Umsatzsteuerbefreiung von Fahrsicherheitstraining als Aus- oder Fortbildung

Nicht nur die deutsche Bildungslandschaft ist aufgrund der weitgehend föderalen Zuständigkeiten stark zergliedert, sondern auch die (umsatz-)steuerliche Behandlung von entgeltlichen Bildungsleistungen. So kann nicht zuletzt aufgrund der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) mittlerweile von einem nur noch mit Mühe beherrschbaren „steuerlichen Flickenteppich“ gesprochen werden.

In diesem Sinne muss sich auch der deutsche Bundesfinanzhof (BFH) an die Vorgaben des EuGH halten und hat jüngst zur Umsatzsteuerbefreiung von Fahrsicherheitstrainings eines gemeinnützigen Vereins entschieden (BFH, Urteil v. 17. November 2022 – V R 33/21).

Sachverhalt

Geklagt hatte ein gemeinnütziger Verein, der Verkehrssicherheit und Verkehrserziehung förderte. Zu diesem Zweck führte er sowohl Sicherheitstrainings für PKW und Motorräder als auch ein Sicherheitstraining für Senioren durch.

Die Teilnehmergruppen gliederte der Verein wie folgt auf:

  • Berufsgenossenschaften
  • Bundeswehr
  • Teilnehmer unter 25 Jahre
  • sonstige Teilnehmer

Zudem erwarb der Verein einen Rettungssimulator, mit dem Nutzer*innen trainieren konnten, sich aus einem umgestürzten PKW zu befreien. Der Simulator wurde verschiedenen Unternehmen bzw. Veranstaltern anlässlich von z. B. Firmenjubiläen oder zum „Tag der offenen Tür“ gegen Entgelt zur Verfügung gestellt.

Während der Verein von der Steuerfreiheit seiner gesamten Umsätze ausging, unterwarf das Finanzamt diese zunächst dem ermäßigten Steuersatz (7 %) und später dem Regelsteuersatz (19 %).

Da das Finanzgericht (FG) Niedersachsen mit Urteil vom 28. Juni 2018 (5 K 250/16) dem Verein in weiten Teilen recht gab, legte das Finanzamt Revision beim BFH ein.

Entscheidung des BFH

Zwischenzeitich, d. h. nach dem finanzgerichtlichen Urteil in 2018, waren mehrere EuGH-Entscheidungen ergangen, die sich insbesondere mit der Frage beschäftigten, ob und unter welchen Voraussetzungen Unterricht/ Bildungsmaßnahmen steuerfrei sein könnten (u. a. zu den Sachverhalten Fahrschule, Surf- und Segelschule, Schwimmschule).

Vor diesem Hintergrund hob der BFH zwar das finanzgerichtliche Urteil auf und verwies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG Niedersachsen zurück.

Allerdings führte der BFH aus, unter welchen Voraussetzungen das Fahrsicherheitstraining eventuell doch umsatzsteuerbefreit sein könnte, was nun das FG Niedersachsen (erneut) zu prüfen habe.

Nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG von der Umsatzsteuer befreit sind „die Vorträge, Kurse und anderen Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art, die (…) von Einrichtungen, die gemeinnützigen Zwecken oder dem Zweck eines Berufsverbandes dienen, durchgeführt werden, wenn die Einnahmen überwiegend zur Deckung der Kosten verwendet werden“. § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG sei allerdings im Lichte der unionsrechtlichen Grundlage aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL auszulegen, wonach die „Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- oder Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen (…)“ steuerbefreit sind.

Zwar sei das Fahrsicherheitstraining nicht als „Schul- und Hochschulunterricht“ steuerbefreit, weil es sich – vergleichbar Fahrunterricht – (nur) um eine Art spezialisierten Unterrichts handele.

Fahrsicherheitstraining könne aber Schulungsmaßnahme zum Erwerb oder zur Erhaltung beruflicher Kenntnisse und damit Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung sein. Dies sei gegeben, wenn die Schulungsmaßnahme es den Teilnehmern ermögliche, die vermittelten Kenntnisse beruflich zu nutzen. Denn nach Art. 44 S. 1 MwStVO umfassen Dienstleistungen der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahme, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dient, wobei die Dauer der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung hierfür unerheblich ist (Art. 44 S. 2 MwStVO).

Gleichwohl ist aber auf die konkrete Eignung der Schulungsmaßnahme zum Erwerb oder zur Erhaltung beruflicher Kenntnisse abzustellen. Somit kommt es darauf an, ob es die Schulungsmaßnahme den Teilnehmern ermöglicht, die vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten beruflich zu nutzen. Verwenden alle Teilnehmer die Schulungsmaßnahme beruflich, ist dabei die erforderliche Eignung zu unterstellen (wie ggf. bei den Teilnehmern Berufsgenossenschaften/ Bundeswehr). Liegt eine berufliche Nutzung hingegen nur bei einigen Teilnehmern vor, muss sich die erforderliche (berufliche) Eignung „leistungsbezogen aus der Schulungsmaßnahme selbst“ ergeben. Dies ist eine Frage des Sachverhalts, den das FG Niedersachsen nun weiter aufzuklären hat.

