EuGH beerdigt das Zwischenschaltmodell: Entscheidung vom 8. September 2022, C-98/21

Der BFH hatte dem EuGH im September 2020 einen Fall vorgelegt, bei dem zur „Vorsteueroptimierung“ eine unternehmerische Holdinggesellschaft zwischengeschaltet wurde. Der Generalanwalt hatte in seinem Schlussantrag ausführlich begründet, warum dies abzulehnen sei (wir berichteten hier und hier). Der EuGH trägt das Zwischenschaltmodell nun endgültig zu Grabe.

Klägerin erbringt Gesellschafterbeiträge, anstatt Leistungen weiterzubelasten

Die Klägerin hielt Beteiligungen an zwei Gesellschaften, die Wohnbauprojekte durchführten und diese Wohneinheiten überwiegend steuerfrei verkauften. Daher stand ihnen aus zu diesem Zweck bezogenen Eingangsleistungen kein Vorsteuerabzug zu. Eingangsleistungen, die die Gesellschaften benötigten, kaufte die Holding (die Klägerin) ein und beanspruchte den Vorsteuerabzug. Diese Dienstleistungen belastete sie den Gesellschaften nicht als Leistungen weiter, sondern erbrachte insoweit (nicht steuerbare) Gesellschafterbeiträge. Dadurch entstand für die Gesellschaften keine nicht abziehbare Vorsteuer. Die Klägerin erbrachte daneben steuerbare und steuerpflichtige Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen für die Tochtergesellschaften und begründete so ihre Unternehmereigenschaft.

BFH-Vorlage

Der BFH hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob der Klägerin der Vorsteuerabzug nach den umsatzsteuerlichen Grundsätzen zustehe. Für den Fall, dass der EuGH dies bejaht, wollte der BFH wissen, ob eine solche Gestaltung als missbräuchlich anzusehen und der Vorsteuerabzug aus diesem Grund zu versagen sei.

EuGH: Kein Vorsteuerabzug

Der EuGH stellt zunächst fest, dass die von der Klägerin bezogenen Leistungen nicht in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit den entgeltlichen Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen, sondern mit den weitgehend steuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen. Der Vorsteuerabzug käme somit nur dann in Betracht, wenn die Kosten für diese Eingangsleistungen Teil der allgemeinen Aufwendungen der Klägerin wären und als solche Kostenelemente der von ihr erbrachten Leistungen wären. Dies verneinte der EuGH ebenfalls und bezog sich dabei auf seine frühere Rechtsprechung, nach der hierfür der „ausschließliche Entstehungsgrund“ maßgeblich sei. Der ausschließliche Entstehungsgrund der von der Klägerin bezogenen Leistungen sei der Gesellschafterbeitrag – die Eingangsleistungen waren somit keine Kostenelemente besteuerter Ausgangsleistungen.

Zwar hat der EuGH in seiner früheren Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen Vorsteuer aus Eingangsleistungen zum Abzug zuglassen, die im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Beteiligung bezogen wurden. Ein solcher Fall liege hier aber nicht vor, da die Eingangsleistungen nicht dem Erwerb der Beteiligung, sondern einem Gesellschafterbeitrag gedient haben, was Teil des nicht steuerbaren Haltens der Beteiligung sei.

Ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang der von der Klägerin bezogenen Leistungen bestehe hingegen mit den Ausgangsleistungen der Beteiligungen, woraus geschlossen werden müsse, dass ein solcher Zusammenhang mit den Ausgangsumsätzen der Klägerin nicht bestehen könne.

Mit der Frage, ob die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs durch die Klägerin missbräuchlich im Sinne von § 42 AO sei, musste sich der EuGH nicht mehr befassen, da der Vorsteuerabzug bereits aus originär umsatzsteuerrechtlichen Gründen ausschied.

Einordnung

Der durch das Zwischenschaltmodell erlangte Vorsteuerabzug ist systemwidrig. Dies hatte der Generalanwalt in seinem Schlussantrag deutlich herausgearbeitet: Es hätte keinen Vorsteuerabzug gegeben, wenn

  • die Holding keinen Gesellschafterbeitrag erbracht, sondern die Dienstleistungen regulär als solche weiterbelastet hätte,
  • die Gesellschaften die benötigten Leistungen von vornherein selbst bezogen hätten,
  • die Holding den Gesellschafterbeitrag nicht durch die Einlage von Dienstleistungen, sondern in Geld erbracht hätte und die Gesellschaften mit diesem Geld die von ihr selbst bezogenen Dienstleistungen bezahlt hätten.

Es ist zu erwarten, dass der BFH entsprechend der EuGH-Entscheidung urteilen wird. Wie sich die Finanzverwaltung dazu verhalten wird, bleibt abzuwarten. Unternehmen sollten in vergleichbaren Konstellationen keinen Vorsteuerabzug mehr geltend machen, ohne dies dem Finanzamt offenzulegen. Betroffen ist davon vor allem die Finanzdienstleistungs- und Immobilienbranche, die nicht bzw. nicht voll zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Für diese Unternehmen werden die nicht abziehbaren Vorsteuern zu Kosten.

Offen ist, welche Schlüsse der BFH aus dieser EuGH-Entscheidung für das Verfahren V B 63/20 ziehen wird (unsere detaillierte Erörterung finden Sie hier). Der BFH hatte dieses Verfahren ausgesetzt, um die hier besprochene EuGH-Entscheidung abzuwarten. Allerdings war in diesem ausgesetzten Verfahren der Sachverhalt anders: Die Holding strengte hier einen Schadensersatzprozess gegen den spanischen Staat wegen Wertminderung ihrer Beteiligung an, die durch eine geänderte Gesetzeslage verursacht worden sein sollte. Die Holding machte den Vorsteuerabzug aus Beratungsleistungen in diesem Zusammenhang geltend. Diese Kosten belastete die Holding nicht an die Tochtergesellschaft weiter. Finanzamt und Finanzgericht versagten der Holding den Vorsteueranspruch. Der wesentliche Unterschied zum jetzt entschiedenen EuGH-Fall ist, dass diese Beratungsleistungen im Interesse der Holding waren, nicht im Interesse der Beteiligung. Wie der BFH damit umgehen wird, darf mit Spannung erwartet werden.

17. Oktober 2022