Pool-Arzt im vertragszahnärztlichen Notdienst ist nicht automatisch selbstständig tätig

Das BSG hat eine mit Spannung erwartete Entscheidung zur Sozialversicherungspflicht eines Zahnarztes getroffen, der als sogenannter Pool-Arzt im vertragszahnärztlichen Notdienst tätig ist. Vorbehaltlich der konkreten Umstände des Einzelfalls hat das BSG festgestellt, dass eine selbstständige Tätigkeit nicht automatisch deshalb vorliegt, weil diese im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung ausgeübt wird.

Die Entscheidung hat in der Gesundheitsbranche für Aufsehen gesorgt und unter anderem bereits zu Konsequenzen der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) geführt, die den Einsatz von Pool-Ärzt*innen mit sofortiger Wirkung gestoppt hat.

Überblick: Was ist passiert?

Das BSG hatte über die Sozialversicherungspflicht eines klagenden Zahnarztes zu entscheiden, der nach dem Verkauf seiner Praxis nicht mehr zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen war, in den Folgejahren aber als Pool-Arzt regelmäßig Notdienste in einer Notdienstzentrale der Kassenzahnärztlichen Vereinigung übernommen hatte.

Pool-Ärzt*innen werden häufig zur Entlastung der zum Notdienst verpflichteten Vertragsärzt*innen eingesetzt und können auch als Nichtvertragsärzt* innen Notdienste übernehmen.

Die Kassenzahnärztliche Vereinigung war hier sowohl für die Organisation der Zentrale als auch für die Bereitstellung von Personal und Sachmitteln zuständig. Die Abrechnung der Leistungen des Zahnarztes erfolgte nicht patientenbezogen, sondern auf der Grundlage eines festen Stundenhonorars.

Der Zahnarzt war der Ansicht, dass es sich bei seinen geleisteten Notdiensten um eine abhängige Beschäftigung gehandelt habe und leitete daraufhin ein Statusfeststellungsverfahren ein. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab und bejahten in Übereinstimmung mit der beklagten Deutschen Rentenversicherung eine selbstständige Tätigkeit des Zahnarztes.

BSG: Pool-Arzt ist nicht selbstständig tätig

Entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen hat das BSG nunmehr entschieden, dass eine abhängige und damit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung des Zahnarztes bei der Teilnahme am vertragszahnärztlichen Notdienst vorliege. Wie aus der Pressemitteilung hervorgeht, führe allein die Teilnahme am vertragszahnärztlichen Notdienst nicht automatisch zur Annahme einer selbstständigen Tätigkeit.

Vielmehr müsse auch in diesem Fall eine Gesamtwürdigung der konkreten Umstände vorgenommen werden. Der Zahnarzt sei hier aufgrund seiner Eingliederung in die von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung organisierten Abläufe abhängig beschäftigt gewesen. Hierauf habe er keinen entscheidenden, erst recht keinen unternehmerischen Einfluss gehabt. Er habe eine von Dritten organisierte Struktur vorgefunden, in die er sich fremdbestimmt einfügte.

Zudem sei er auch unabhängig von den konkreten Behandlungen nach Stunden bezahlt worden. Ihm fehle bereits die für das Vertragszahnarztrecht typische Abrechnungsbefugnis. Darauf, dass er bei der medizinischen Behandlung als Zahnarzt frei und eigenverantwortlich handeln könne, würde es nicht entscheidend ankommen. Folglich unterliege der Zahnarzt bei der vorliegenden Notdiensttätigkeit aufgrund einer abhängigen Beschäftigung der Versicherungspflicht.

Fazit

Die Entscheidung zeigt, dass die freiwillige Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation und das Fehlen eines unternehmerischen Risikos nicht durch die auf den Kernbereich der ärztlichen Behandlung beschränkte Weisungsfreiheit eines Arztes kompensiert werden kann. Auch die Art des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses, welches vorliegend fast vollständig durch öffentlich-rechtliche Normen geprägt ist, schließt ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zudem nicht unbedingt aus.

