Zuschlags- und Vertragserfüllungsverbot für Bieter und Auftragnehmer „mit Bezug zu Russland“

Was öffentliche Auftraggeber über das fünfte Russland- Sanktionspaket der EU wissen müssen.

Seit Februar hat die EU bisher fünf Sanktionspakete gegen Russland verhängt. Die ersten vier Sanktionspakete enthielten vor allem gezielte Maßnahmen gegen Einzelpersonen und bestimmte Institutionen wie die russische Zentralbank. Das fünfte Sanktionspaket in Gestalt der Verordnung (EU) 2022/576 vom 8. April 2022 betrifft nun erstmals auch den Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens. Die Verordnung enthält rechtlich bindende Vorgaben für öffentliche Auftraggeber, insbesondere in Art. 5k Abs. 1 ein Zuschlagsverbot und ein Vertragserfüllungsverbot.

Das Zuschlagsverbot bedeutet, dass es mit Wirkung vom 9. April 2022 in allen EU-Mitgliedstaaten verboten ist, öffentliche Aufträge und Konzessionen an Personen oder Unternehmen zu vergeben, die einen Bezug zu Russland im Sinne der Vorschrift aufweisen.

Das Vertragserfüllungsverbot bedeutet, dass öffentliche Aufträge und Konzessionen, die vor dem 9. April 2022 an Personen oder Unternehmen mit Bezug zu Russland vergeben wurden, beendet werden müssen. Diese Verträge und Konzessionen sind spätestens mit Wirkung zum 10. Oktober 2022 zu kündigen.

Die praktische Umsetzung bringt Herausforderungen mit sich, die öffentliche Auftraggeber bewältigen müssen. So gilt es, erstens abzugrenzen, wer überhaupt konkret gemeint ist mit dem Begriff der Personen und Unternehmen „mit Bezug zu Russland“. Zweitens ist zu klären, wie der Ausschluss dieser Personen und Unternehmen aus Vergabeverfahren und laufenden Verträgen in der Praxis umzusetzen ist. Drittens ergibt sich in bestimmten Einzelfällen die Frage, ob von dem grundsätzlichen Zuschlags- und Vertragserfüllungsverbot Ausnahmen möglich sind.

1. Personen und Unternehmen „mit Bezug zu Russland“

Einen Bezug zu Russland im Sinne der Vorschrift haben

a) russische Staatsangehörige,

b) in Russland niedergelassene natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen,

c) juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, deren Anteile zu mehr als 50 % unmittelbar oder mittelbar von Angehörigen, Personen, Organisationen oder Einrichtungen im Sinne von a) oder b) gehalten werden.

Zur Verhinderung von Umgehungen soll ein Bezug zu Russland auch angenommen werden bei Personen und Unternehmen, die im Namen oder auf Anweisung der unter a) bis c) Genannten handeln. Gleiches gilt bei Unterauftragnehmern, eignungsverleihenden Unternehmen und Lieferanten, wenn auf sie mehr als 10 % des Auftragswertes entfällt.

Eine Besonderheit ist, dass von dem Verbot selbst solche Aufträge umfasst sind, die vom Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts ausgenommen sind (beispielsweise Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen oder finanzielle Dienstleistungen gemäß § 116 GWB). Daher müssen öffentliche Auftraggeber den Bezug zu Russland von Auftragnehmern selbst bei solchen Aufträgen prüfen, die gar nicht nach den Vorschriften des GWB zu vergeben sind.

2. Praktische Umsetzung des Ausschlusses aus Vergabeverfahren und laufenden Verträgen

Die zuständigen Bundesministerien geben Hinweise zur praktischen Umsetzung des Zuschlags- und Vertragserfüllungsverbotes in zwei Rundschreiben, die jeweils am 14. April 2022 versendet wurden (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz „BMWK“: Aktenzeichen 20601/000#1, Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen „BMWSB“: Aktenzeichen BWI7-70409/2#1).

