Unternehmereigenschaft der öffentlichen Hand – quo vadis?

Nach alter (nationaler) Rechtslage waren juristische Personen des öffentlichen Rechts umsatzsteuerlicher Unternehmer, wenn diese im Rahmen ertragsteuerlicher Betriebe gewerblicher Art (BgA) tätig waren (§ 2 Abs. 3 UStG a.F.). Diese Regelung entsprach nicht den europarechtlichen Vorgaben und wurde bereits mit Wirkung ab dem 1. Januar 2016 durch den Gesetzgeber geändert. Gleichzeitig wurde der öffentlichen Hand eine zwischenzeitlich mehrfach – zuletzt bis zum 31. Dezember 2024 – verlängerte Übergangsregelung eingeräumt, innerhalb derer die alte Rechtslage weiterhin angewendet werden darf.

Sowohl für die Frage, ob ein ertragsteuerlicher BgA (§ 4 KStG) vorliegt, als auch für die Beurteilung der umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft (§ 2 Abs. 1 UStG) kommt es nach dem Gesetzeswortlaut nicht auf eine Gewinnerzielungsabsicht an. Vielmehr reicht in beiden Fällen eine Einnahmeerzielungsabsicht aus. Dies kann im Bereich der Umsatzsteuer dazu führen, dass auch dann, wenn lediglich sehr geringe Ausgangsumsätze erbracht werden, z. T. in einem ganz erheblichen Umfang Vorsteuern auf die hierfür eingesetzten Eingangsleistungen zu erstatten sind. Beispiele hierfür sind u. a. Bäder, Sporthallen und der öffentliche Personennahverkehr.

Begriff der Unternehmereigenschaft nach Europarecht

Europarechtlich basiert die deutsche Regelung zur Unternehmereigenschaft (§ 2 Abs. 1 UStG) auf Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL. Hiernach gilt als Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

Als wirtschaftliche Tätigkeit gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.

Eine Tätigkeit ist nach der Rechtsprechung des EuGH dann als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Mehrwertsteuerrechts anzusehen, wenn diese nachhaltig und gegen ein Entgelt ausgeübt wird, dass derjenige erhält, der die Leistung erbringt.2 Bei der Beurteilung, ob eine Tätigkeit eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Mehrwertsteuersystemrichtlinie darstellt, sind nach der Rechtsprechung des EuGH3 alle Umstände zu prüfen, unter denen die Tätigkeit erfolgt. Hierbei ist fallbezogen darauf abzustellen, worin die typische Tätigkeit eines in dem betreffenden Bereich tätigen Unternehmers besteht. Allein der Umstand, dass eine Leistung gegen Entgelt erbracht wird, reiche für die Feststellung einer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht aus.4

Aktuelle Rechtsprechung des EuGH

Der EuGH hat in seinen aktuellen Entscheidungen „Gmina L.“ und „Gmina O.“ jeweils vom 30. März 20235 darauf abgestellt, dass ein typischer Unternehmer mit seiner Tätigkeit versucht, durch die Festsetzung seiner Preise seine Kosten zu decken und eine Gewinnspanne zu erzielen. Bleibt die Summe der Entgelte selbst bei Berücksichtigung von entsprechenden Zuschüssen „strukturell niedriger“ als die tatsächlich entstehenden Gesamtkosten, entspricht dies jedenfalls dann nicht dem Vorgehen eines typischen Unternehmers, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts lediglich das Risiko von Verlusten trägt, ohne eine Aussicht auf Gewinn zu haben. Ob und inwieweit tatsächlich ein Gewinn angestrebt werden muss oder ob auch eine Kostendeckung ausreichend sein kann, kann aktuell nicht abschließend beurteilt werden. Nach unserem Verständnis könnte auch hier eine branchenbezogene Betrachtungsweise geboten sein.

Bei der Beurteilung der Unternehmereigenschaft spielen neben dem Entgelt noch weitere Kriterien, wie z. B. die Zahl der Kunden6 oder Arbeitnehmer7, eine Rolle. Auch ist zu berücksichtigen, ob die betreffende Körperschaft des öffentlichen Rechts selbst am Markt auftritt oder lediglich über unterbeauftragte Subunternehmer tätig wird.8

Die Würdigung der Umstände des Einzelfalls ist Sache der nationalen Gerichte. Wie diese, insbesondere der Bundesfinanzhof (BFH), die aktuelle Rechtsprechung umsetzen werden, bleibt abzuwarten. Grundsätzlich lässt sich aus der bisherigen Rechtsprechung des BFH aus unserer Sicht folgende Tendenz ableiten, welche jedoch die aktuelle EuGH-Rechtsprechung noch nicht berücksichtigt:

