Neuigkeiten zur Umsatzbesteuerung von Pflege- und Betreuungsleistungen

Die Pflege und die Betreuung von bedürftigen Personen werden sowohl von öffentlichen als auch von privaten Einrichtungen übernommen. Die Pflegekosten explodieren. Die auf die Leistungen erhobene Mehrwertsteuer ist ein wesentlicher Kostenfaktor. Es ist daher die Aufgabe des Gesetzgebers, klare Vorschriften für die Steuerbefreiungen zu schaffen.

Die Regelung zur Befreiung der Pflege- und Betreuungsleistungen von der Umsatzsteuer gemäß § 4 Nr. 16 UStG wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2021 geändert. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat nunmehr mit seinem Schreiben vom 12. Juli 2023 (BStBl. I 2023, Seite 1505) den Umsatzsteuer-Anwendungserlass angepasst. Bei der Anpassung wurde die zu § 4 Nr. 16 UStG bzw. § 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ergangene Rechtsprechung berücksichtigt.

Änderung der gesetzlichen Regelung

Der Gesetzgeber ergänzte zum 1. Januar 2021 die steuerbefreiten Pflege- und Betreuungsleistungen um die eng damit verbundenen Leistungen und fügte als anerkannte Einrichtung Pflegeberatungsstellen im Sinne von § 7a SGB XI ein.

Aktuelle Rechtsprechung

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seinem Urteil vom 24. Februar 2021 (Aktenzeichen XI R 30/20; BStBl. II 2023, Seite 792) kürzlich seine Rechtsprechung zu den steuerbefreiten Pflege- und Betreuungsleistungen gemäß § 4 Nr. 16 UStG a. F. geändert:

a) Anwendungsbereich und Umfang der Steuerbefreiung

In dem Verfahren vor dem BFH ging es um die Erstellung von Gutachten zur Pflegebedürftigkeit. Nach dem ergangenen BFH-Urteil ist der Anwendungsbereich der steuerbefreiten Pflege- und Betreuungsleistungen in Anlehnung an Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL zu bestimmen. Danach sei es für die Befreiung der Leistungen nicht erforderlich, dass die Leistungen unmittelbar an die pflegebedürftigen Personen erbracht werden, um als „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden“ angesehen werden zu können. Der BFH hatte zuvor gefordert, dass die bedürftigen Personen unmittelbar Leistungsempfänger sein müssten.

b) Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter

Die Anerkennung eines Gutachters als Einrichtung mit sozialem Charakter folge nicht aus einer bloß mittelbaren Erstattung der Kosten für die Gutachtertätigkeit über den MDK, ohne dass diese auf einer expliziten Entscheidung der Pflegekasse beruht oder der Gutachter die Möglichkeit genutzt hätte, in Bezug auf diese Tätigkeit mit der Pflegekasse einen entsprechenden Vertrag zu schließen.

Der BFH lehnte die unmittelbare Anwendung der Steuerbefreiung gem. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ab, weil die Berufung auf die Steuerbefreiungsvorschrift zwingend der Anerkennung (des Gutachters) als Einrichtung mit sozialem Charakter bedarf.

c) Soziale Dienstleistung im Ausland

In einem anderen Fall hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem am 11. Mai 2023 ergangenen Urteil (Aktenzeichen C-620/21; MwStR 2023, 574) bestätigt, dass der soziale Charakter einer Einrichtung im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL von den einzelnen Mitgliedstaaten festzulegen und zu prüfen ist. Für die Anerkennung der Einrichtung sei der Mitgliedstaat zuständig, der die Besteuerungshoheit habe. Das gelte auch, wenn die Leistungen tatsächlich in einem anderen Mitgliedstaat erbracht werden. Im Urteilsfall erbrachte eine bulgarische Gesellschaft Leistungen der persönlichen Pflege und Haushaltshilfe an natürliche Personen in Deutschland. Die bulgarischen Behörden forderten als Voraussetzung für die Anerkennung der Steuerfreiheit der Leistungen eine Bestätigung der Gesellschaft, dass diese in Deutschland bzw. Österreich als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt sei. Dieser Auffassung widersprach der EuGH. Die Anerkennung richte sich ausschließlich nach bulgarischem Recht. Inwieweit die vorgelegten bulgarischen Registrierungsbescheinigungen ausreichen, müsse somit nunmehr das bulgarische Gericht prüfen.

Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE)

In der Neufassung des UStAE werden die neue Gesetzeslage und die ergangenen BFH-Urteile zu § 4 Nr. 16 UStG berücksichtigt. Die Änderungen sind auf Umsätze anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2020 erbracht wurden bzw. erbracht werden. Im Einzelnen:

a) Anwendungsbereich und Umfang der Steuerbefreiung (A 4.16.1 UStAE)

Aufgrund des geänderten Gesetzestextes wurde der Anwendungsbereich der steuerbefreiten Leistungen im UStAE angepasst. Die Formulierung „geistig und seelisch hilfsbedürftige Personen“ wurde jeweils wie im Gesetzestext in „kognitiv oder psychisch hilfsbedürftige Personen“ umformuliert.

Steuerbefreit gemäß § 4 Nr. 16 UStG sind auch Leistungen von Einrichtungen, die selbst keine Pflege- und Betreuungsleistungen, sondern lediglich damit eng verbundene Leistungen erbringen. Eine Aufgabenübertragung oder Kostenübernahme ohne eine gesetzliche Grundlage im Sinne von § 4 Nr. 16 S. 2 UStG führt jedoch nicht zu einer Anerkennung eines Unternehmers als eine Einrichtung mit sozialem Charakter.

b) Einrichtungen nach § 4 Nr. 16 S. 1 Buchstabe l UStG (A 4.16.3 UStAE)

In diesem Abschnitt werden in einem neuen Absatz (1a) die gesetzlichen Träger der Sozialversicherung und der Sozialhilfe im Sinne von § 4 Nr. 16 S. 1 Buchst. m UStG definiert und aufgezählt.

Hinsichtlich der 25%-Grenze des § 4 Nr. 16 S. 1 Buchst. m UStG kommt es darauf an, dass nach einer vorläufigen Schätzung zu Beginn des Kalenderjahres bzw. bei Aufnahme der Tätigkeit die Grenze erreicht wird; unabhängig davon, wie sich die Umsätze des Unternehmers im Kalenderjahr entwickeln.

Absätze 3a und 3b werden eingefügt. Eine Vergütung im Sinne des § 4 Nr. 16 S. 1 Buchst. m UStG kann nicht nur bei einer unmittelbaren, sondern auch bei einer mittelbaren (durchgeleiteten) Kostentragung vorliegen. Das ist dann der Fall, wenn die Träger und Einrichtungen im Sinne der Vorschrift in Kenntnis der Person des leistungserbringenden Subunternehmers auf Grundlage einer expliziten Entscheidung die Kosten für dessen Leistungen übernehmen.

Wenn die Kosten für Pflegeleistungen nicht ganz oder zum überwiegenden Teil von Einrichtungen der sozialen Sicherheit vergütet werden, sondern die zu pflegende Person selbst aus eigenen Mitteln für die Pflegeleistungen aufzukommen hat, kann nicht von einer Übernahme der Kosten durch soziale Einrichtungen gesprochen werden; dies gilt auch, wenn der Leistungsempfänger die für seine Pflege eingesetzten Mittel aus einer Altersrente bezogen hat.

Der Begriff „Fälle“ im Sinne der Vorschrift wird im eingefügten Absatz 3b näher erläutert.

c) Weitere Betreuungs- und/oder Pflegeeinrichtungen (A 4.16.5 UStAE)

Der Abschnitt 4.16.5 erläutert in Absatz 20a die in § 4 Nr. 16 S. 1 Buchst. l eingeführte Steuerbefreiung für Pflegeberatung und definiert die Pflegeberatungsleistungen.

Weiterhin werden als eng mit der Betreuung oder Pflege hilfsbedürftiger Personen verbundene Leistungen im Sinne von § 4 Nr. 16 S. 1 Buchst. m UStG die Erstellung von Gutachten zur Erstellung der Pflegebedürftigkeit nach § 18 SGB XI, Leistungen des Hausnotrufs nach § 40 SGB XI oder die Erteilung von Pflegekursen nach § 45 SGB XI aufgezählt.

d) Eng verbundene Umsätze (A 4.16.5 UStAE)

Der geänderte UStAE weist darauf hin, dass Verpflegungsdienstleistungen, insbesondere Lieferungen von Speisen, soweit sie eigenständige Leistungen darstellen, nicht zu den eng verbundenen Umsätzen gehören, jedoch eventuell dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.

Es bleibt abzuwarten, ob der geänderte Umsatzsteuer- Anwendungserlass zu einer gesicherten Anwendung des § 4 Nr. 16 UStG führt. Die Finanzverwaltung hat die im BMF-Schreiben genannten BFH-Urteile nunmehr im Bundessteuerblatt Teil II veröffentlicht.

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Autorin

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Dies ist ein Beitrag aus unserem Healthcare-Newsletter 3-2023. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.