Aktuelles aus dem Urlaubsrecht

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) setzt der Verfall des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs 3 BUrlG voraus, dass der Arbeitgeber konkret dafür sorgt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen.

Nach Auffassung des BAG ist bei richtlinienkonformer Anwendung des § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG der Arbeitgeber dementsprechend verpflichtet, den Arbeitnehmer konkret aufzufordern, seinen Urlaub rechtzeitig im Urlaubsjahr zu nehmen, und ihn darauf hinzuweisen, dass dieser andernfalls verfallen kann (vgl. BAG, Urteil vom 25. Juni 2019 - 9 AZR 546/17 -).

Gleich in zwei aktuellen Verfahren hat sich das BAG nun mit der Auslegung von EU-Recht im Zusammenhang mit Fragen zum Urlaubsrecht befassen müssen, insbesondere ob der Urlaub bei langanhaltender Erkrankung verfallen kann oder ein Urlaubsabgeltungsanspruch verjähren kann, wenn es der Arbeitgeber unterlassen hat, seinen Verpflichtungen zur Unterrichtung über den bestehenden Urlaubsanspruch nachzukommen.

Urlaubsansprüche bei langandauernder Krankheit bei fehlendem arbeitgeberseitigem Hinweis? Beschluss des BAG vom 7.7.2020 – 9 AZR 401/19

Mit Beschluss vom 7.7.2020, Az. 9 AZR 401/19, hat das BAG ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gerichtet, um die Frage zu klären, ob und unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub einer im Verlauf des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmerin bei seither ununterbrochen fortbestehender Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres oder ggf. zu einem späteren Zeitpunkt verfallen kann.

Konkret streiten die Parteien des Verfahrens über das Bestehen eines Urlaubsanspruchs der Klägerin aus dem Jahr 2017. Die Klägerin ist gemäß den Regelungen des Dienstvertrags vom 9.7.2010 bei der Beklagten im K-Hospital in T. beschäftigt. Im Jahr 2017 erkrankte die Klägerin und konnte von dem ihr zustehenden Urlaubsanspruch im Jahr 2017 14 Tage nicht nehmen. Die Klägerin ist seit dem Jahr 2017 durchgehend erkrankt.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 6.11.2018 forderte die Klägerin die beklagte Arbeitgeberin zur Abgeltung des Urlaubs für das Jahr 2017 auf. Mit Schreiben vom 12.11.2018 wies die Beklagte den Anspruch zurück. Mit ihrer Klage verfolgte die Klägerin zunächst ihren Anspruch auf Abgeltung von 14 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 weiter. Zuletzt stellte sie nur noch einen Feststellungsantrag dahingehend, dass ihr Urlaubsanspruch nicht verfallen ist.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der restliche Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2017 sei nicht verfallen, insbesondere weil die Beklagte es unterlassen habe, die Klägerin rechtzeitig auf den drohenden Verfall des Urlaubsanspruches hinzuweisen.

Vorinstanzen: Keine Belehrungspflicht des Arbeitgebers über Verfall des Urlaubsanspruchs bei langfristig erkrankter Arbeitnehmerin

Die Vorinstanzen (Arbeitsgericht Paderborn und Landesarbeitsgericht Hamm) wiesen die Klage zurück. Das LAG Hamm entschied in seinem Urteil vom 24. Juli 2019 - 5 Sa 676/19 -, dass eine Belehrungspflicht des Arbeitgebers dahingehend, dass Urlaubsansprüche bei Nichtinanspruchnahme bis zum 31.12. des Kalenderjahres oder bis zum 31.3. des Folgejahres im Falle der Übertragung erlöschen, bei einer langfristig erkrankten Arbeitnehmerin nicht besteht.

Die vom EuGH und in Umsetzung auch vom BAG aufgestellten Grundsätze, wonach der Arbeitgeber gehalten ist, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn auffordert, dies zu tun, und zudem klar und rechtszeitig darauf hinweist, dass der Urlaub andernfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraumes erlischt (vgl. EuGH, Urteil vom 6.11.2018 – C-684/16; BAG, Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 541/15), gelten nach Auffassung des LAG Hamm nicht im Falle einer langzeiterkrankten Arbeitnehmerin. Denn nach Auffassung des LAG Hamm sei es in diesem Fall dem Arbeitgeber nicht möglich, dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Der arbeitsunfähige Arbeitnehmer könne auch bei einer förmlichen Aufforderung, den Jahresurlaub zu nehmen, diesen wegen seiner Arbeitsunfähigkeit nicht antreten. Eine Belehrung als Obliegenheit des Arbeitgebers sei kein Selbstzweck, sondern ergebe nur dann einen Sinn, wenn vorliegend die Arbeitnehmerin in der Lage sei, auf diese zu reagieren und ihren Urlaub auch tatsächlich zu nehmen, was im Falle einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit aber gerade nicht der Fall sei. Eine entsprechende Pflicht bestehe erst wieder nach Wiedergenesung bezogen auf die konkreten Ansprüche der Arbeitnehmerin.

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat sich in einer späteren Entscheidung vom 15. 1.2020 - 7 Sa 284/19 - der Meinung des LAG Hamm angeschlossen.

