Geht es auch etwas produktspezifischer? Neue Entscheidungen zur produktspezifischen Ausschreibung

Die Zulässigkeit der Beschaffung von bestimmten Produkten gehört zu den klassischen vergaberechtlichen Problemfeldern.

Grundsätzlich müssen öffentliche Auftraggeber zur Förderung des Wettbewerbs produktneutral ausschreiben. Bestimmte Fabrikate dürfen nur ausnahmsweise vorgegeben werden, wenn objektive und auftragsbezogene Gründe dies rechtfertigen. Die hohen Anforderungen an die Begründung bereiten Auftraggebern regelmäßig Schwierigkeiten. Insbesondere subjektive Erwägungen, wie beispielsweise gute Erfahrungen mit einem bestimmten Produkt, sind vergaberechtlich unzulässig.

In der Praxis werden produktspezifische Ausschreibungen besonders oft von Konkurrenten angegriffen. Entsprechend zahlreich sind die Entscheidungen, in denen produktspezifische Ausschreibungen für unzulässig befunden wurden. Dagegen stachen in den vergangenen Monaten zwei Entscheidungen in der Rechtsprechung hervor, in denen die Vorgabe eines bestimmten Fabrikates jeweils für zulässig erachtet wurde.

BayObLG (Vergabesenat), Beschluss vom 25. März 2021 – Verg 4/21

Die Vergabestelle beabsichtigte die Beschaffung eines dreiachsigen Lkw, 26 Tonnen mit Ladekran und Wechselbrücke im offenen Verfahren, der für den Winterdienst eingesetzt werden soll. Zentraler Streitpunkt des Verfahrens waren produktspezifische Vorgaben in den Auftragsunterlagen, die die Antragstellerin für unzulässig hielt. Die Vorgaben betrafen unter anderem ein zentrales Touchscreen-Farbdisplay mit bestimmter Bildschirmdiagonale. Ein zusätzlicher Bildschirm wurde ausgeschlossen.

Die Antragstellerin rügte, alle Einstellungen über ein Display ohne zusätzlichen Bildschirm zu bedienen, sei ein Alleinstellungsmerkmal eines bestimmten Herstellers. Eine Rechtfertigung sei nicht ersichtlich. Die Produktvariante sei am Markt nur für einen bestimmten Kundenkreis verfügbar. Die Antragstellerin gehöre nicht dazu. Es würden somit andere Lieferanten, die das System nicht liefern könnten, diskriminiert.

Die Vergabekammer und das Oberlandesgericht hielten die Einwände der Antragstellerin für unberechtigt. Anhaltspunkte, dass bei der Entscheidung der Vergabestelle willkürliche oder diskriminierende Aspekte eine Rolle gespielt hätten, seien nicht ersichtlich. Die Gründe für die Festlegung müssten nicht zwingend sein; es komme auch nicht darauf an, ob andere Vergabestellen einen Bedarf für ähnliche Festlegungen sehen oder nicht. Notwendig, aber auch ausreichend sei, dass die dokumentierten Gründe für die Festlegung des Produkts objektiv nachvollziehbar sind und die Entscheidung sachlich rechtfertigen. Dies sei in Bezug auf die Argumentation der Vergabestelle, sie habe sich für ein Terminal mit einem Display aus Gründen des Arbeitsschutzes und der Verkehrssicherheit entschieden, der Fall. Es leuchte unmittelbar ein, dass die Bedienung für den Fahrer mithilfe eines Displays einfacher ist als die Nutzung zweier Displays; ebenso, dass es vorteilhaft ist, in allen Fahrzeugen eine einheitliche Ausstattung zu verwenden, weil jeder Fahrer durchgängig und zu jeder Zeit eine vertraute Technik vorfinde.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 8. Juli 2021 – 19 Verg 2/21

Ein Träger mehrerer Schulen beschaffte Hunderte Tablets für den Schulbetrieb. Im Rahmen eines früheren Pilotprojekts waren bereits Apple-iPads angeschafft worden. Vor diesem Hintergrund wurden produktspezifisch Tablets des Herstellers Apple ausgeschrieben. Im Vergabevermerk dokumentierte der Auftraggeber zur Begründung der produktspezifischen Ausschreibung, dass einheitliche Geräte mit einheitlichen Funktionalitäten beschafft werden sollten. Dies sei insbesondere deshalb notwendig, weil die Geräte in die vorhandene Systemarchitektur integriert werden müssten.

Der Antragsteller, der Android-Tablets vertreibt, rügte die produktspezifische Ausschreibung. Seine Produkte seien gleichwertig und ließen sich ohne zu großen Aufwand in die vorhandene IT-Landschaft integrieren und parallel mit den iOS-Geräten betreiben.

Die Vergabekammer und das Oberlandesgericht erachteten die Produktvorgabe hingegen als zulässig. Die von dem Auftraggeber im Vergabevermerk dokumentierten Gründe seien objektiv und auftragsbezogen. Die zu beschaffenden Tablets sollten in eine bereits geschaffene Systemarchitektur integriert werden und verfügen – anders als das Konkur- Newsletter Public Sector Mazars 5 renzprodukt – zudem über Funktionalitäten, die der Auftraggeber als wesentlich erachtete. Die Geräte sollten im Schulbetrieb Verwendung finden und damit in einem durch eine Vielzahl von Nutzern mit sehr unterschiedlichem technischen Verständnis geprägten Umfeld. Zugleich sei für die Umsetzung des Bildungsauftrags die gleichförmige komplikationslose und zuverlässige Bedienbarkeit der im Unterricht verwendeten Geräte von zentraler Bedeutung.

Fazit

Die beiden Entscheidungen zeigen beispielhaft auftragsbezogene Gründe auf, die eine produktspezifische Ausschreibung im Einzelfall rechtfertigen können (Arbeitssicherheit, Bedienkomfort, Integration in bestehende Produktlandschaft). Zugleich wird verdeutlicht, dass es entscheidend darauf ankommt, die Begründung so zu dokumentieren, dass sie für Vergabekammern und Gerichte objektiv nachvollziehbar ist.

Autor*innen

Noreen Völker
Tel: +49 30 208 88 1190

Leo Lerch
Tel: +49 30 208 88 1514

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