Update: Einsprüche gegen Zinssatz werden per Allgemeinverfügung zurückgewiesen - Verfügung vom 29. November 2021

Die obersten Finanzbehörden der Länder lehnen Einsprüche gegen die Höhe des Zinssatzes bei Steuernachforderungen und -erstattungen für Verzinsungszeiträume vor 2019 mit einer Allgemeinverfügung ab. Insoweit werden keine individuellen Einspruchsentscheidungen der Finanzämter ergehen. Gegen diese Allgemeinverfügung kann Klage vor dem Finanzgericht erhoben werden. Es läuft bereits eine einjährige Klagefrist.

BVerfG: Zinssatz bleibt bis einschließlich 2018 bestehen

Mit Beschluss vom 8. Juli 2021, veröffentlicht am 18. August 2021, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden: Ein Zinssatz von 0,5 % pro Monat verstößt gegen das Grundrecht auf Gleichbehandlung. Für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 31. Dezember 2018 gilt der Zinssatz jedoch fort. Einzelheiten finden Sie hier.

Finanzverwaltung: Einsprüche und Änderungsanträge wegen Zinssatz vor 2019 sind zurückzuweisen

Für Verzinsungszeiträume vor 2019 hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) die Finanzämter bereits mit Schreiben vom 17. September 2021 angewiesen, die Einsprüche gegen die Zinsbescheide wegen der Verfassungswidrigkeit der Höhe des Zinssatzes als unbegründet zurückzuweisen. Nun geht die Finanzverwaltung einen noch einfacheren Weg: Am 29. November 2021 haben die obersten Finanzbehörden der Länder eine sog. Allgemeinverfügung erlassen, nach der an diesem Tag anhängige und zulässige Einsprüche gegen die Festsetzung von Zinsen für Verzinsungszeiträume vor dem 1. Januar 2019 zurückgewiesen werden, ohne dass es eines Tätigwerdens der Finanzämter bedarf.

Mit der Allgemeinverfügung werden darüber hinaus am 29. November 2021 anhängige, zulässige (schlichte) Anträge auf Änderung der Zinsfestsetzung außerhalb eines Einspruchsverfahrens abgelehnt.

Besonderheiten der Allgemeinverfügung

Eine Allgemeinverfügung ersetzt individuelle Einspruchsentscheidungen der Finanzämter und dient damit der Verfahrensökonomie. Sie wird den Betroffenen nicht persönlich bekanntgegeben, sondern im Bundessteuerblatt I veröffentlicht. Eine Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, gegen den, genau wie gegen eine individuelle Einspruchsentscheidung, Klage vor dem Finanzgericht erhoben werden kann. Sie gilt am Tag nach der Herausgabe der entsprechenden Ausgabe (Nummer) des Bundessteuerblatts I als bekanntgegeben. Ab dem Folgetag läuft eine verlängerte Klagefrist von einem Jahr. Die Allgemeinverfügung vom 29. November 2021 wurde in der am 8. Dezember 2021 herausgegebenen Nummer 22 des Bundessteuerblattes I veröffentlicht. Die Klagefrist beginnt somit am 9. Dezember 2021 und endet mit Ablauf des 8. Dezember 2022.

Anwendungsbereich der Allgemeinverfügung

Die Allgemeinverfügung erfasst nur Verzinsungszeiträume, die spätestens am 31. Dezember 2018 enden. Soweit sich ein anhängiger Einspruch oder Änderungsantrag auch auf nachfolgende Verzinsungszeiträume bezieht, entfaltet die Allgemeinverfügung keine Wirkung, d. h. die Allgemeinverfügung beinhaltet dann nur eine Teileinspruchsentscheidung bzw. eine Teilablehnung des Änderungsantrags. Insoweit werde das Finanzamt nach der gesetzlichen Neuregelung das Verfahren über den Einspruch oder den Änderungsantrag fortsetzen. Einsprüche und Änderungsanträge gegen Zinsbescheide, die sich (auch) auf andere Gründe als die Verfassungswidrigkeit der Höhe des Zinssatzes stützen, werden durch die Allgemeinverfügung (insoweit) nicht zurückgewiesen.

Zu beachten ist ferner, dass die Allgemeinverfügung sich nicht auf Nachzahlungszinsen betreffend die Gewerbesteuer erstreckt.

Erfolgsaussichten einer Klage

Durch die Fortgeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts hat eine Klage vor deutschen Finanzgerichten, die sich auf die Verfassungswidrigkeit der Höhe des Zinssatzes stützt, keine Aussicht auf Erfolg. Im Bereich der durch die Mehrwertsteuersystemrichtlinie harmonisierten Umsatzsteuer begründen aber möglicherweise auch der europarechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes. Hierauf könnte eine Klage vor dem Finanzgericht gestützt und eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof angeregt werden.

Ergänzendes BMF-Schreiben vom 3. Dezember 2021 für Verzinsungszeiträume ab 2019

Mit BMF-Schreiben vom 3. Dezember 2021 ergänzt die Finanzverwaltung das BMF-Schreiben vom 17. September 2021. Enthalten ist zum einen eine Klarstellung zum Umgang mit Einspruchsverfahren gegen die vorläufige Festsetzung von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 1. Januar 2019. Auch diese Verfahren und die Vollziehung der Bescheide sind auszusetzen. Zum anderen enthält das neuerliche BMF-Schreiben eine Anweisung zur vorläufigen Festsetzung von Hinterziehungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 1. Januar 2019, soweit festgesetzte Nachzahlungszinsen für gleiche Verzinsungszeiträume anzurechnen sind.

(Stand: 27.01.2022)