Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise 2023

Das überarbeitete BMF-Schreiben vom 6. Juni 2023 „Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise 2023“ (VWG VP 2023) integriert insbesondere die Auffassung der Finanzverwaltung zur Funktionsverlagerung und zur grenzüberschreitenden Konzernfinanzierung und ist grundsätzlich ab sofort auf alle offenen Fälle anzuwenden.

Hintergrund

Die Finanzverwaltung hat ihre Verwaltungsanweisungen zu Verrechnungspreisen aus dem Jahr 2021 abermals aktualisiert. Obgleich das Schreiben nur für die Finanzverwaltung bindend ist, dient es weiterhin als bewährte Richtschnur auch Steuerpflichtigen, insbesondere bei der Strukturierung, Berechnung und Dokumentation ihrer Verrechnungspreise.

Die Neuerungen im Einzelnen

Die Gliederung der Vorgängerversion (VWG VP 2021) wurde beibehalten. Neben einigen redaktionellen Änderungen wurden Ausführungen bezüglich Funktionsverlagerungen ergänzt und BFH-Rechtsprechungen zu Finanztransaktionen aufgenommen. Die deutsche Fassung der OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 2022 wurde als Anhang aufgenommen, sodass nunmehr auch der Ansatz zu schwierig zu bewertenden immateriellen Vermögenswerten elementarer Bestandteil des Schreibens ist.

Ergänzung der Anweisungen zu Funktionsverlagerungen

Die Ausführungen zur Funktionsverlagerung behandeln die Regelungen der überarbeiteten Funktionsverlagerungsverordnung vom 25. Oktober 2022 (FVerlV), nachdem diese an die Änderungen der §§ 1 und 1a AStG durch das AbzStEntModG (BGBl. I, S. 1259) angepasst wurde. Die Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung 2010 wurden dabei erheblich gestrafft und in die VWG VP 2023 integriert. Das BMF hat neben den Anpassungen an die neu gefasste Verordnung insbesondere folgende Themengebiete überarbeitet:

  • Definition der Sachverhaltsmerkmale inklusive des grenzüberschreitenden Personaleinsatzes
  • Ausführungen zur Wertermittlung mit Beispielen
  • Erläuterung zum Einigungsbereich mit Beispielen
  • Schadensersatz und ähnliche Ansprüche
  • Anwendung auch auf Betriebsstättenfälle

Dem eigentlichen Schreiben sind erläuternde Beispiele in einer Anlage beigefügt.

Ob die überarbeiteten Verwaltungsanweisungen insoweit für mehr Klarheit und Rechtssicherheit sorgen, darf bezweifelt werden. Praktische Relevanz dürfte der Wegfall der Bagatellgrenze (Umsatzrückgang von weniger als 1 Mio. €) im Fall von Funktionsverdoppelungen haben. Beklagenswert ist der Wegfall der Regelung (VWG Funktionsverlagerung 2010, Tz. 59), wonach das Auslaufen von Verträgen bzw. deren fristgerechte Kündigung den Tatbestand der Funktionsverlagerung nicht erfüllt. Die Ausführungen zum grenzüberschreitenden Personaleinsatz im Konzern sind recht eindimensional geraten und dürften gerade im Hinblick auf mobiles Arbeiten und zunehmend hybride Strukturen im Konzern wenig hilfreich sein. Auf Kritik stößt die Ansicht des BMF, dass die Differenz aus dem Entstehen eines negativen Einigungsbereichs, bei dem der Käufer zu einer geringeren Zahlung bereit ist, als sie vom Verkäufer verlangt wird, unter den beteiligten Unternehmen aufzuteilen ist. Erkennbar wird unter fremden Dritten in diesen Fällen kein Geschäft zustande kommen. Eine Aufteilung des Differenzbetrags zwischen Mindest- und Höchstpreis erhöht das Risiko einer Doppelbesteuerung.

Ergänzungen zu Finanzierungsbeziehungen

In Bezug auf die Finanzierungsbeziehungen (Kapitel III, Unterkapitel J) wird die BFH-Rechtsprechung zur Bestimmung fremdüblicher Darlehenszinsen auf Konzerndarlehen in das Schreiben übernommen. Der bisher postulierte Vorrang der Kostenaufschlagmethode gegenüber der Preisvergleichsmethode wird relativiert bzw. auf wenige Fälle begrenzt. Besicherung wie auch Nichtbesicherung von Darlehen werden als grundsätzlich fremdüblich anerkannt (Tz. 3.128), wobei der Zinssatz eines unbesicherten Darlehens eine Risikokompensation enthalten kann. Realistisch bestehende Handlungsalternativen sollen bei Beurteilung der Fremdüblichkeit einer Nichtbesicherung berücksichtigt werden. Gelegentlich erwecken die Formulierungen allerdings den Eindruck, dass man soweit möglich noch an der bisherigen Linie festhalten will und die praxisnahe Konkretisierung scheut. Diese Tendenz des Fiskus wird auch durch die beabsichtigte Zinshöhenschranke im Entwurf des Wachstumschancengesetzes bestärkt.

Ergänzungen zu Preisanpassungsklauseln

Weiterhin wird festgehalten, dass eine vertraglich wirksam vereinbarte und sachgerechte Preisanpassungsklausel die Anwendung des § 1a AStG ausschließt. § 1a AStG regelt, dass im Grundsatz eine Preisanpassung (ex post) bei Übertragung immaterieller Werte im achten Jahr nach Geschäftsabschluss gesetzlich vorgeschrieben ist, sofern erhebliche Wertabweichungen (> 20 %) festgestellt werden, es sei denn, fremde Dritte hätten keine Preisanpassungsklausel vereinbart. Während die explizite Regelung in den Verwaltungsgrundsätzen eher nur eine Wiederholung des Gesetzeswortlauts bedeutet, vermisst man erläuternde Angaben, wie eine Preisanpassungsklausel vertraglich auszugestalten ist, damit sie als „sachgerecht“ anerkannt wird. Offen bleiben etwa die Fragen, zu welchem Zeitpunkt (z. B. bereits im zweiten Jahr) und in welcher Häufigkeit (z. B. bereits bei einmaliger Anwendung) ein vertraglich vereinbarter Anpassungsmechanismus greifen muss. 

Kleinere Änderungen und Klarstellungen

Neben kleineren redaktionellen Anpassungen wird in den VWG VP 2023 (Abschnitt D) auf das aktualisierte Merkblatt zu internationalen Verständigungsverfahren vom 27. August 2021 und auf das Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten vom 9. Januar 2017 Bezug genommen.

Anwendung der neuen Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise 2023

Die neuen VWG VP 2023 entfalten ihre Geltung für alle offenen Fälle. Das Kapitel zu Funktionsverlagerungen ist auf Fallgestaltungen anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2021 verwirklicht wurden. Für Fälle mit einer Verwirklichung vor dem 31. Dezember 2021 (alte Rechtslage) gilt weiterhin das bisher einschlägige BMF-Schreiben vom 13. Oktober 2010.

Zusammenfassung

Die VWG VP 2023 enthalten Licht und Schatten. So ist z. B. die Klarstellung zur möglichen fremdüblichen Gewährung unbesicherter Darlehen und deren Auswirkung auf die Höhe des Zinssatzes begrüßenswert; andere Stellen, wie die Ausführungen zu Funktionsverlagerungen bei Personalentsendungen oder die konkrete Ausgestaltung der Preisanpassungsklausel, lassen ein Mehr an Klarheit vermissen.

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 3/2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.