Aufsichtsrats-Forum: „Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung“

Am 30. Januar 2020 hat die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Mazars in Zusammenarbeit mit AdAR e.V. und der europäischen Aufsichtsratsorganisation ecoDa Aufsichtsräte und Investoren zu einer Forumsdiskussion zum Thema „Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung“ eingeladen. Hier fassen wir die zentralen Aspekte der Diskussion zusammen.

Kontinuierliche Veränderung der Rahmenbedingungen

Immer häufiger folgen auf Verstöße gegen „unverbindliche“ Standards oder gesellschaftliche Werte neue Gesetze. Ein zunehmender Regulationsdruck sorgt dafür, dass sich Unternehmen mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen müssen. Aufsichtsrat und Vorstand sollten bei der Integration von Nachhaltigkeitsthemen in Unternehmensstrategie und -prozesse daher idealerweise eng zusammenarbeiten. In der Praxis zeigt die Governance an dieser Stelle allerdings meistens noch deutliche Defizite auf.

Die wesentlichen Treiber für die Entwicklung in den Unternehmen sind Gesetze, öffentlicher Druck und wirtschaftliche Zwänge. Dabei kommt die schnellste Reaktion vom Kapitalmarkt. Immer häufiger gilt: Je größer die Nachhaltigkeitsrisiken und schlechter die Nachhaltigkeitsperformance eines Unternehmens, desto teurer die nächste Finanzierungsrunde. So unterstützt der Kapitalmarkt eine nachhaltige Entwicklung von Unternehmen. Entsprechend müssten nicht-finanzielle Informationen konsequent als „Pre-Financials“ bezeichnet werden, die sich im Verlauf des Unternehmens-Lebenszyklus materialisieren.

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Von links nach rechts: Kai Beckmann (Mazars, AdAR/CSR Fachausschuss) diskutiert mit Hendrik Schmidt (Assistant Vice President, Corporate Governance Center, DWS Investment GmbH. Mitglied DVFA Kommission Governance & Stewardship, BVI Arbeitskreis Corporate Governance), Angelika Polenz (Aufsichtsrätin MAN SE, ehemals Generalsekretär der Internationalen Handelskammer (ICC). Vorsitzende der Stiftung des UN Global Compact, Deutsches Netzwerk) und Marc Tüngler (Hauptgeschäftsführer der DSW – Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e. V., Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, Vorstand Arbeitskreis deutscher Aufsichtsrat e.V.,  AdAR, Aufsichtsrat)

Nachhaltigkeit erfordert umfangreiche Expertise in Unternehmen und Aufsichtsrat

Heute existieren Unternehmensstrategie und Nachhaltigkeitsstrategie oft nebeneinander. Aufsichtsräte sollten auf die Entwicklung einer nachhaltigen Unternehmensstrategie hinwirken. Dazu ist Nachhaltigkeit in Unternehmensprozesse und -strategien sowie insbesondere in die Steuerungs- und Überwachungssysteme zu integrieren. Dieser wesentliche Change setzt die Fähigkeit zur weitreichenden Antizipation voraus, da die Diskussion um die nachhaltige Unternehmensstrategie viel weiter vorne auf dem Zeitstrahl beginnen muss, als eine klassische Drei- oder Fünf-Jahres-Planung. Sie beginnt bereits bei der Governance des Unternehmens!

Um die Chancen von Nachhaltigkeit zu nutzen, ist ein Ziel des eigenen Unternehmens zu definieren und die dafür relevanten Nachhaltigkeits-Themen festzulegen. Die Grundlage für diese strategische Ausrichtung, die ein auf Entwicklung und Chancen ausgerichtetes Agieren ermöglicht, ist Wissen. Erst wenn die spezifischen Nachhaltigkeitsziele und -themen feststehen, können darauf ausgerichtet Entscheidungen gefällt werden: Unternehmen legen damit fest, welche Umsätze sie machen möchten, welche Geschäfte in Zukunft gemacht werden sollen – und welche nicht. Unter Umständen heißt Nachhaltigkeit nämlich auch, dass Unternehmen auf bestimmte Umsätze verzichten, wobei der Verzicht auf der einen Seite nachhaltigen Umsatz auf der anderen Seite ermöglichen kann.

Aus Sicht der Diskussionsteilnehmer gehört das Thema Nachhaltigkeit mit Nachdruck auf die Agenda der Aufsichtsräte und in die Governance-Diskussion. Die Verantwortung für die Thematik muss den Aufsichtsrat zum kritischen Fragesteller machen: Wo erfahre ich etwas über den Umgang mit Nachhaltigkeits-Risiken? Wie werden diese gemanagt? Welche ESG-Risiken finden sich im Risikokatalog? Welche Risiken sind darüber hinaus wesentlich und noch nicht berücksichtigt?

