Aufhebung einer Anrufungsauskunft zu Managementbeteiligungen

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem Urteil vom 2. September 2021 (VI R 19/19) der Aufhebung einer Lohnsteuer-Anrufungsauskunft durch das Finanzamt enge Grenzen gesetzt und damit die Verlässlichkeit dieses Instruments für Steuerpflichtige gestärkt. Im selben Urteil äußerte sich der BFH auch zur vergünstigten Besteuerung von erfolgsabhängigen Vergütungsbestandteilen, die im Rahmen eines Long-Term-Incentive-Modells (LTI-Modell) an Führungskräfte ausgezahlt wurden.

Die Lohnsteuer-Anrufungsauskunft nach § 42e EStG ist ein wichtiges Instrument für Arbeitgeber, Lohnsteuerfragen im Vorfeld verbindlich mit der Finanzverwaltung zu klären. Richtet der Arbeitgeber den Lohnsteuerabzug nach einer Anrufungsauskunft der Finanzverwaltung aus, scheidet eine Haftung für nicht abgeführte Lohnsteuer nach § 42d Abs. 1 EStG aus. Das gilt unabhängig davon, ob die Anrufungsauskunft materiell richtig oder unrichtig ist. Will das Finanzamt eine erteilte Anrufungsauskunft und deren Bindungswirkung beseitigen, muss es sich dafür auf eine Korrekturvorschrift berufen können. Eine solche Vorschrift kennt das Gesetz für Auskünfte nach § 42e EStG aber nicht. Die vorhandene Lücke schließt der BFH mit einer analogen Anwendung des § 207 Abs. 2 AO.

Entscheidung des BFH

In dem vom BFH entschiedenen Fall hatte ein Unternehmen seinen Führungskräften die Teilnahme an einem Long-Term-Incentive-Modell angeboten. Dieses Modell sah zusätzliche Vergütungszahlungen unter der Voraussetzung vor, dass sich der durchschnittliche Geschäftserfolg innerhalb eines „Performancezeitraums“ von vier Jahren positiv entwickelt. Um eine positive Entwicklung feststellen zu können, wurde der Geschäftserfolg im Performancezeitraum mit der Entwicklung in den vier Jahren vor dem Performancezeitraum verglichen. Das Unternehmen vertrat die Auffassung, dass es sich bei den zusätzlichen Vergütungszahlungen um Vergütungen für eine mehrjährige Tätigkeit handele, die dem Vergünstigungstarif nach §§ 34 Abs. 1, 39b Abs. 3 S. 9 EStG unterliege. In der hierzu eingeholten Anrufungsauskunft bestätigte das Finanzamt zunächst die Auffassung des Unternehmens. Später hob es die Anrufungsauskunft jedoch wieder auf, da es sich bei den Zahlungen um jährliche Bonuszahlungen und nicht um zusammengeballte einmalige Einkünfte aus mehreren Jahren handele.

Der BFH entschied, dass eine erteilte Anrufungsauskunft nur in analoger Anwendung des § 207 Abs. 2 AO aufgehoben werden kann, da eine spezielle Korrekturvorschrift für § 42e EStG fehlt. Danach kann eine Anrufungsauskunft grundsätzlich nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben oder geändert werden. Die Entscheidung über die Aufhebung der Anrufungsauskunft ist nach Ansicht des BFH eine Ermessensentscheidung, die das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die einmal erteilte Anrufungsauskunft zu berücksichtigen hat. War die ursprünglich erteilte Anrufungsauskunft rechtswidrig, ist bei ihrer Aufhebung das Vertrauensinteresse des Steuerpflichtigen mit dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung abzuwägen. Die Aufhebung einer formell und materiell rechtmäßigen Auskunft ist nur aus besonderem Anlass, z. B. bei zwischenzeitlicher Änderung der einschlägigen Rechtsprechung oder bei abweichenden Äußerungen der Finanzverwaltung in Richtlinien oder BMF-Schreiben zulässig.

Weiterhin präzisierte der BFH die Voraussetzungen für die Anwendung der sog. Fünftelregelung gemäß §§ 34 Abs. 1, 39b Abs. 3 S. 9 EStG. Die Fünftelregelung gestattet eine Besteuerung mit einem ermäßigten Steuersatz und mildert dadurch die Progressionswirkung für nicht regelmäßig bezogene Einkommensbestandteile. Es kommt die ermäßigte Besteuerung in Betracht, soweit Lohn für eine Tätigkeit gezahlt wird, die sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume und einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten erstreckt (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG).

Der BFH hat nun klargestellt, dass die Tarifbegünstigung nach § 34 EStG auch anwendbar ist, wenn der Arbeitgeber jährlich Vergütungen auszahlt, sofern diese jeweils für einen Zeitraum von mehr als 12 Monaten und veranlagungszeitraumübergreifend geleistet werden. Ohne Bedeutung ist dementsprechend auch, ob bei der Berechnung des zweckbestimmt für eine mehrjährige Tätigkeit geleisteten Entgelts Berechnungsgrundlagen gegebenenfalls mehrfach (in verschiedenen Jahren) berücksichtigt werden.

Die Tarifbegünstigung nach § 34 EStG ist demnach nicht nur anwendbar, wenn eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit einmalig auf einen Schlag ausgezahlt wird (wie z. B. bei Abfindungen). Es kommt lediglich darauf an, dass die Vergütung über einen mehrjährigen Zeitraum erdient wurde.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung beschränkt zum einen die Aufhebung von einmal erteilten Anrufungsauskünften durch die Finanzverwaltung und stärkt damit die Planungssicherheit für Arbeitgeber. Zum anderen macht das Urteil deutlich, dass Vergütungsbestandteile, die im Rahmen von LTI-Modellen gezahlt werden, nach § 34 EStG vergünstigt besteuert werden können. Da solche Programme in der Praxis inzwischen weit verbreitet sind, ist dies für viele Unternehmen eine gute Nachricht.

Autor

Thomas Kriesel
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Steuer-Newsletter 2/2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen oder weitere Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.