Grunderwerbsteuer bei Zusammenlegung und Neuerrichtung von Kirchengemeinden

Mit Urteil v. 10. Mai 2023 (II R 24/21) entschied der Bundesfinanzhof (BFH) u. a. Folgendes (Leitsätze):

  • Führt die Errichtung einer neuen Kirchengemeinde durch Vereinigung anderer Kirchengemeinden dazu, dass sich unmittelbar oder mittelbar mind. 90 % (vormals: 95 %) der Anteile an grundbesitzenden Gesellschaften bei der neu errichteten Kirchengemeinde vereinigen, unterliegt diese Anteilsvereinigung zu dem Zeitpunkt nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG der Grunderwerbsteuer, an dem die staatliche Anerkennung wirksam erteilt wird.
  • Die Besteuerung der Vereinigung von mind. 90 % (vormals 95 %) von Anteilen an grundbesitzenden Gesellschaften nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG als Folge der staatlich anerkannten Bildung oder Veränderung von Kirchengemeinden verstößt nicht gegen das verfassungsrechtlich garantierte kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV) und auch nicht gegen die verfassungsrechtlich garantierte Kirchengutsgarantie (Art. 140 GG i.V. m. Art. 138 Abs. 2 WRV).
  • Erhält im Zuge der Vereinigung von Kirchengemeinden die neu errichtete Kirchengemeinde Vermögenswerte, liegt keine freigebige Zuwendung der Gesellschaftsanteile von den aufgelösten Kirchengemeinden an die neu errichtete Kirchengemeinde i. S. d. Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 2 S. 1 GrEStG vor. • § 4 Nr. 1 GrEStG ist nur auf den Erwerb von Grundstücken, nicht auf Anteilsvereinigungen anzuwenden.

Die Grundzüge des Urteils werden nachfolgend kurz erläutert.

Sachverhalt

Geklagt hatte eine Kirchengemeinde K, die durch bischöfliche Errichtungsurkunde mit der Vereinigung von u. a. Kirchengemeinden A und B (neu) entstanden war. Zuvor war Kirchengemeinde A mit 80 % und Kirchengemeinde B mit 20 % an der gemeinnützigen und grundbesitzenden F-GmbH (mit ebenfalls grundbesitzender Tochter GmbH) beteiligt. Mit der Fusion gingen auch die beiden Beteiligungen an der F-GmbH auf die neu entstandene Kirchengemeinde K als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) über und bündelten sich damit bei ihr zu 100 % in einer Hand.

Während die Kirchengemeinde K nicht von einer Grunderwerbsteuer ausging, unterwarf das Finanzamt die Fusion im Hinblick auf den Grundbesitz der F-GmbH und deren Tochter-GmbH als sog. Anteilsvereinigung der Besteuerung. Betroffen seien sowohl die Grundstücke der F-GmbH als auch ihrer grundbesitzenden Tochter-GmbH.

Da das Finanzgericht (FG) Münster mit Urteil vom 17.06.2021 (8 K 364/21 GrE) die Klage abwies, legte die Kirchengemeinde K Revision beim BFH ein.

Entscheidung des BFH

Der BFH wies die Revision zurück und gab damit dem Finanzamt recht.

Danach unterliegt die Anteilsbündelung der grundbesitzenden F-GmbH und ihrer Tochter-GmbH in der Hand der Kirchengemeinde K als Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG der Grunderwerbsteuer.

Gehört zum Vermögen einer Gesellschaft ein inländisches Grundstück und vereinigen sich „unmittelbar oder mittelbar“ mindestens 90 % (vormals: 95 %) ihrer Anteile in einer Hand, kann eine Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG entstehen.

In diesem Sinne behandelte der BFH die Kirchengemeinde K grunderwerbsteuerlich so, als habe sie die sowohl in der F-GmbH als auch in deren Tochter GmbH befindlichen Grundstücke selbst (einzeln) erworben.

