BAG: Beteiligung nachgeordneter Ärzte an Privatliquidationserlösen für privatärztliche Chefarztbehandlung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 30. März 2022 – 10 AZR 419/19 – entschieden, dass sich ein Anspruch des nachgeordneten Arztes, an den Privatliquidationserlösen des leitenden Arztes beteiligt zu werden, aus einer unmittelbar zwischen leitendem und nachgeordnetem Arzt – auch konkludent – getroffenen Vereinbarung ergeben kann. Diese kann eine Beteiligung an den Erlösen aus der ambulanten und/oder der stationären Behandlung von Privatpatienten umfassen. Daneben ist es aber auch möglich, dass sich ein solcher Anspruch aus dem zwischen dem leitenden Arzt und dem Krankenhausträger geschlossenen Vertrag ergibt, wenn es sich dabei um einen echten Vertrag zugunsten Dritter handelt. Von der Ausgestaltung dieses Vertrags hängt es ab, ob sich der Anspruch gegen den leitenden Arzt oder den Krankenhausträger richtet und welche Privatliquidationserlöse er umfasst.

In dem vorliegenden Rechtsstreit verklagte ein leitender Oberarzt eines kommunalen Krankenhauses den Chefarzt und Leiter der Klinik für Hals-Nasen- Ohren-Heilkunde und plastische Gesichtschirurgie sowie auch den Krankenhausträger auf Beteiligung an den Privatliquidationserlösen des Chefarztes für den Zeitraum Januar 2017 bis August 2021.

Der leitende Oberarzt war in der o. g. Fachabteilung beschäftigt. Kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme findet u. a. der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TV-Ärzte/VKA) auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Dessen § 4 Abs. 1 Satz 2 sieht vor, dass Ärztinnen und Ärzte vom Arbeitgeber auch verpflichtet werden können, im Rahmen einer zugelassenen Nebentätigkeit von leitenden Ärztinnen und Ärzten oder für Belegärztinnen und Belegärzte innerhalb der Einrichtung ärztlich tätig zu werden. Im Dienstvertrag des Chefarztes war unter der Überschrift „Finanzielle Beteiligung der nachgeordneten Ärzte“ Folgendes geregelt:

„(1) Die nachgeordneten Ärzte werden an den Einnahmen beteiligt, für die dem Arzt ein Liquidationsrecht zusteht (§ 8 Abs. 2). Zu diesem Zweck führt der Arzt aus den Bruttohonorareinnahmen im Sinne von § 10 Abs. 3 nach Abzug eines Bruttojahresgehaltes im Sinne von § 8 Abs. 1 einen angemessenen Anteil an den Krankenhausträger ab. Dieser Anteil beträgt mindestens 20 %.

(2) Die Verteilung an die ärztlichen Mitarbeiter erfolgt im Einvernehmen mit dem Arzt. Dabei sind Leistung, Verantwortung und Aufgaben der ärztlichen Mitarbeiter angemessen zu berücksichtigen.“

Bis einschließlich Dezember 2016 zahlte der Chefarzt unmittelbar an den leitenden Oberarzt monatlich 2.000 €. Diese Zahlungen wies der Krankenhausträger in den für den Oberarzt bestimmten Entgeltabrechnungen als „Chefarztzahlung“ aus und führte Steuern sowie Sozialversicherungsabgaben ab. Mit dem Monat Januar 2017 reduzierte der Chefarzt diese Zahlungen auf zunächst 1.000 €. Später erfolgten Zahlungen in wechselnder Höhe. Zahlungen des Chefarztes erfolgten auch an andere nachgeordnete Ärzte. Im Februar 2018 kündigte der Chefarzt „höchst vorsorglich“ eine möglicherweise gegenüber dem leitenden Oberarzt aus jeglichem Grund bestehende Verpflichtung auf eine Mitarbeiterbeteiligung.

Der leitende Oberarzt vertrat die Auffassung, ihm stünden mindestens 2.000 € monatlich als Beteiligung an den Privatliquidationserlösen des Chefarztes zu. Der Anspruch beruhe auf einem stillschweigend mit dem Chefarzt zustande gekommenen Vertrag. Dessen Kündigung halte einer gerichtlichen Kontrolle am Maßstab des § 315 BGB nicht stand. Darüber hinaus ergebe sich der Anspruch gegen beide Beklagten (Chefarzt und Krankenhausträger) aus dem Chefarztvertrag als Vertrag zugunsten Dritter. Der Oberarzt machte insoweit die Differenzbeträge zu den bereits erhaltenen niedrigeren Beträgen klageweise geltend und nahm neben dem Chefarzt auch den Krankenhausträger in Anspruch.

