedenfalls insoweit begründet, als Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukomme, sondern die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung, mithin also eine zinsähnliche Funktion. In dem zugrunde liegenden Fall, einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, hat sich der Antrag allerdings auf die Hälfte der Säumniszuschläge beschränkt, welche nach Auffassung des Antragstellers den Zinsanteil darstelle. Somit musste der BFH hier nicht über die Höhe der Säumniszuschläge insgesamt entscheiden.

Angesichts dieser Gemengelage erscheint es denkbar, dass auch die Tage der 12%igen Säumniszuschläge gezählt sein könnten. In geeigneten Fällen kann es daher ratsam sein, entsprechende Abrechnungsbescheide mit dieser Begründung offen zu halten.

(Stand: 29.03.2022)