  1. Hat ein Steuerpflichtiger Leistungen am allgemeinen Markt an eine Vielzahl von Kunden erbracht, ging der BFH bisher bei nicht kostendeckenden Entgelten jedenfalls auch dann von einer umsatzsteuerrelevanten Tätigkeit aus, wenn die nicht kostendeckenden Entgelte marktüblich waren.9 Ob der BFH an dieser Rechtsprechung vor dem Hintergrund der aktuellen EuGH-Rechtsprechung festhalten wird, bleibt abzuwarten.
  2. Hat der Steuerpflichtige eine nicht kostendeckende Geschäftstätigkeit lediglich an einen Dritten „verpachtet“, ist der BFH10 auch bisher bereits von einer nichtunternehmerischen Tätigkeit ausgegangen. Das wirtschaftliche Verhalten der juristischen Person des öffentlichen Rechts ähnele in diesen Fällen eher dem eines Verbrauchers, da diese bei einer wirtschaftlichen Betrachtung die betreffende Tätigkeit eher im Rahmen eines entgeltlichen Betreibervertrags durch einen Dritten ausüben lässt, anstelle selbst eine entgeltliche Leistung an den Vertragspartner (Pächter) zu erbringen. An dieser Stelle ist auch darauf hinzuweisen, dass die den EuGH-Urteilen „Gmina O.“ und „Gmina L.“ zugrunde liegenden Sachverhalte grundsätzlich ebenfalls in diese Kategorie einzuordnen waren. Auch diesen Sachverhalten war immanent, dass die Leistungen nicht durch die juristische Person des öffentlichen Rechts selbst, sondern im Unterauftrag durch Dritte ausgeführt wurden.

Fazit

Eine abschließende Einschätzung der Auswirkung der EuGH-Rechtsprechung auf die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht verlässlich gegeben werden. Gleichzeitig ist eine rechtssichere Beurteilung für die juristischen Personen des öffentlichen Rechts von entscheidender Bedeutung. Die Frage eines möglichen Vorsteuerabzuges muss u. a. bei der Beantragung von Fördermitteln (Vorsteuerabzugsberechtigung ja oder nein) oder bei der Planung der Finanzierung von Vorhaben (u. a. Vorsteuererstattung vs. Vorsteuer als Teil der Kosten) rechtssicher beantwortet werden. Daher kann nur empfohlen werden, die umsatzsteuerliche Behandlung bei allen Projekten, die wirtschaftlich nicht unbedeutend sind, im Rahmen von verbindlichen Auskünften mit der Finanzverwaltung abzustimmen. Hierfür sind bereits bei der Projektplanung entsprechende Vorlaufzeiten für die Bearbeitung der Anfragen durch die Berater*innen und die Finanzverwaltung zu berücksichtigen.

Auch ist zu prüfen, ob sich aus der Rechtsprechung des EuGH ggf. Risiken für bereits laufende Projekte oder Tätigkeiten der öffentlichen Hand ergeben könnten. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass Umsatzsteuerjahreserklärungen regelmäßig unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen. Solange dieser wirksam ist, können auch bereits eingereichte Umsatzsteuererklärungen für Vorjahre durch die Finanzverwaltung innerhalb der Festsetzungsfrist jederzeit geändert werden.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Unternehmereigenschaft nach europarechtlichen Grundsätzen zu beurteilen ist. Auch bei Anwendung der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Neuregelung der Unternehmereigenschaft von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (allgemein Anwendung des § 2b UStG) führt eine privatrechtliche Handlungsform nicht automatisch zur Unternehmereigenschaft der juristischen Person des öffentlichen Rechts. Vielmehr sind auch in diesem Fall die weiteren Voraussetzungen des § 2 UStG zu prüfen.11

2 EuGH, Urteil vom 25. Februar 2021 – C-846/19 (EQ), MwStR 2021, 611; EuGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – C-520/14 (Gemeente Borsele), DStRE 2016, 798, Tz. 29; EuGH, Urteil vom 30. März 2023 – C-612/21 (Gmina O.), MwStR 2023, 459, Tz. 27; EuGH, Urteil vom 30. März 2023 – C-616/21 (Gmina L.), MwStR 2023, 464, Tz. 43.

3 EuGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – C-520/14 (Gemeente Borsele), DStRE 2016, 798, Tz. 29; EuGH, Urteil vom 30. März 2023 – C-612/21 (Gmina O.), MwStR 2023, 459, Tz. 27; EuGH, Urteil vom 30. März 2023 – C-616/21 (Gmina L.), MwStR 2023, 464, Tz. 43.

4 Urteil vom 12. Mai 2016 – C-520/14 (Gemeente Borsele), DStRE 2016, 798, Tz. 28.

5 EuGH, Urteil vom 30. März 2023 – C-612/21 (Gmina O.), MwStR 2023, 459, Tz. 36; EuGH, Urteil vom 30. März 2023 – C-616/21 (Gmina L.), MwStR 2023, 464, Tz. 43.

6 EuGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – C-520/14 (Gemeente Borsele), DStRE 2016, 798, Tz. 31; EuGH, Urteil vom 30. März 2023 – C-612/21 (Gmina O.), MwStR 2023, 459, Tz. 38.

7 EuGH, Urteil vom 30. März 2023 – C-612/21 (Gmina O.), MwStR 2023, 459, Tz. 36; EuGH, Urteil vom 30. März 2023 – C-616/21 (Gmina L.), MwStR 2023, 464, Tz. 44.

8 EuGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – C-520/14 (Gemeente Borsele), DStRE 2016, 798, Tz. 35.

9 BFH, Urteil vom 28. Juni 2017 – XI R 12/15, UR 2017, 758.

10 BFH, Urteil vom 15. Dezember 2016 – V R 44/15, MwStR 2017, 420 und BFH, Urteil vom 22. Juni 2022 – XI R 35/19, MwStR 2023, 54.

11 BFH, Urteil vom 15. Dezember 2016 – V R 44/15, MwStR 2017, 420.

Autor

Camillo Gaul
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