Verzicht auf Privatliquidation ist umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig

Bundesfinanzhof (BFH), Urteil vom 30. Juni 2022 – V R 36/20

Entscheidung des BFH

Verzichtet der Chefarzt gegenüber dem Träger der Klinik, an der er tätig ist, auf das ihm durch die Klinik eingeräumte Recht zur Privatliquidation gegen monatliche Ausgleichszahlungen, die der Klinikträger leistet, um auch insoweit selbst gegenüber Privatversicherten abrechnen zu können, liegt eine steuerbare Verzichtsleistung vor, die nicht als Verzicht auf die zukünftige Erbringung von Heilbehandlungsleistungen gegenüber den Privatversicherten steuerfrei ist.

Sachverhalt

Der Kläger war als Professor der Medizin an einer Universität beschäftigt. Zudem war er als Direktor einer Klinik tätig. Er war berechtigt, Patienten privat zu behandeln und hierfür zu liquidieren. Dabei durfte er Einrichtungen, Material und Personal des Klinikums gegen Zahlung einer Nutzungsentschädigung in Anspruch nehmen. Die Umsätze wurden nach § 4 Nr. 14 UStG als steuerfrei behandelt.

Später verzichtet der Kläger unter anderem auf die Leitung der Klinik sowie auf das ihm eingeräumte Recht zur Privatliquidation für die Behandlung ambulanter und/oder stationärer Privatpatienten und Selbstzahler. Die Klinik zahlt an den Kläger als Ausgleich für den Verzicht auf das Recht zur Privatliquidation und sämtliche sonstige dem Kläger aufgrund dieser Vereinbarung entstehende finanzielle Nachteile vertraglich festgelegten „Brutto- Betrag“.

Umsatzsteuerrechtliche Fragestellung

Der Kläger ging davon aus, dass es sich bei den gezahlten Beträgen um nicht umsatzsteuerbare Entschädigungen/Abfindungen für den Wegfall seiner Einkünfte aus freiberuflicher chefärztlicher Tätigkeit handelte und gab sie in seinen Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre nicht an.

Eine beim Kläger durchgeführte Außenprüfung kam zu dem Ergebnis, dass es sich beim Verzicht des Klägers auf sein Privatliquidationsrecht zugunsten der Klinik um eine umsatzsteuerbare und umsatzsteuerpflichtige sonstige Leistung handele.

Begründung des BFH

Steuerbarer Umsatz

Der dem Kläger gezahlte Ausgleich ist keine (nicht umsatzsteuerbare) Abfindung für einen beamtenrechtlichen Besitzstand, sondern Entgelt für einen steuerbaren Umsatz (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG). Der Umsatzsteuer unterliegen Umsätze aus Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG).

Der Kläger erbrachte eine sonstige Leistung durch Unterlassen, indem er auf „das ihm eingeräumte Recht zur Privatliquidation für die Behandlung ambulanter und/oder stationärer Privatpatienten und Selbstzahler“ und damit auf eine ihm kraft Gesetzes zustehende vermögenswerte Rechtsposition verzichtete. Die Klinik erlangte damit das Recht, die vom Nachfolger des Klägers erbrachten Behandlungen von Privatpatienten und Selbstzahlern selbst abrechnen zu können. Denn in den Verträgen mit neu berufenen Chefärzten wurde die Behandlung von Privatpatienten zur hauptamtlichen Dienstaufgabe erklärt. Für diesen Vorteil war das Klinikum bereit, dem Kläger den vertraglich vereinbarten Betrag zu zahlen.

Der Verzicht des Klägers auf das Recht zur Privatliquidation erfolgte auch als Unternehmer und war daher nicht in erster Linie überwiegend beamtenrechtlich veranlasst. Beamtenrechtlich veranlasst ist lediglich der in der Vereinbarung erklärte Verzicht auf die Leitung der Klinik und die Zustimmung des Klägers zur Versetzung in eine sektionsübergreifende Einrichtung der Universität.