Im Ergebnis reiht sich die Entscheidung in die bisherigen Entscheidungen des BSG zum Erwerbsstatus von Ärzten, die in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert werden, ein (vgl. BSG zum Erwerbsstatus von Honorarärzten in Krankenhäusern, u. a. Urteil vom 4. Juni 2019 – B 12 R 11/18 R, und Notärzten im Rettungsdienst, Urteil vom 19. Oktober 2021 – B 12 KR 29/19 R 2021). Allerdings bleibt zunächst offen, ob es sich vorliegend um eine Einzelfallentscheidung handelt oder ob beim Einsatz von Pool-Ärzt*innen „in der Regel“ von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen ist. Eine abschließende Prüfung der konkreten Auswirkungen für die Notdienste der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen mit ihren unterschiedlich organisierten Notdiensten und deren bisweilen unterschiedlichen Notdienstordnungen wird erst dann möglich sein, wenn die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen. Diese werden ggf. auch Aufschluss darüber geben, ob das BSG bei der Beurteilung des Erwerbsstatus zwischen Vertragsärzt*innen und Ärzt*innen, die nicht mehr zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen sind, unterscheidet.  

Vor dem Hintergrund, dass die Deutsche Rentenversicherung bei der Beurteilung des Erwerbsstatus erfahrungsgemäß eher restriktiv vorgeht und selten im Sinne einer selbstständigen Tätigkeit entscheidet, überrascht der Umstand, dass sie im vorliegenden Fall von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangenen ist. Dem Urteil der Vorinstanz (LSG Baden-Württemberg Urteil vom 20. Juli 2021 – L 11 BA 3136/20) ist zu entnehmen, dass sie die selbstständige Tätigkeit deshalb bejahte, da eine Verpflichtung zur Teilnahme des Klägers am Notdienst nicht bestanden habe. Der Kläger habe zudem die Möglichkeit gehabt, Dienste zu tauschen. Dem Kläger hätten ferner keine Weisungen hinsichtlich der Ausübung der Tätigkeit erteilt werden dürfen. Insbesondere eine persönliche Abhängigkeit des Klägers habe nicht vorgelegen. Nach Auffassung der Deutschen Rentenversicherung müssten die bestehenden Vorgaben hinsichtlich Arbeitsort, Arbeitszeit und sogar Art und Weise der Arbeit hinter der Berufsfreiheit des Arztes zurückstehen. Im Falle der freiwilligen Ableistung von Notdiensten müsse dies erst recht gelten.

Diese – aus unserer Erfahrung eher ungewöhnliche – Beurteilung durch die Deutsche Rentenversicherung zeigt, dass bei der Frage des Erwerbsstatus alles möglich ist und es auch im vorgelagerten Widerspruchsverfahren auf die Beurteilung des konkreten Einzelfalls ankommt.

In der Praxis werden aufgrund der Entscheidung des BSG jedenfalls erste Stimmen laut, die ein umgehendes Eingreifen der Politik fordern, da der Bereitschaftsdienst bundesweit zu einem großen Teil von Pool-Ärzt*innen getragen wird, die aufgrund der hier vom BSG aufgestellten Grundsätze u. U. ebenfalls als sozialversicherungspflichtig angesehen werden könnten. Die Folgen sind offensichtlich. Der Bereitschaftsdienst wird zukünftig u. a. vermehrt von den niedergelassenen Ärzt*innen übernommen werden müssen, was diese zusätzlich beanspruchen und die flächendeckende Notfallversorgung belasten wird.

Praxishinweise

Sobald die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen, sollten die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Bereitschaftsdienstzentralen sowohl die mit den in den Notdienstzentren eingesetzten (Zahn-) Ärzt*innen bestehenden Vereinbarungen – sofern solche vorhanden sind – und insbesondere den tatsächlichen Einsatz der entsprechenden Ärzt*innen einer kritischen Prüfung unterziehen, um das Risiko der Scheinselbstständigkeit auszuschließen und – sofern erforderlich und möglich – den Einsatz der Ärzt*innen gegebenenfalls durch neue Konzepte an die Rechtsprechung anzupassen.

Generell gilt nach der Rechtsprechung des BSG im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Tätigkeit, dass die jeweiligen Kriterien, die für eine selbstständige Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung sprechen, je nach Lage des Einzelfalles festgestellt, gewichtet sowie widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden müssen und dabei das Gesamtbild der konkreten Tätigkeit zu berücksichtigen ist. Dabei sind grundsätzlich branchenspezifische Gegebenheiten, wie z. B. im Gesundheitswesen, zu beachten. Gerne sind wir Ihnen hierbei behilflich.  

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