Bundesfinanzhof: keine „geringwertigen“ aktiven Rechnungsabgrenzungsposten

BFH, Urteil vom 16. März 2021 – Az.: X R 34/19

Gemäß § 250 Abs. 1 HGB sind auf der Aktivseite der Bilanz Ausgaben vor dem Abschlussstichtag, die Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen, als Rechnungsabgrenzungsposten auszuweisen. Fast wortgleich bestimmt § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG die Bildung eines aktiven Rechnungsabgrenzungspostens in der Steuerbilanz.

In der Praxis sind davon üblicherweise Jahresverträge betroffen, die betrieblichen Aufwand darstellen und deren Laufzeit vom Kalenderjahr abweicht. Zu nennen sind hier hauptsächlich Miet- und Pachtverträge, Versicherungsverträge, Wartungsverträge, Darlehenszinsen oder Abonnements von Fachliteratur. Hinzu kommt häufig die Kfz-Steuer für Betriebsfahrzeuge oder andere Verträge, deren Erfüllung nach dem Bilanzstichtag erfolgt (z. B. Werbeverträge). Damit verbunden ist mitunter ein scheinbar unverhältnismäßig hoher Arbeitsaufwand zur Berechnung der teilweise geringfügigen Abgrenzungsbeträge. In der Beratungspraxis wurde deshalb bereits die Frage nach der Wesentlichkeit der exakten Berechnung des aktiven Rechnungsabgrenzungspostens gestellt. Insbesondere dann, wenn es sich, bezogen auf die Gesamtaussage des Jahresabschlusses, um unwesentliche Beträge handelte und/oder sich die zugrunde liegenden Verträge nicht änderten und somit die Periodenverschiebung der Aufwendungen von Jahr zu Jahr annähernd unverändert geblieben ist.

Diese Fragen wurden offenbar im Zuge einer steuerlichen Außenprüfung bis zum Bundesfinanzhof (BFH) eskaliert (zu den Einzelheiten vgl. Beschluss vom 18. März 2010, Az.: X R 20/09). Leitsatz dieses Beschlusses war:

„Dem Steuerpflichtigen ist es erlaubt, in Fällen von geringer Bedeutung auf eine genaue Abgrenzung (Anm.: hier „des aktiven Rechnungsabgrenzungspostens“) zu verzichten.“

Diesen BFH-Beschluss hat die Finanzverwaltung – wenig überraschend – nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht und sich somit der Rechtsauffassung des BFH nicht angeschlossen. Ungeachtet dessen wurde in der Folgezeit bei der Bildung aktiver Rechnungsabgrenzungsposten des Öfteren auf eine genaue Periodenabgrenzung verzichtet. Unter Bezugnahme und mit Verweis auf die „Wesentlichkeit“ (hier: „geringe Bedeutung = Unwesentlichkeit“) fand diese Rechtsauffassung auch nach und nach Eingang in die handelsrechtliche Bilanzierungspraxis.

Nachdem sich das Finanzgericht Baden-Württemberg im Jahr 2019 erneut mit dem Thema befasst hatte (Urteil vom 8. November 2019; Az.: 5 K 162/19) und das beklagte Finanzamt Revision gegen dieses Urteil eingelegt hatte, erhielt der BFH die Gelegenheit, sich mit diesem Thema nochmals zu befassen. Der Leitsatz seines neuen Urteils in der Sache vom 16. März 2021 (Az.: X R 34/19) lautet wie folgt:

„Aktive Rechnungsabgrenzungsposten sind auch bei geringfügigen Beträgen zu bilden. Weder dem Grundsatz der Wesentlichkeit noch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lässt sich eine Einschränkung der Pflicht zur Bildung auf wesentliche Fälle entnehmen.“

In seiner sehr ausführlichen Urteilsbegründung weist der BFH eingangs darauf hin, dass es dem Sinn und Zweck der steuerlichen Gewinnermittlung widerspräche, wenn die Bildung eines Rechnungsabgrenzungspostens im Belieben des Kaufmanns stünde (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 3. Februar 1969 – GrS 2/68, BFHE 95, 31, BStBl. II 1969, 291).

Im Anschluss definiert der BFH nochmals den Grundsatz der Wesentlichkeit und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Nach dem Grundsatz der Wesentlichkeit kann der Kaufmann auf den Ausweis unwesentlicher Posten in bestimmten Fällen verzichten, sofern der Gesetzgeber dieses ausdrücklich zulässt. Beispielhaft verweist das Gericht auf handelsrechtliche Regelungen (Anm.: zum Beispiel die Wahlrechte im Zusammenhang mit aktiven latenten Steuern in § 274 Abs. 1 HGB oder die Möglichkeit der Bildung von Festwerten gemäß § 240 Abs. 3 HGB) und benennt ausdrücklich die Sofortabsetzung von geringwertigen Wirtschaftsgütern nach § 6 Abs. 2 EStG. Für die Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten fehlt es an einer solchen gesetzlichen Regelung. Auch können die Regelungen zur Behandlung geringwertiger Wirtschaftsgüter schon allein deshalb nicht analog bei der Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten Anwendung finden, weil es sich bei Rechnungsabgrenzungsposten nicht um Wirtschaftsgüter handelt (Anm.: handelsrechtliche Bilanzierungshilfe).

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt auch im Steuerrecht, allerdings beschränkt er nicht die Pflicht zur Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten, so der BFH weiter. Unstreitig sei, dass nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Mittel und Zweck in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen müssen. Damit sei aber keineswegs der Arbeitsaufwand zur Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten gemeint, den der BFH im Hinblick auf die damit verbundene Verbesserung des Einblicks in die Vermögens- und Ertragslage nicht für übertrieben hält.

Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widersprechen würde demgegenüber eine „schädliche“ Tätigkeit, die von ganz untergeordneter Bedeutung ist und kaum in Erscheinung tritt, aber eine andere, wesentliche bedeutendere Tätigkeit „infiziert“, z. B. eine gewerbliche Tätigkeit, und dadurch unverhältnismäßige steuerliche Folgen auslösen würde.

Abschließend weist der BFH unter Bezugnahme auf seinen früheren Beschluss vom 18. März 2010 (in BFH/NV 2010, 1796) ausdrücklich darauf hin, dass er an seiner darin vertretenen Rechtsauffassung aus den genannten Gründen nicht mehr festhält.

Fazit

Mit dem hier besprochenen Urteil kehrt der BFH in seiner Rechtsprechung wieder zu den gesetzlichen Grundlagen zur Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten zurück und beseitigt damit ein Streitpotenzial zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung. Denn sofern sich die Finanzverwaltung auf den Buchstaben und den Sinn der Regelungen im Handels- und Steuerrecht berief und eine korrekte Ermittlung des Periodenergebnisses verlangte bzw. selbst vornahm, war ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren (Einspruch gemäß §§ 347 ff. AO) auch mit Verweis auf den nicht veröffentlichten BFH-Beschluss vom 18. März 2010 wenig erfolgversprechend. Mithin gilt es nunmehr auch zukünftig wieder, Zahlungsvorgänge, die Aufwendungen oder Erträge in einer bestimmten Zeit nach dem Bilanzstichtag betreffen, in der Handels- und Steuerbilanz ordnungsgemäß einzeln zu erfassen und periodengerecht abzugrenzen.

Autor*innen

Britta Benkisser
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Ulf Urner
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