Umsatz ist steuerpflichtig und nicht steuerfrei – entgeltlicher Verzicht keine steuerfreie Heilbehandlung (§ 4 Nr. 14 Buchstabe a) UStG)

Der Umsatz ist nicht steuerfrei. Insbesondere liegen die Voraussetzungen nach § 4 Nr. 14 Buchstabe a) UStG nicht vor. Danach sind „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt ... durchgeführt werden“ steuerfrei. Der Verzicht auf das Privatliquidationsrecht dient weder der Behandlung, Linderung oder Vorbeugung einer Krankheit und fällt daher mangels eines therapeutischen Zwecks nicht unter die Steuerbefreiung.

Der Begriff umfasst mit „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ Leistungen, die der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen. Eine Heilbehandlung in diesem Sinne müsse zwingend einen therapeutischen Zweck verfolgen, da dieser ausschlaggebend dafür sei, ob eine ärztliche oder arztähnliche Leistung von der Mehrwertsteuer zu befreien sei. Demgegenüber komme eine Steuerbefreiung für ärztliche Leistungen, die zu einem anderen Zweck als dem des Schutzes einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht würden, nicht in Betracht.

Keine Steuerfreiheit aufgrund einer spiegelbildlichen Beurteilung von Leistung und Verzichtsleistung

Die Steuerfreiheit der Verzichtsleistung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der spiegelbildlichen Beurteilung („Actus contrarius“) von Leistung (steuerfreie Heilbehandlung) und Verzichtsleistung (Verzicht auf die steuerfreie Heilbehandlung).

Die Steuerfreiheit eines Ausgangsumsatzes kann zur Steuerfreiheit des entsprechenden Verzichts- Umsatzes führen, sofern eine Aufspaltung ein und desselben Vertrags nicht möglich ist.

Charakteristisch für die Steuerfreiheit eines Actus contrarius ist, dass die Leistungen und der darauf bezogene Verzicht im Rahmen desselben Zweipersonenverhältnisses zwischen Leistendem und Leistungsempfänger erfolgen. Dabei zahlt zum Beispiel der ursprünglich Leistende (wie etwa ein Vermieter) im Rahmen eines zweiten Umsatzes, damit er die Dispositionsbefugnis über einen Gegenstand oder ein Recht wiedererlangt.

Sonderkonstellation im Dreipersonenverhältnis nicht vergleichbar

Damit nicht vergleichbar ist die vom BFH zu entscheidende Sonderkonstellation eines Dreipersonenverhältnisses, bei dem zunächst das Klinikum im Zuge der Anstellung des Klägers eine (sonstige) Leistung (nicht steuerbar) an den Kläger erbrachte, indem es diesem das Recht zur Privatliquidation einräumte (Nebentätigkeitsgenehmigung). Aufgrund dieser Genehmigung erbrachte der Kläger im Rahmen von Behandlungsverträgen gegenüber seinen Patienten umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen. Der Kläger verzichtete gegenüber dem Klinikum auf die weitere Behandlung von Privatpatienten und erhielt hierfür einen finanziellen Ausgleich. Die Verzichtsleistung betraf unmittelbar nur das Rechtsverhältnis zwischen ihm und dem Klinikum, während das Rechtsverhältnis zu seinen Patienten nur insoweit (mittelbar) betroffen war, als dem Kläger nach seinem Verzicht die rechtliche Befugnis fehlte, weitere steuerfreie Heilbehandlungsleistungen an Privatpatienten durchzuführen. Die vermögenswerte Abrechnungsbefugnis für die von Chefärzten im Klinikum vorgenommene Behandlung von Privatpatienten und Selbstzahlern stand damit – wie vor der Erteilung der Nebentätigkeitsgenehmigung an den Kläger – wieder dem Klinikum zu.

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Autor

Dr. Alexander Becker
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