Gegen die Entscheidung des LAG Hamm wurde Revision beim BAG unter dem o. g. Aktenzeichen eingelegt.

Vorabentscheidungsersuchen des BAG

Das BAG ist der Ansicht, dass es für die Entscheidung, ob die Urlaubsansprüche der Klägerin verfallen sind, auf die Auslegung von Unionsrecht ankommt. Deshalb hat es den EuGH um Klärung und Vorabentscheidung zu dieser Frage gebeten.

Praxishinweis

Aufgrund der oben genannten Entscheidung sowie des Vorabentscheidungsersuchen des BAG bleibt bis zu einer Entscheidung des EuGH ungewiss, ob auch der Urlaubsverfall bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern die Mitwirkung des Arbeitgebers erfordert.

Die Auffassung des LAG Hamm überzeugt hingegen. Der vom BUrlG bezweckte Gesundheitsschutz läuft zudem im Fall der Arbeitsunfähigkeit leer und kann auch durch eine entsprechende Aufforderung und Information des Arbeitgebers nicht gefördert werden. Eine Belehrung dürfte in diesem Fall ihren Zweck verfehlen.

Ob der EuGH eine Pflicht zur Unterrichtung von Langzeiterkrankten als Voraussetzung für den Verfall des Urlaubsanspruches annehmen wird, bleibt jedoch abzuwarten.

Möglichkeit der Verjährung von Urlaubsansprüchen? Beschluss des BAG vom 29.9.2020 – 9 AZR 266/20

Mit Beschluss vom 29.9.2020 – 9 AZR 266/20 hat das BAG sodann ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH mit der Frage gerichtet, ob der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gemäß den §§ 194 ff. BGB der Verjährung unterliegt, wenn der Anspruch aufgrund unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers nicht bereits nach § 7 BUrlG verfallen kann.

Konkret ging es um eine Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin, die auf Abgeltung von Urlaubsansprüchen geklagt hatte. Ihr Arbeitgeber hatte ihr bescheinigt, dass der Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus dem Kalenderjahr 2011 sowie den Vorjahren am 31. März 2012 nicht verfalle, weil sie ihren Urlaub wegen des hohen Arbeitsaufwandes in seiner Kanzlei nicht habe antreten können. Als sie Anfang 2018 eine Abgeltung ihrer Urlaubsansprüche verlangte, hielt ihr Arbeitgeber ihr die Einrede der Verjährung entgegen, da die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 195 BGB) abgelaufen sei (vgl. auch Pressmitteilung Nr. 34/20).

Während die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Düsseldorf, den Beklagten zur Abgeltung von 76 Urlaubstagen aus den Jahren 2013 bis 2016 verurteilte, ist es für das BAG entscheidungserheblich, ob die nicht erfüllten Urlaubsansprüche der Klägerin aus dem Jahr 2014 und den Vorjahren bei Klageerhebung bereits verjährt waren. Die Urlaubsansprüche konnten jedenfalls nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen. Bei unionsrechtskonformer Auslegung dieser Vorschrift erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub, wie bereits zu der vorstehenden Entscheidungsbesprechung ausgeführt, grundsätzlich nur dann am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert hat, seinen Urlaub rechtzeitig im Urlaubsjahr zu nehmen, und ihn darauf hingewiesen hat, dass dieser andernfalls verfallen kann. Diese Verpflichtungen hatte der beklagte Arbeitgeber jedenfalls nicht erfüllt. Insofern kommt es nunmehr auf die vom EuGH zu beantwortende Frage an, ob die Grundsätze der Regelverjährung mit dem Unionsrecht vereinbar sind und hier greifen.

Praxishinweis

Dass die Urlaubsansprüche nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen konnten, weil der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nachgekommen war, hat das BAG also im vorliegenden Fall noch einmal bestätigt. Ob eine Verjährung von Urlaubsansprüchen nach § 194 Abs. 1 iVm. § 195 BGB in diesem Fall in Betracht kommt, bleibt hingegen abzuwarten und der Entscheidung des EuGH vorbehalten.

Sofern der EuGH die Auffassung vertreten sollte, dass europäisches Recht der Anwendbarkeit von § 194 Abs. 1 iVm § 195 BGB nicht entgegensteht, würde dies jedenfalls eine Abschwächung der richtlinienkonformen Auslegung von § 7 BUrlG bedeuten. Denn Folge wäre, dass Arbeitgeber, die ihrer Mitwirkungsobliegenheit nicht nachgekommen sind und es insoweit versäumt haben, die notwendigen Voraussetzungen für einen Verfall des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG zu verwirklichen, zumindest noch die Möglichkeit hätten, die Auffanglösung der Einrede der Verjährung nach § 194 Abs. 1 iVm. § 195 BGB zu nutzen. Die Entscheidung des EuGH hat wesentliche Auswirkungen für die Praxis. Im Falle der Möglichkeit der Verjährungseinrede könnten auf Arbeitgeberseite Mehrkosten vermieden werden, die ansonsten aufgrund einer Abgeltung der bestehenden Urlaubsansprüche zu zahlen wären.

      

Dies ist ein Beitrag aus unserem Health-Care-Newsletter 4-2020. Die gesamte Ausgabe finden Sie hier . Sie können diesen Newsletter auch abonnierenund erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.