Hingegen erscheine eine berufliche Eignung zumindest beim Sicherheitstraining für Motorräder und vor allem beim Sicherheitstraining für Senioren zweifelhaft.

Für Kurse mit Jugendlichen als Teilnehmern sei zu prüfen, ob diese im Sinne einer Verkehrserziehung als „Erziehung von Kindern und Jugendlichen“ ähnlich wie z. B. bei sog. Präventionskursen steuerfrei sein könnten. Erforderlich wäre eine „Verkehrserziehung“, die den Jugendlichen neben bloßem Wissen auch insbesondere soziale Kompetenzen und Werte im Sinne einer Heranziehung zu verantwortungsvollen Verkehrsteilnehmern vermittelt.

Im Übrigen wirft der BFH noch die Frage auf, ob die (komplizierten) gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes in Bezug auf die „Rettungssimulator“-Umsätze vorliegen (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a S. 1 UStG = ermäßigter Steuersatz nur für Zweckbetriebe, die nicht in erster Linie der Erzielung zusätzlicher Einnahmen dienen). Das FG Niedersachsen hatte insoweit einen Zweckbetrieb nach § 65 AO angenommen und deshalb – entsprechend der allgemeinen Auffassung des BMF in A 12.9. (9) Satz 1, 2 UStAE – auch die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes bejaht.

Fazit

Zwar hielt sich der BFH an die jüngere (rigide) EuGH-Rechtsprechung, wonach der Begriff des „Schul- und Hochschulunterrichts“ auf das Wortungetüm „integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen sowie auf die Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler und Studenten je nach ihrem Fortschritt und ihrer Spezialisierung auf den verschiedenen dieses System bildenden Stufen“ verweist. Fahrsicherheitstraining kann demgemäß als (zu) spezialisierter Unterricht nicht darunterfallen.

Allerdings zeigt der BFH auf, dass zumindest bei Kursinhalten mit klar und eindeutig beruflicher Zielsetzung eine Steuerbefreiung möglich ist, sofern es die Schulungsmaßnahme den Teilnehmern (objektiv) ermöglicht, die vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten beruflich zu nutzen. In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, ob die konkreten Teilnehmer die vermittelten Kenntnisse später (subjektiv) tatsächlich beruflich verwenden (wollen).

Folgerungen für die Praxis

Zwar ist noch nicht klar, wie sich die Finanzverwaltung insgesamt zu der restriktiveren neueren Rechtsprechungslinie positionieren wird. Bisher wird insbesondere Wert auf die Unterscheidung von „unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen“ zu „bloßer Freizeitgestaltung dienenden Leistungen“ gelegt, vgl. z. B. A 4.21.4. (1a) Satz 1 UStAE.

Um jedoch (nachträgliche) Schwierigkeiten möglichst zu umgehen, wäre vor diesem Hintergrund den Bildungseinrichtungen nunmehr zu raten, ihre Kursangebote einzeln durchzugehen und auf deren „berufliche Tauglichkeit“ hin zu überprüfen.

So könnten etwa dezidierte Leistungsbeschreibungen (Homepage, Flyer, vertragliche Vereinbarungen etc.) ggf. für einzelne Nutzergruppen geschärft und noch berufsspezifischer beschrieben, angeboten und durchgeführt werden. Wie gesagt: Ob die konkreten Teilnehmer*innen die vermittelten (beruflich „geeigneten“) Kenntnisse später tatsächlich beruflich verwenden (wollen), soll nach Auffassung des BFH keine Rolle spielen.

In Bezug auf die Teilnahme von Jugendlichen könnte es sich empfehlen, (noch mehr) auf den „Erziehungsansatz“ abzustellen. Nach § 4 Nr. 23 Satz 3 UStG gelten dabei alle Personen vor dem vollendeten 27. Lebensjahr als Kinder und Jugendliche.

Ausblick

Fraglich ist aufgrund der neueren EuGH-Rechtsprechung insbesondere, ob das allgemeine Angebot von Volkshochschulen und Nachhilfeinstituten umsatzsteuerpflichtig sein bzw. werden soll. Um dies zu vermeiden, versuchen derzeit die entsprechenden Interessenvertretungen ihren Einfluss bei der Politik geltend zu machen. Auch im Übrigen ist die umsatzsteuerliche Behandlung von Bildungsleistungen sehr komplex und umstritten, insbesondere auch in Bezug auf den Bereich der Honorarkräfte/Dozent*innen.

In den vergangenen Jahren unternahm der (nationale) Gesetzgeber diverse Anläufe, die insoweit bestehenden Zweifelsfragen und Unwuchten zu beseitigen; allerdings wurden die entsprechenden – auf Vereinfachung zielenden – Gesetzesvorhaben jeweils wieder einkassiert. Möglicherweise ist hier auch der europäische Gesetzgeber gefragt. Das Thema wird uns daher weiter in Atem halten.

Autor

Torsten Volkmann
Tel: +49 30 208 88 1332

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