Das Arbeitsgericht entsprach dem Zahlungsantrag in Höhe eines niedrigeren Betrages als dem Klagebetrag gegen den Chefarzt und wies die Klage im Übrigen ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) änderte die Entscheidung auf die Berufung des Oberarztes und unter Zurückweisung der Berufung des Chefarztes teilweise ab und verurteilt diesen, einen weiteren Betrag nebst Zinsen an den leitenden Oberarzt zu zahlen. Im Übrigen wies es die Berufung des Oberarztes zurück. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgte der Chefarzt die vollständige Klageabweisung. Mit seiner Anschlussrevision verfolgte der Oberarzt seine ursprünglichen Anträge, soweit er unterlegen war, in vollem Umfang weiter.

Aufhebung des Urteils des LAG und Zurückverweisung

Das BAG hob das Urteil des LAG auf und verwies den Rechtsstreit dorthin zurück. Dabei gab es sowohl der Revision des Chefarztes als auch der des Oberarztes statt.

Das BAG vertritt bislang die Auffassung, dass zwischen einem zur Privatliquidation berechtigten leitenden Arzt eines Krankenhauses und einem nachgeordneten Arzt nicht ohne Weiteres vertragliche Beziehungen bestehen und insbesondere zwischen diesen Parteien regelmäßig kein Arbeitsverhältnis besteht, aus dem Vergütungsansprüche des nachgeordneten Arztes resultieren könnten (BAG, 21. Juli 1993 – 5 AZR 550/92 – zu II 1 der Gründe). Aus den Arbeitsverträgen der Oberärzte und Fachärzte folge zwar die Pflicht zur Unterstützung des Chefarztes bei der Behandlung von Privatpatienten, aber kein gesonderter Vergütungsanspruch. Arbeitsvertraglich sei die Mitwirkung an der privatärztlichen Tätigkeit des Chefarztes mit der normalen Oberarzt- bzw. Facharztvergütung abgegolten.

In seiner Entscheidung vom 30. März 2022 – 10 AZR 419/19 – entschied das BAG nunmehr, dass zwar kein Arbeitsverhältnis zwischen Chefarzt und nachgeordnetem Arzt bestehe. Ein Anspruch des nachgeordneten Arztes gegen den leitenden Arzt auf Beteiligung an dessen Privatliquidationserlösen könne sich neben einer unmittelbar zwischen diesen beiden Personen getroffenen Vereinbarung auch aus dem zwischen dem leitenden Arzt und dem Krankenhausträger geschlossenen Vertrag – hier dem Chefarztvertrag – ergeben. Dies sei dann der Fall, wenn diese vertragliche Vereinbarung als echter Vertrag zugunsten Dritter i. S. v. § 328 Abs. 1 BGB einzuordnen und der leitende Arzt Versprechender ist.

Für die Abrechnung und Auszahlung der Beteiligung sollte nach Auffassung des BAG nach der hier vereinbarten Vertragsklausel der Krankenhausträger zuständig sein. Daher war der „Versprechende“ im vorliegenden Fall der Chefarzt, der für dieses Versprechen im Gegenzug zusagte, einen angemessenen Anteil der Liquidationserlöse abzuführen, während der „Versprechensempfänger“ der Krankenhausträger war.

Praxishinweis

Es verbleibt zunächst bei der Rechtsauffassung des BAG, dass im Regelfall zwischen einem zur Privatliquidation berechtigten leitenden Arzt eines Krankenhauses und einem nachgeordneten Arzt nicht ohne Weiteres vertragliche Beziehungen bestehen und insbesondere zwischen diesen Parteien regelmäßig kein Arbeitsverhältnis besteht, aus dem Vergütungsansprüche des nachgeordneten Arztes hergeleitet werden können.

Allerdings gewährt das BAG den nachgeordneten Ärzten in bestimmten Fallkonstellationen – wie einer individuellen vertraglichen Abrede oder einem echten Vertrag zugunsten Dritter – die Möglichkeit, an den Privatliquidationserlösen zu partizipieren, und stärkt insoweit deren Rechte, was nur konsequent ist. Die Folgen dieser Entscheidung können weitreichend sein, zumal die üblichen tarifvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen für Ansprüche aus einem Chefarztvertrag gegenüber Dritten (den nachgelagerten Ärzten) nicht greifen. In der Praxis sollte insoweit im Rahmen der Vertragsgestaltung genaues Augenmerk auf die jeweiligen vertraglichen Vereinbarungen im Zusammenhang mit der Beteiligung von nachgeordneten Ärzten an Privatliquidationserlösen und einer etwaigen drittbegünstigenden Wirkung gerichtet werden.

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Autorin

Gudrun Egenolf
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Healthcare-Newsletter 4-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.