Status quo von vergaberechtlichen Sonderregelungen zur Bewältigung von Krisen

In den vergangenen Monaten haben sich Sonderregelungen für das Vergaberecht zunehmend zu einem Instrument zur Bewältigung von Krisen entwickelt.

Sowohl die Bewältigung wirtschaftlicher Folgen der Covid-19-Pandemie als auch die Beseitigung von Schäden, die durch Unwetterkatastrophen entstanden sind, stehen beispielhaft für diese Entwicklung. Aus den Sonderregelungen ergeben sich teilweise erhebliche Erleichterungen für öffentliche Auftraggeber. Zudem erreichen zunehmend auch Fragen zur Auslegung vergaberechtlicher Vorschriften vor dem Hintergrund verschiedener Krisen die Rechtsprechung.

Pandemiebedingte Aufhebung von Vergabeverfahren

Die Vergabekammer des Bundes (VK Bund) hatte mit Beschluss vom 6. Mai 2020 (Az.: VK 1-30/20) entschieden, dass die Covid-19-Pandemie und der damit seit März 2020 verbundene Lockdown eine nicht vorhersehbare wesentliche Änderung der Rahmenbedingungen des Vergabeverfahrens darstellt, die zur Aufhebung eines Vergabeverfahren berechtigt. Mazars hatte dazu berichtet im Newsletter Public Sector 2/2020, Seite 34. Damals war der Beschluss noch nicht bestandskräftig, denn gegen ihn wurde Beschwerde beim OLG Düsseldorf (Az.: Verg 22/20) eingelegt. Mittlerweile hat das OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 10. Februar 2021 über die Beschwerde entschieden und die Entscheidung der VK Bund bestätigt. Damit besteht nun grundsätzlich Rechtssicherheit, dass eine Verfahrensaufhebung grundsätzlich möglich ist, wenn sich die Grundlagen des Vergabeverfahrens durch die Covid-19-Pandemie wesentlich geändert haben. Ob dies im konkreten Fall gegeben ist, bedarf jedoch einer Einzelfallprüfung.

Handlungsleitlinien des BMWi für die Bundesverwaltung

Zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie hatte das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) bereits im März 2020 ein Rundschreiben mit allgemeinen Hinweisen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie veröffentlicht. Mazars hatte darüber berichtet im Newsletter Public Sector 1/2020, Seite 3. Weiterhin hat das BMWi am 8. Juli 2020 verbindliche Handlungsleitlinien für die Bundesverwaltung für die Vergabe öffentlicher Aufträge zur Beschleunigung investiver Maßnahmen zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie veröffentlicht. Die verbindlichen Handlungsleitlinien sind noch bis zum 31. Dezember 2021 in Kraft.

Die Leitlinien können unter dem folgenden Link abgerufen werden: www.bmwi.de

Sonderregelungen und Hinweise auf Landesebene

In Thüringen wurden durch Änderungen der Thüringer Verwaltungsvorschrift zur Vergabe öffentlicher Aufträge die Wertgrenzen für Bauleistungen im Wege der beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb und der freihändigen Vergabe auf bis zu 3.000.000 € angehoben. Für Beschaffungen nach der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) wurden die Wertgrenzen für die beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb und Verhandlungsvergabe auf bis zu 214.000 € erhöht. Die Sonderregelungen gelten aktuell bis zum 31. Dezember 2021.

In Sachsen hat die Landesregierung mit dem „ Newsletter zum aktuellen Vergaberecht, Ausgabe Mai/Juni 2021“ Hinweise veröffentlicht, wie öffentliche Auftraggeber auf Probleme wie Materialengpässe und Preissteigerungen reagieren können.

In Sachsen-Anhalt sind die vergaberechtlichen Erleichterungen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie gemäß dem vorgenannten Rundschreiben des BMWi vom 19. März 2020 per Rundschreiben des Landeswirtschaftsministeriums ebenfalls bis zum 31. Dezember 2021 verlängert worden. Somit gilt das Rundschreiben des BMWi neben der Bundesverwaltung auch weiterhin für Beschaffungen in Sachsen-Anhalt.

In Mecklenburg-Vorpommern wurde per Verwaltungsvorschrift vom 24. November 2020 die Gültigkeit der vergaberechtlichen Sonderregelungen gemäß dem sogenannten Corona-Vergabeerlass (CVgE M-V) vom 14. April 2020 bis zum 31. Dezember 2021 verlängert. Damit können Liefer-, Dienstund Bauleistungen, die unmittelbar oder mittelbar zur Eindämmung der Corona-Pandemie oder deren Folgen beitragen, weiterhin bis zur Höhe der jeweiligen EU-Schwellenwerte unter Berücksichtigung der Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens analog eines Direktauftrages beschafft werden. Auf eine Markterkundung darf dabei verzichtet werden.

Vergaberechtliche Sonderregelungen auf Landesebene zur Beseitigung von Schäden, die durch Unwetterkatastrophen entstanden sind

Das rheinland-pfälzische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau hat für die von den im Juli 2021 entstandenen verheerenden Hochwasserschäden betroffenen Kommunen das Haushaltsvergaberecht zunächst bis zum Jahresende ausgesetzt. Damit können öffentliche Aufträge schneller und unbürokratischer vergeben werden. Am 19. Juli 2021 benannte die Landeswirtschaftsministerin die entsprechenden Landkreise, für welche die Aussetzung des Haushaltsrechts gelten soll. Dies sind Ahrweiler, Mayen-Koblenz, Bernkastel-Wittlich, Eifelkreis Bitburg-Prüm, Trier-Saarburg, Vulkaneifel und die kreisfreie Stadt Trier. Damit müssen in diesen Landkreisen keine förmlichen Vergabeverfahren durchgeführt werden. Auch oberhalb der EU-Schwellenwerte können Leistungen insbesondere über das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb schnell und ohne förmliche Ausschreibung im Wettbewerb beschafft werden. Angebote können formlos und ohne Beachtung konkreter Fristvorgaben eingeholt werden. Auch Verhandlungsverfahren mit lediglich einem Wirtschaftsteilnehmer sind in dieser Situation möglich, soweit dies erforderlich ist.

In Nordrhein-Westfalen gaben am 5. August 2021 das Landesministerium der Finanzen und das Landwirtschaftsministerium gemeinsam für Landesbehörden bekannt, dass Vereinfachungen für Vergabeverfahren unterhalb der EU-Schwellenwerte beschlossen wurden sowie Hinweise für Verfahren oberhalb der EU-Schwellenwerte veröffentlicht werden. Dies soll der Beseitigung von Schäden dienen, die durch die Unwetterkatastrophe im Juli 2021 verursacht wurden.

Autor*innen

Noreen Völker
Tel: +49 30 208 88 1190

Leo Lerch
Tel: +49 30 208 88 1514

 

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 3-2021. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.