Erleichterung für viele Arbeitgeber – BAG: Beweislast, dass Überstunden geleistet wurden, bleibt beim Arbeitnehmer

Der EuGH entschied 2019 zur sog. „Arbeitszeitrichtlinie“ (2003/88/EG), dass die EU-Staaten Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung verpflichten müssen (vgl. sog. „Stechuhr-Urteil“, Az. C-55/18). Das BAG stellt nun fest, dass daraus nicht folgt, dass eine unterlassene Arbeitszeitdokumentation des Arbeitgebers zu Nachteilen bei der Beweislast hinsichtlich nicht erfasster und streitiger Überstunden führt (BAG-Urteil vom 4. Mai 2022 – 5 AZR 359/21). Eine vergütungsrelevante unmittelbare Wirkung der Richtlinie gibt es danach nicht.

Der Kläger war als Auslieferungsfahrer bei der Beklagten, die ein Einzelhandelsunternehmen betreibt, beschäftigt. Mit seiner Klage verlangte der Kläger Überstundenvergütung in Höhe von 5.222,67 € brutto. Er machte geltend, er habe die regelmäßige Arbeitszeit dauerhaft durchgearbeitet, ohne Pausen zu nehmen. Eigentlich als Pausen vorgesehene und nicht bezahlte Zeiten, seien als Überstunden zu vergüten. Pausen zu nehmen sei nicht möglich gewesen, weil sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Die Beklagte hat dies bestritten.

Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer, der eine Vergütung von Überstunden beansprucht, im Streitfall nicht nur zu beweisen, dass Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet wurde, sondern auch, dass der Arbeitgeber diese zusätzliche Arbeit veranlasst hat.

Das Arbeitsgericht Emden entschied zugunsten des Klägers und sah vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils den Arbeitgeber beweisbelastet dafür, dass während der Pausen tatsächlich nicht gearbeitet wurde und dementsprechend keine Überstunden angefallen wären. Aufgrund der fehlenden Möglichkeit des Arbeitnehmers, Pausenzeiten zu erfassen, sei für eine schlüssige Begründung der Klage ausreichend, die Zahl der geleisteten Überstunden vorzutragen. Insoweit werde durch das EuGH-Urteil und die Arbeitszeitrichtlinie die Beweislast modifiziert.

Das Landesarbeitsgericht widersprach dem und wies die Klage ab. Die hiergegen gerichtete Revision vor dem BAG hatte keinen Erfolg. BAG und LAG stellten fest, dass nach Rechtsprechung des EuGH Sinn und Zweck der EU-Richtlinie Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer*innen sei. Somit finde die EU-Richtline keine Anwendung auf die Vergütung von Arbeitnehmer*innen. Die Beweislast hinsichtlich geleisteter Überstunden werde nicht modifiziert.

Vor diesem Hintergrund habe der Kläger nicht hinreichend konkret dargelegt, dass es erforderlich gewesen sei, ohne Pausenzeiten durchzuarbeiten, um die Auslieferungsfahrten zu erledigen. Die bloße pauschale Behauptung, ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten genüge hierfür nicht.

Praxishinweise

Der EuGH hat die arbeitsrechtliche Praxis durch das Stechuhr-Urteil erheblich verunsichert. Insbesondere stellte sich die Frage, ob sich die Grundsätze zur Beweislastverteilung hinsichtlich der Vergütung von Überstunden angesichts der grundsätzlichen Dokumentationspflichten des Arbeitgebers zugunsten der Arbeitnehmer*innen ändern.

Nach der Entscheidung des BAG würde die Modifizierung der Beweislast eine entsprechende Regelung des deutschen Gesetzgebers erfordern. Allerdings betreffen auch die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/ EG und Art. 31 EU-GRCharta lediglich Fragen des Arbeitsschutzes und der effektiven Begrenzung der Höchstarbeitszeit. Abzuwarten bleibt, wann und in welcher Form der Gesetzgeber die europäischen Vorgaben umsetzt. Eine Umsetzung während der laufenden Legislaturperiode ist wahrscheinlich. Dabei könnten dann Sanktionen und Nachteile für Arbeitgeber, die Arbeitszeiten nicht vollständig erfassen, vorgesehen sein. Arbeitgeber sollten daher das anstehende Gesetzgebungsverfahren verfolgen und sich – sofern noch nicht geschehen – auf eine etwaige Einführung von Zeiterfassungssystemen schon heute vorbereiten.

Autor*innen

Marion Plesch
Tel: +49 30 208 88 1146

Maximilian Sprakel
Tel: +49 30 208 88 1633

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 3-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.