Danach ist in neuen und laufenden Vergabeverfahren von den Bewerbern oder Bietern eine zusätzliche Eigenerklärung mit Angaben über den Bezug zu Russland abzufordern. Sofern sich aus der Eigenerklärung ein Bezug zu Russland im Sinne der Verordnung ergibt, ist das Angebot von der Wertung auszuschließen. Dasselbe gilt für Angebote von Bietern, welche die Eigenerklärung trotz Anforderung nicht abgeben.

Bei bestehenden Verträgen sollen öffentliche Auftraggeber in gleicher Weise verfahren und die zusätzliche Eigenerklärung von allen aktuellen Auftragnehmern abfordern. Sofern der Auftragnehmer einen Bezug zu Russland aufweist oder die geforderte Eigenerklärung trotz Aufforderung nicht abgibt, ist der Vertrag unter Berufung auf das EU-rechtlich unmittelbar geltende Erfüllungsverbot zum 10. Oktober 2022 zu kündigen. Schadensersatzansprüche der Auftragnehmer wegen vorzeitiger Vertragsbeendigung haben öffentliche Auftraggeber dabei nicht zu befürchten. Nach Art. 11 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 wird eine Schadensersatzpflicht für diese Fälle EU-rechtlich unmittelbar ausgeschlossen.

Entsprechende Vordrucke für die zusätzliche Eigenerklärung stellen das BMWK und das BMWSB jeweils zur Verfügung. Die Vordrucke können unter den untenstehenden Links heruntergeladen werden. Ebenfalls frei verfügbar ist ein ähnlicher Vordruck, der bereits in das Vergabehandbuch des Landes Nordrhein-Westfalen aufgenommen wurde.

Für den Fall, dass Bieter oder Auftragnehmer die Eigenerklärung trotz Aufforderung nicht abgeben, ist es ratsam, vor dem Ausschluss vom Vergabeverfahren bzw. vor der Kündigung des Vertrages erneut schriftlich zur Abgabe der Eigenerklärung aufzufordern. Dabei sollte eine Frist gesetzt werden und auf den drohenden Ausschluss vom Vergabeverfahren bzw. auf die drohende Kündigung des Vertrages ausdrücklich hingewiesen werden.

3. Ausnahmen vom Zuschlags- und Vertragserfüllungsverbot

In Art. 5k Abs. 2 der Verordnung (EU) 2022/576 sind die Fallgruppen aufgelistet, in denen ausnahmsweise die Zuschlagserteilung oder Vertragsfortsetzung bei Auftragnehmern mit Bezug zu Russland möglich ist. Praxisrelevant dürfte hier insbesondere die Fallgruppe der unbedingt notwendigen Güter oder Dienstleistungen sein, die ausschließlich oder nur in ausreichender Menge von Personen oder Unternehmen mit Bezug zu Russland bereitgestellt werden können.

Eine Ausnahme setzt allerdings zwingend eine ausdrückliche Genehmigung voraus. Die zuständige Stelle für die Erteilung von Ausnahmen wird kurzfristig durch das BMWK bekannt gegeben (siehe hier).

Fazit

Öffentliche Auftraggeber sollten die Eigenerklärung zum Bezug zu Russland von allen Bietern und Auftragnehmern einholen und dies entsprechend dokumentieren. Sofern sich ein Bezug zu Russland herausstellt, ist der Ausschluss vom Vergabeverfahren beziehungsweise die Kündigung des Vertrages die zwingende Folge. In Zweifelsfällen sollten Auftraggeber den Bezug zu Russland genau überprüfen.

Der Vordruck des BMWK für die Eigenerklärung kann unter hier heruntergeladen werden.

Der Vordruck des BMWSB für die Eigenerklärung kann hier heruntergeladen werden.

Autor*innen

Noreen Völker
Tel: +49 30 208 88 1190

Leo Lerch
Tel: +49 30 208 88 1514

Haben Sie Fragen oder weiteren Informationsbedarf?

Sprechen Sie uns an

Dies ist ein Beitrag aus unserem Public Sector Newsletter 2-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.