Personalgestellung als unzulässige Personalleihe? Vorlagebeschluss an den EuGH

Unklar und in der Literatur umstritten ist, ob die im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) enthaltene Bereichsausnahme bzgl. der Personalgestellung – gemäß den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes im Zusammenhang mit Aufgabenverlagerungen – mit der Leiharbeitsrichtlinie (RL 2008/104/EG vom 19. November 2008) in Einklang steht.

Das BAG (Vorlagebeschluss vom 16. Juni 2021 – 6 AZR 390/20) hatte nunmehr über einen Fall zu entscheiden, in dem die Beklagte, ein privatrechtlich organisiertes Krankenhaus in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft, mehrere Aufgabenbereiche und einzelne Abteilungen auf ein Tochterunternehmen, eine neu gegründete Service GmbH, ausgegliedert hatte.

Der Kläger, der seit mehreren Jahren unter Anwendung des TVöD in dem Krankenhaus beschäftigt war, hatte dem mit der Aufgabenverlagerung verbundenen Betriebsübergang widersprochen. Er wurde sodann bei der Tochtergesellschaft im Wege der Personalgestellung unter Bezugnahme auf § 4 Abs. 3 TVöD auf Dauer eingesetzt. Hiergegen wehrte sich der Kläger mit dem Argument, die Personalgestellung sei eine rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung und mit dem Unionsrecht nicht zu vereinbaren.

Das BAG ist zunächst der Ansicht, dass eine Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD begrifflich unter den Art. 1 der Leiharbeitsrichtlinie fallen könnte, da das Arbeitsverhältnis der Beschäftigten weiterhin mit dem ursprünglichen Arbeitgeber besteht und die Beschäftigten zugleich in den Betrieb eines Dritten eingegliedert und weisungsgebunden sind.

Andererseits lässt das BAG allerdings wenig Zweifel daran, dass die Personalgestellung und Leiharbeit strukturell als zu verschieden angesehen werden, um tatsächlich in den Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie zu fallen. Vor allem sei der Schutz der Beschäftigten im Anwendungsbereich des TVöD auch beim Übergang auf einen Dritten etwa beim Entgelt, dem Entgeltsystem und der betrieblichen Altersversorgung gesichert.

Der 6. Senat hat daher folgende Fragen sinngemäß dem EuGH zur Vorabentscheidung gem. Art. 267 AEUV vorgelegt:

  • Ist eine Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD (bzw. inhaltsgleichen Regelungen in sonstigen Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes) Leiharbeit im Sinne der Leiharbeitsrichtlinie und fällt sie damit grundsätzlich in ihren Anwendungsbereich?
  • Und falls die vorstehende Frage zu bejahen ist: Lässt die Leiharbeitsrichtlinie eine Bereichsausnahme wie § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG zu?

Auch wenn die Leiharbeitsrichtlinie sowie das AÜG einschlägig sein sollten, sieht das BAG die Bereichsausnahme im AÜG jedenfalls als europarechtskonform an.

Nach der Bereichsausnahme in § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG ist das Gesetz nicht anzuwenden auf die Arbeitnehmerüberlassung durch Arbeitgeber, wenn die Aufgaben eines Arbeitnehmers von dem bisherigen Arbeitgeber zu einem Dritten verlagert werden, das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber aufgrund eines Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes weiter fortbesteht und die Arbeitsleistung zukünftig bei dem entleihenden Arbeitgeber erbracht wird.

Damit erfasst die gesetzliche Ausnahmebestimmung den Tatbestand der Personalgestellung in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes.

Das BAG stellt u. a. auf die Interessenlage der gestellten Beschäftigten ab. Die Personalgestellung mitihren strengen Tatbestandvoraussetzungen wirke der Gefahr von prekären Arbeitsverhältnissen entgegen und decke sich daher mit dem Schutzbereich der Leiharbeitsrichtlinie. Die Rechtsfolgen einer rechtswidrigen Arbeitnehmerüberlassung, insbesondere das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zum neuen Aufgabenträger, wirkten dem Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer entgegen. Diese Rechtsfolgen wären jedenfalls im Falle eines Widerspruchs gegen den Betriebsübergang nicht gewünscht. Zwar könnten die Arbeitnehmer das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses mit einer sog. Festhaltenserklärung zunächst verhindern. Das ändere jedoch nichts daran, dass ihre Aufgaben beim vertraglichen Arbeitgeber entfallen würden und die Arbeitsverhältnisse damit in ihrem Bestand gefährdet seien.

Fazit:

Angesichts der unterschiedlichen Meinungen in der Literatur zu der Thematik der AÜG- und richtlinienkonformen Personalgestellung ist eine höchstrichterliche Klarstellung zu begrüßen.

Die Argumente der Gerichte für eine Vereinbarkeit der Personalgestellung mit der Leiharbeitsrichtlinie sind u. E. überzeugend (vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Februar 2019 – 7 Sa 515/17, das die Personalgestellung als wirksam erachtet hat und auf den Schutzzweck des AÜG einerseits und die Besonderheiten der tariflichen Personalgestellung andererseits abstellte).

Häufig wird bei Transaktionen im Krankenhausbereich der Weg der Personalgestellung gewählt, um eine Aufgabenverlagerung für alle Beteiligten möglichst reibungslos und mit nachhaltiger Beibehaltung der arbeitsvertraglichen Bedingungen umsetzen zu können. Ein Arbeitgeberwechsel bei öffentlichen Unternehmen führt zudem nicht selten dazu, dass die über die Zusatzversorgungskassen (VBL oder kommunale bzw. kirchliche ZVK) gewährte betriebliche Altersversorgung nicht fortgeführt werden kann und dass hohe Ausgleichszahlungen an die Kassen fällig werden. Die Personalgestellung stellt hingegen häufig ein den Interessen der beteiligten Unternehmen und der Arbeitnehmer gerecht werdendes Gestaltungsmittel dar, ohne welches unter vielen Gesichtspunkten sinnvolle Umstrukturierungen im Bereich der Gesundheitsbranche erheblich erschwert werden würden.

Eine Ausnahme von dem Anwendungsbereich des AÜG erscheint immer dann gerechtfertigt, wenn die Personalgestellung auch im Interesse der Arbeitnehmer erfolgt und der Personaleinsatz mit Sinn und Zweck des AÜG zu vereinbaren ist.

Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH den doch sehr klaren Argumenten des 6. Senats gegen eine Geltung der Leiharbeitsrichtlinie im Falle der Personalgestellung folgt.

Sollte der EuGH zu dem Ergebnis kommen, dass die Personalgestellung bereits nicht in den Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie fällt, dürften sich gleichwohl weitere Fragen stellen, wie insbesondere,

  • ob dies auch für Personalgestellungen außerhalb des Geltungsbereichs von Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes gilt,
  • wie tarifvertraglichen Abordnungen und Zuweisungen zu bewerten sind.

Auch im Falle des Rückgriffs auf die Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG ergeben sich weitere nicht geklärte Auslegungs- und Abgrenzungsfragen (z. B. betreffend die Geltung der Bereichsausnahme für Haustarifverträge, Geltung allein aufgrund von sog. vertraglichen Bezugnahmeklauseln etc.).

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Autorin:

Marion Plesch
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Healthcare-Newsletter 1-2022. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.