Aussetzung der Vollziehung: Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Säumniszuschlägen

Mit seinen Beschlüssen 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 vom 8. Juli 2021 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen mit jährlich 6 % (§ 238 Abs. 1 AO: „für jeden Monat einhalb Prozent“) ab dem Jahr 2014 für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber aufgefordert, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen (wir haben bereits darüber berichtet; vgl. www.mazars.de).

Damit im Zusammenhang stehend, informieren wir heute aus aktuellem Anlass (Beschluss des 12. Senats des FG Münster vom 16. Dezember 2021 (Az. 12 V 2684/21) und bezugnehmend auf verschiedene Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH), zum Beispiel vom 26. Mai 2021, VII B 13/21 (AdV), vom 14. April 2020 – VII B 53/19, BFH/NV 2021, 177, vom 30. Juni 2020 – VII R 63/18, BStBl. II 2021, 191 und vom 31. August 2021 – VII B 69/21 (nicht veröffentlicht), darüber, dass auch die Höhe der Säumniszuschläge gemäß § 240 AO teilweise verfassungswidrig sein kann.

Exemplarisch wollen wir die diesbezügliche Argumentation der Finanzgerichtsbarkeit am Beispiel des BFH-Beschlusses vom 26. Mai 2021, VII B 13/21 (AdV) erläutern. Vor allem deshalb, weil der BFH in diesem Fall auch die Rechtsfolgen (AdV von 50 % des festgesetzten Säumniszuschlags) aufgezeigt hat. AdV steht in diesem Kontext sowohl für „Aussetzung der Vollziehung“ (vgl. § 361 Abgabenordnung) in den Fällen, in denen die Säumniszuschläge noch nicht bezahlt wurden, als auch für „Aufhebung der Vollziehung“, also nach erfolgter Zahlung der Säumniszuschläge durch den Steuerpflichtigen.

Im hier entschiedenen Fall hatte das Finanzamt Säumniszuschläge für die verspätete Zahlung von Umsatzsteuer festgesetzt und diese im Rahmen eines Abrechnungsbescheids mit Erstattungsansprüchen des Steuerpflichtigen aufgerechnet.

Gegen diesen Abrechnungsbescheid legte der Steuerpflichtige Einspruch ein und machte geltend, dass die Säumniszuschläge, soweit sie einen Betrag X übersteigen, verfassungswidrig seien. Dabei wurde argumentiert, dass der Säumniszuschlag sowohl Druck- als auch Zinscharakter habe. Während der Druckcharakter nicht Gegenstand des Einspruchs sei, wäre der Zinscharakter von den verfassungsrechtlichen Zweifeln des BFH erfasst (Anmerkung: Das Urteil des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der 6%igen Verzinsung erging erst am 8. Juli 2021 – siehe oben). Der Steuerpflichtige beantragte „Aufhebung der Vollziehung“ in Höhe von 50 % des Säumniszuschlags.

Im Zuge seiner Rechtsprüfung erläutert der BFH im vorliegenden Beschluss kurz die Grundzüge und Voraussetzungen für eine Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung und stellt in Tz. 10 Folgendes grundsätzlich klar:

„Nach der Rechtsprechung des BFH bestehen ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen, wird dabei nicht vorausgesetzt (vgl. BFH-Beschluss vom 15.04.2020 - IV B 9/20 (AdV), BFH/ NV 2020, 919, m.w.N.). Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 04.07.2019 - VIII B 128/18, BFH/NV 2019, 1060, m.w.N.).“

Unter Verweis auf die bereits in der Vergangenheit geäußerten Bedenken des entscheidenden Senats gegen die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der in § 233a der Abgabenordnung (AO) und in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO normierten Zinssätze ab dem Jahr 2012 entschieden die Richter in Tz. 14 Folgendes:

„Dies gilt jedenfalls insoweit, als Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern, mithin also eine zinsähnliche Funktion (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 21.10.2020 - VII B 121/19, BFH/NV 2021, 326, Rz 33; zur Einordnung von Säumniszuschlägen als Druckmittel mit Zinscharakter s.a. BFH-Urteil vom 29.08.1991 - V R 78/86, BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906, unter B.II.2.a, m.w.N., und Senatsurteil vom 25.02.1997 - VII R 15/96, BFHE 182, 480, BStBl II 1998, 2, unter 2.b cc; ebenso: Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl., § 240 Rz 1).“

Mithin erging in diesem konkreten Fall das Urteil, dass die Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer in der beantragten hälftigen Höhe aufzuheben sind. Im Leitsatz dieses bisher nicht im Bundessteuerblatt veröffentlichten BFH-Beschlusses (Anmerkung: Bisher hat sich die Finanzverwaltung der Rechtsauffassung des BFH nicht angeschlossen) heißt es:

„NV: Gegen die Höhe der nach § 240 AO zu entrichtenden Säumniszuschläge bestehen für Jahre ab 2012 jedenfalls insoweit erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, als den Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern, mithin also eine zinsähnliche Funktion.“

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Autor*innen

Ulf Urner
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Britta Benkisser
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