Erneute EuGH-Vorlage zur Frage der Steuerbarkeit von Innenleistungen bei umsatzsteuerlicher Organschaft

BFH, Beschluss vom 26. Januar 2023 – V R 20/22 (V R 40/19)

Ausgangslage

Kürzlich hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in zwei Verfahren über die Europarechtskonformität der nationalen Regelungen der umsatzsteuerlichen Organschaft (§ 2 UStG) zu entscheiden. Im Ergebnis befand der EuGH mit Urteilen vom 1. Dezember 2022 die nationalen Regelungen grundsätzlich für europarechtskonform.

Ein Aspekt eines Verfahrens bezog sich auf die umsatzsteuerliche Bewertung von Innenleistungen, also Leistungen zwischen den Organgesellschaften. Diese sind grundsätzlich nicht umsatzsteuerbar und unterliegen mithin keiner Umsatzbesteuerung.

Es stellt sich allerdings die Frage des Umfangs der Organschaft. Insbesondere steuerbegünstigte Körperschaften (§§ 51 ff. AO) oder juristische Personen des öffentlichen Rechts haben neben einem wirtschaftlichen (unternehmerischen) häufig auch einen nichtwirtschaftlichen (nichtunternehmerischen) Bereich. Werden aus dem Organkreis an diesen nichtwirtschaftlichen (nichtunternehmerischen) Bereich Leistungen erbracht, stellt sich aktuell die Frage, wie diese umsatzsteuerlich zu bewerten sind.

Bisher war das Verständnis, dass entsprechende Leistungen des Organkreises zu einer unentgeltlichen Wertabgabe führen und damit einem umsatzsteuerpflichtigen Letztverbrauch gleichgestellt werden.

Vorlagefragen des BFH

Der BFH legt dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

1. Führt die Zusammenfassung mehrerer Personen zu einem Steuerpflichtigen (Art. 4 Abs. 4 UAbs. 2 Richtlinie 77/388/EWG) dazu, dass entgeltliche Leistungen zwischen diesen Personen nicht dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer nach Art. 2 Nr. 1 dieser Richtlinie unterliegen?

2. Unterliegen entgeltliche Leistungen zwischen diesen Personen jedenfalls dann dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer, wenn der Leistungsempfänger nicht (oder nur teilweise) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, da ansonsten die Gefahr von Steuerverlusten besteht?

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine Stiftung öffentlichen Rechts. Sie ist Trägerin einer Universität, die auch einen Bereich Universitätsmedizin unterhält. Sie erbringt als Steuerpflichtige im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit Dienstleistungen gegen Entgelt. Soweit die entgeltlichen Dienstleistungen auf den Krankenhausbetrieb entfallen, sind sie umsatzsteuerfrei. Zugleich nimmt die Klägerin als juristische Person des öffentlichen Rechts hoheitliche Aufgaben wahr, für die sie nicht als Steuerpflichtige gilt.

Die Klägerin ist Organträgerin einer GmbH. Diese erbrachte für die Klägerin Reinigungs-, Hygiene- und Wäschereileistungen sowie Patiententransportdienstleistungen gegen Entgelt. Die Reinigungsleistungen erbrachte die GmbH in den Räumen der Klägerin. Während der Krankenhausbereich der Versorgung der Patienten diente und damit dem wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich der Klägerin zuzuordnen war, in dem sie als Steuerpflichtige handelt, wurden die Hörsäle, Labore und andere Räume für die Ausbildung der Studierenden und damit für den hoheitlichen Bereich der Klägerin genutzt, für den sie nicht als Steuerpflichtige gilt. Der Anteil des hoheitlichen Bereichs der zu reinigenden Fläche betrug 7,6 % der Gesamtfläche.

Das FA sah die von der GmbH für die Klägerin erbrachten Reinigungsleistungen als Umsätze an, die innerhalb der zwischen der Klägerin und der GmbH bestehenden Organschaft erbracht und damit nichtsteuerbar waren. Soweit die Reinigungsleistungen für den Hoheitsbereich der Klägerin erfolgten, dienten sie einer unternehmensfremden Tätigkeit und lösten eine unentgeltliche Wertabgabe (§ 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG bzw. Art. 6 Abs. 2 Buchst. b Richtlinie 77/388/EWG) bei der Klägerin aus.

Nach Ansicht des Finanzgerichts liegt eine Organschaft vor, die zur Zusammenfassung von Klägerin als Organträgerin und GmbH als Organgesellschaft zu einem Unternehmen führt. Diese Organschaft erstrecke sich auch auf den Hoheitsbereich der Klägerin. Die Voraussetzungen einer unentgeltlichen Wertabgabe (§ 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG) lägen nicht vor.

Der BFH hatte im ersten Vorlageverfahren zwei Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Hierauf hatte der EuGH bereits geantwortet1:

„1. Art. 4 Abs. 4 UAbs. 2 der [Richtlinie 77/388/EWG] ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, zum einzigen Steuerpflichtigen einer Gruppe von Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, den Organträger dieser Gruppe zu bestimmen, wenn dieser in der Lage ist, seinen Willen bei den anderen Mitgliedern dieser Gruppe durchzusetzen, und unter der Voraussetzung, dass diese Bestimmung nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führt.

2. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass im Fall einer Einheit, die die einzige Steuerpflichtige einer Gruppe von Personen ist, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, und die zum einen wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt, für die sie der Steuer unterliegt, und zum anderen Tätigkeiten im Rahmen der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben, für die sie gemäß Art. 4 Abs. 5 der [Richtlinie 77/388/EWG] nicht als mehrwertsteuerpflichtig gilt, die Erbringung einer Dienstleistung im Zusammenhang mit dieser hoheitlichen Tätigkeit durch ein Mitglied dieser Gruppe nicht gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie besteuert werden darf.“

Bewertung

Im Anschluss dieser beiden Antworten des EuGH hat der BFH zur Klärung des umsatzsteuerlichen Verständnis des Letztverbrauchs nunmehr die weiteren Vorlagefragen gestellt. Dem EuGH wird die Möglichkeit gegeben, wieder ein klares und stringentes Verständnis für diesen Themenkreis herzustellen. Steuerpflichtige sollten – in Abstimmung mit dem zuständigen Finanzamt – die Sachverhalte klären und die Veranlagung – soweit noch nichts von Amts wegen erfolgt – offenhalten.

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1 Hierzu hatten wir bereits im Newsletter „Public Sector“ 1/2023 verwiesen – siehe Beitrag: Bringt die EU-Rechtskonformitaet Klarheit

Autor

Dr. Alexander Becker
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 2-2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.