BFH-Urteil zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und zur sog. Verklammerung von Stromerzeugungsanlagen

Der Bundesfinanzhof (BFH, Urteil vom 17. Oktober 2023, Az. VII R 50/20) hat sich zur Versagung der Steuerbefreiung für sog. „Strom zur Stromerzeugung“ gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG geäußert. In diesem Zusammenhang ist der BFH auch auf die Frage eingegangen, ob die Versagung einer Steuerbefreiung aufgrund fehlender Erlaubnis des Hauptzollamts (HZA) mit dem Unionsrecht und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist. Darüber hinaus hat der BFH interessante Ausführungen zu der Frage gemacht, ob mehrere an unterschiedlichen Standorten befindliche Stromerzeugungsanlagen als eine einheitliche Anlage (sog. Verklammerung) behandelt werden können.

Sachverhalt

Die Klägerin betrieb im Jahr 2017 fünf mit Biomasse betriebene Blockheizkraftwerke (BHKW) mit einer elektrischen Nennleistung von jeweils unter zwei Megawatt (MW). Die BHKW befanden sich an ihrem Betriebssitz sowie an zwei weiteren Standorten und wurden mit dem von der Klägerin hergestellten Biogas betrieben. Der erzeugte Strom wurde von der Klägerin in das öffentliche Stromnetz eingespeist und von der A GmbH – und nicht von der Klägerin selbst – an Letztverbraucher geleistet. Die A GmbH war durch eine Fernsteuerung der BHKW jederzeit in der Lage, die jeweilige Ist-Einspeisung zu kontrollieren und die Einspeiseleistung entsprechend zu regulieren.

Das HZA war der Auffassung, dass der von der Klägerin verbrauchte Strom steuerpflichtig ist, und setzte die Stromsteuer mit Bescheid fest. Das FG Düsseldorf gab der Klägerin erstinstanzlich mit Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH recht. Hiergegen richtete sich die Revision des HZA, die der BFH als begründet ansah.

Entscheidungsgründe

Der BFH versagte der Klägerin die Steuerbefreiung für Strom zur Stromerzeugung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG, weil die Klägerin nicht die erforderliche Erlaubnis gehabt hat. In der Versagung liege kein Verstoß gegen den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Nach diesem ist es Mitgliedstaaten nicht gestattet, Maßnahmen zu erlassen, die über das Ziel hinausgehen, die effiziente Anwendung unionsrechtlich vorgesehener Steuervorteile zu gewährleisten und Steuerhinterziehung oder -missbrauch zu verhindern. Die Klägerin könne mangels Erlaubnis die Steuerbefreiung zwar nicht geltend machen, allerdings stünde ihr der Steuervorteil im Wege der Entlastung nach § 12a StromStV nach wie vor zur Verfügung. Der BFH bezog sich auf die jüngst ergangene EuGH-Rechtsprechung in Bezug auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und konkretisierte sie.

Die zur Stromerzeugung verbrauchte Strommenge sei auch nicht gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG (a. F.) steuerfrei, da dieser von der Klägerin nicht aus einem ausschließlich mit erneuerbaren Energieträgern gespeisten Netz oder einer entsprechenden Leitung entnommen wird. Das allgemeine Versorgungsnetz enthält nach allgemeiner Auffassung neben Strom aus erneuerbaren Energieträgern noch sog. Egalstrom (Strom unbekannter Herkunft).

Abschließend stellt der BFH klar, dass die Klägerin auch die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a StromStG nicht erfüllte. Diese Befreiung ist lediglich für Strom vorgesehen, der in Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von maximal zwei MW erzeugt wird und vom Betreiber der Anlage zum Selbstverbrauch entnommen wird. Der maßgebliche funktionsbezogene Anlagenbegriff schließt eine isolierte Betrachtung einzelner Stromerzeugungsanlagen aus, wenn die Voraussetzungen einer sog. Anlagenverklammerung gegeben sind. Eine isolierte Betrachtung laufe laut BFH dem Sinn und Zweck der Vorschrift entgegen, wonach vorwiegend die dezentrale Stromerzeugung in kleinen Anlagen unter zwei MW von einer Besteuerung freizustellen sei. Mehrere Stromerzeugungseinheiten an unterschiedlichen Standorten seien nach § 12b Abs. 2 Satz 1 StromStV als eine Anlage zu behandeln, wenn – wie nachweislich erfüllt – eine zentrale Steuerung zum Zweck der Stromerzeugung vorliegt.

Bedeutung für die Praxis

Der BFH hat die Aussagen des EuGH (Urteil vom 22. Dezember 2022, C-553/21) zu formellen Voraussetzungen eines Steuervorteils mit dieser Entscheidung konkretisiert. Auf nationaler Ebene steht einem Unternehmen, welches Strom zur Stromerzeugung entnimmt, trotz einer fehlenden Erlaubnis für die steuerfreie Entnahme die Möglichkeit der Steuerentlastung offen. Die Versagung der Steuerbefreiung wegen fehlender Erlaubnis sei daher nicht unverhältnismäßig.

Eine klare Position bezog der BFH auch bei der Verklammerung mehrerer Stromerzeugungseinheiten zu einer Anlage. So führe die Möglichkeit zur Fernsteuerbarkeit einer Anlage und der funktionale Anlagenbegriff zur sog. Verklammerung und damit stets zu einem Ausschluss der Steuerbefreiung. Diese enge Auslegung sollte Anlagenbetreiber dazu bewegen, ihre Anlagen dahingehend zu überprüfen und damit eine korrekte steuerliche Behandlung sicherzustellen.

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