Für die Tatbestandserfüllung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG ist es dabei ausreichend, dass die Anteilsvereinigung Folge des innerkirchlichen Umstrukturierungsvorgangs ist, denn die Vorschrift setzt nach ihrem Wortlaut gerade keinen Rechtsvorgang des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts voraus. Maßgeblich sind allein der fiktive Erwerb und die veränderte Zuordnung der Grundstücke aufgrund der Vereinigung der Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft und ggf. deren Tochtergesellschaften bei der neu errichteten Kirchengemeinde K. Diese veränderte Zuordnung wird in dem Zeitpunkt wirksam, in dem die neu gebildete Kirchengemeinde mit staatlicher Anerkennung rechtlich wirksam wird und sie den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhält.

Nach Ansicht des BFH verstößt dies auch nicht gegen das verfassungsrechtlich garantierte kirchliche Selbstbestimmungsrecht aus Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV. Durch die Besteuerung erfolgt kein Eingriff in dessen Schutzbereich. Ebenso wenig greift die Besteuerung in die Kirchengutsgarantie nach Art. 140 GG i.V. m. Art. 138 Abs. 2 WRV bezüglich des für Wohltätigkeitszwecke bestimmten Vermögens ein. Auch lag keine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 2 S. 1 GrEStG vor. Danach sind der Grundstückserwerb von Todes wegen und Grundstücksschenkungen unter Lebenden i. S. d ErbStG von der Besteuerung ausgenommen. Dies hätte im Streitfall eine „freigebige Zuwendung“ der GmbH-Anteile vorausgesetzt. Hier erfolgte der Vermögensübergang auf die neu errichtete Kirchengemeinde allerdings aufgrund gesetzlicher Anordnung und nicht aufgrund einer (freigebigen) Leistung der vereinigten Gemeinden an die neu errichtete Kirchengemeinde.

Schließlich lehnte der BFH auch eine Anwendung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 GrEStG ab. Nach § 4 Nr. 1 GrEStG ist der Erwerb eines Grundstücks durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts (jPdöR) von der Besteuerung ausgenommen, wenn das Grundstück „aus Anlass des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben oder aus Anlass von Grenzänderungen“ von der einen auf die andere juristische Person übergeht und nicht überwiegend einem Betrieb gewerblicher Art dient. Nach ihrem Wortlaut erfasst die Vorschrift nur Erwerbsvorgänge, die sich auf Grundstücke (selbst) beziehen. Anteilsvereinigungen oder -übergänge nach § 1 Abs. 3 GrEStG begünstigt sie hingegen nicht.

Fazit und Folgerungen für die Praxis

Sicherlich handelte es sich um keinen alltäglichen Fall: Zwei Kirchengemeinden hielten Anteile an einer (gemeinnützigen) GmbH mit Grundbesitz und wurden im Rahmen einer innerkirchlichen Umstrukturierung nach Kirchenrecht zu einer neuen Kirchengemeinde als rechtlich eigenständige neue jPdöR fusioniert.

Etwaiger Grundbesitz der fusionierten Kirchengemeinden selbst war offensichtlich grunderwerbsteuerlich unproblematisch und dürfte unter die – hier vom BFH für die Anteilsvereinigung abgelehnte – Steuerbefreiung des § 4 Nr. 1 GrEStG gefallen sein.

Festzuhalten bleibt, dass die Fusion in Bezug auf den in Anteilen unmittelbar und mittelbar enthaltenen Grundbesitz Grunderwerbsteuer auslösen kann, obwohl sich an der (zivilrechtlichen) Eigentümerstellung (hier: der F-GmbH und deren Tochter GmbH) nichts ändert. Insofern werden hier jPdöR – und auch die Kirchen – „normalen Immobilienkonzernen“ gleichgestellt. Die Entscheidung ist jedoch auch für z.B. gemeinnützige Körperschaften mit Anteilsbesitz von Belang.

Nicht nur vor diesem Hintergrund sollten auch Umstrukturierungen bei öffentlich-rechtlichen sowie sonstigen steuerlich privilegierten Körperschaften stets auf eine mögliche grunderwerbsteuerliche Relevanz hin näher betrachtet werden.

Autor

Torsten Volkmann
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