Zwischen Performance und Reporting

Mit der Offenlegung seiner nicht-finanziellen Informationen schafft ein Unternehmen die zunehmend geforderte Transparenz, insbesondere im Hinblick auf Investitionsentscheidungen. Dabei setzt ein integrierter Report das Signal, dass auch innerhalb des Unternehmens Nachhaltigkeit integriert ist und nicht in separaten Strukturen betrachtet wird. Doch wurde kritisch angemerkt, dass viele Unternehmen heute noch nicht in der Lage sind, Nachhaltigkeitsaspekte mit vergleichbarer Qualität zu den Finanzdaten zu erheben. Unternehmen sollten darüber hinaus die Möglichkeiten eines Risikoberichts nutzen, diesen um realistische Nachhaltigkeitseinschätzungen erweitern und ihn zudem als Chancenbericht ansehen. Das Erkennen von Chancen im Rahmen der nachhaltigen Transformation wird als strategischer Erfolgsfaktor gesehen.

Wichtig: Der Umgang mit Nachhaltigkeit unterliegt starken kulturellen Unterschieden, die die Umsetzung in Unternehmen erschweren. Aus Sicht der Diskussionsteilnehmer muss im Fokus des Umgangs mit Nachhaltigkeit die Anwendung vorhandener Regelwerke stehen, um Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu schaffen. Es geht nicht darum, weitere Kriterien zu definieren, sondern Nachhaltigkeit weiter zu denken – zeitlich, räumlich und themenbezogen. Während die Taxonomie der EU den Fokus auf das Klima legt, reichen Nachhaltigkeitsrisiken auch in alle anderen Unternehmensbereiche. Dieser umfangreiche Wirkkosmos erfordert den Austausch mit allen relevanten Stakeholdern und die Möglichkeit der Systeme, kontinuierlich neue Themen aufzunehmen und einer internen Bewertung zuzuführen.

Kai Beckmann

Nachhaltigkeit führt zu neuer Komplexität

Klima und Digitalisierung sind die beiden aktuellen Top-Themen. Definierte Klimaziele, die die politischen Instanzen vorgeben, werden nur erreicht, wenn diese in nationale Rechtsprechung überführt werden, da die Unternehmen individuelle Nachhaltigkeitsziele verfolgen, die das langfristige Bestehen des Unternehmens sichern.

Digitalisierung stellt eine breite Informationsgrundlage bereit und ermöglicht es, Informationen in Entscheidungen umzusetzen. So erfordert eine Technologie wie Block Chain Digital Responsibility und umgekehrt. Auch die aus digitaler Transformation resultierende soziale Verantwortung geht mit Nachhaltigkeit einher. Für Unternehmen ist immer die Frage zu beantworten: „Wie gehen wir mit den Verpflichtungen, die aus einer Entwicklung resultieren, um?“

Aufsichtsräte sollten die Komplexität der Zusammenhänge durchdringen, insbesondere da Nachhaltigkeit häufig indirekt wirkt. Dabei geht es nicht darum, auf alles eine Antwort zu haben, sondern darum, die richtigen Fragen zu stellen und auskunftsfähig zu sein.

Für die Beschäftigung mit Nachhaltigkeitsrisiken gibt es kein richtig oder falsch mehr, da jede Situation aus regionaler Perspektive oder aus einer individuellen Stakeholderbetroffenheit unterschiedlich bewertet wird. Unternehmen – und da waren sich die Teilnehmer einig – brauchen verlässliche Managementsysteme, um die Verantwortlichen in die Lage zu versetzen, klare Positionen zu beziehen.

Unterschiedliche Vorstellungen gab es in Verbindung mit der Bearbeitung von Nachhaltigkeit darüber, ob das Thema ausgelagert werden kann. Da Aufsichtsräte als Organ gesamthaftbar sind, ist die Delegation grundsätzlicher Entscheidungen generell nicht möglich. Der Umgang mit Nachhaltigkeit und der damit zusammenhängenden Risiken kann jedoch in einen Ausschuss verlagert werden. In diesem Fall benötigt der Aufsichtsrat jedoch einen entsprechend umfangreichen Bericht.

Fazit

Nachhaltigkeit trifft alle Dimensionen der Unternehmensführung und ist zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor geworden - darf in seiner Komplexität allerdings keinesfalls unterschätzt werden. Schon heute ist der Umgang eines Unternehmens mit Nachhaltigkeitsaspekten und das Management der Nachhaltigkeitsrisiken ebenso für die Licence to operate wie für die Gewinnung von Talenten entscheidend. Die Integration von Nachhaltigkeit in das eigene Governance-Modell ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration von Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategie. Der Aufsichtsrat ist die Instanz, die das Big Picture kennen und wissen muss, was relevant ist, um eine Entscheidungsgrundlage für langfristige Orientierung und Entwicklung zu schaffen. Werden hier nicht die erforderlichen Rahmenbedingungen gesetzt, sind Probleme vorprogrammiert. Dabei wird immer eine hohe Flexibilität gefragt sein, um die Dynamik der Nachhaltigkeitsthemen und -entwicklungen kontinuierlich im Hinblick auf die Strategie des eigenen Unternehmens zu berücksichtigen. Heute gültige Rahmenbedingungen können schon morgen außer Kraft gesetzt werden. Es gilt daher, Managementsysteme so zu entwickeln, dass sie diesen Anforderungen gerecht werden. Nur dann kann ein Unternehmen im Fall der Fälle eine klare Position beziehen und vielleicht sogar selbst zur Definition der Rahmenbedingungen aktiv beitragen.

 

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