Jahressteuergesetzes 2020 – Auswirkungen auf die Umsatzsteuer

03.02.2021 – Der Bundestag hat am 16.12.2020 das Jahressteuergesetz 2020 verabschiedet, dem der Bundesrat am 18.12.2020 zugestimmt hat. Enthalten sind umfangreiche Änderungen in verschiedenen Steuergesetzen.

Das Jahressteuergesetz 2020 greift Gesetzgebungsbedarf auf, der sich aus EU-Recht und EuGH- und BFH-Rechtsprechung ergeben hat. Auch die besondere Situation der Corona-Krise führte zu gesetzlichen Anpassungen. Hervorzuhebende Punkte sind:

  • Einführung einer Homeoffice-Pauschale,
  • Erweiterung des Investitionsabzugsbetrags,
  • gesetzliche Definition der Zusätzlichkeitsvoraussetzung bei Arbeitgeberleistungen,
  • Erleichterung bei der verbilligten Wohnraumvermietung und
  • Umsetzung des sog. Mehrwertsteuer-Digitalpakets.

Nachfolgend haben wir für Sie eine nicht abschließende Auswahl der aus unserer Sicht wichtigsten Änderungen in Bezug auf die Umsetzung des sog. Mehrwertsteuer-Digitalpakets zusammengestellt.

Das Mehrwertsteuer-Digitalpaket

Das Digitalpaket novelliert und erweitert die bestehende Versandhandelsregel des § 3c UStG, die in Zukunft Fernverkaufsregel heißen wird. In diesem Zusammenhang wird der bisherige Mini-One-Stop-Shop (MOSS) zu einem OSS bzw. IOSS (Import-OSS) ausgebaut und der Anwendungsbereich wesentlich erweitert. Bei Beteiligung elektronischer Schnittstellen wird in Zukunft ein Reihengeschäft fingiert, durch das z. B. Online-Marktplätze, abweichend vom Zivilrecht, wie Lieferanten behandelt werden. Die EUSt-Befreiung für Sendungen unter € 22 wird aufgehoben. Einfuhren von Sendungen mit einem Sachwert bis zu € 150 sind in Zukunft steuerfrei oder können über ein besonderes Verfahren durch Dienstleister abgewickelt werden.

Fernverkauf

Nach § 3c UStG wird unter bestimmten Voraussetzungen und mit gewissen Ausnahmen (z. B. für neue Fahrzeuge) beim Fernverkauf von Waren an Nichtunternehmer und bestimmte, diesen gleichgestellte Empfänger der Ort der Besteuerung an das Ende der Warenbewegung (zum Kunden) verlegt. Dabei muss die Ware durch den Lieferanten, für dessen Rechnung oder mit seiner indirekten Beteiligung transportiert werden. Wo der Lieferant ansässig ist, spielt keine Rolle. Je nach Abnehmer ist entscheidend für die Anwendbarkeit von § 3c UStG n. F., dass er die Erwerbschwelle des Ankunftsmitgliedstaates weder überschreitet noch auf sie verzichtet.

Die Neuregelung unterscheidet drei Konstellationen:

  • Beim innergemeinschaftlicher Fernverkauf nach § 3c Abs. 1 S. 2 UStG n.F. bewegt sich die Ware von einem Mitgliedstaat der EU in einen anderen – rein nationale Vorgänge sind nicht umfasst. Die Ortsbestimmung für den innergemeinschaftlichen Fernverkauf gilt nicht, wenn der Lieferer in nur einem Mitgliedstaat ansässig ist und er eine definierte Geringfügigkeitsschwelle, die auch sonstige Leistungen iSd § 3a Abs. 5 S. 2 UStG umfasst, von € 10.000 nicht überschreitet. Auf die Anwendung dieser Schwelle kann der Lieferant verzichten.
  • Bei aus dem Drittland eingeführten Waren, die nach der Einfuhr in einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat gelangen, wird nach § 3c Abs. 2 UStG n. F. der Ort der Lieferung ebenfalls an das Ende der Warenbewegung verlagert. Eine Lieferschwelle ist hier nicht zu beachten.
  • Wird die Ware aus dem Drittland eingeführt und verbleibt im Mitgliedstaat der Einfuhr, verlagert sich nach § 3c Abs. 3 UStG n. F. der Ort der Lieferung zum Ort des Kunden, wenn der Lieferant das IOSS nach § 18k UStG n. F. nutzt (dazu sogleich).

One-Stop-Shop (OSS) und Import-One-Stop-Shop (IOSS)

Die OSS-Regelungen haben den Zweck, Unternehmer von umsatzsteuerlichen Pflichten in einer Vielzahl von Mitgliedstaaten zu entlasten, wenn sie Leistungen an Kunden erbringen, die am Ort des Kunden zu besteuern sind. Sie ermöglichen es unter bestimmten Voraussetzungen, die Umsatzsteuer nur in einem Mitgliedstaat anzumelden und abzuführen. In einem komplexen Verfahren verteilt dieser Mitgliedstaat die Umsatzsteuer auf die anderen Mitgliedstaaten, unter Einbehaltung einer Abwicklungspauschale. Die Teilnahme am OSS bzw. IOSS ist für den Unternehmer freiwillig.

  • Der OSS nach § 18i UStG n. F. betrifft nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässige Unternehmer, die sonstige Leistungen an Nichtunternehmer und diesen gleichgestellte Empfänger im Gemeinschaftsgebiet erbringen und dort Steuerschuldner sind. Neu ist, dass jetzt alle sonstigen Leistungen erfasst sind und nicht mehr nur TRFE-Leistungen (Telekommunikation, Rundfunk etc.).
  • § 18j UStG n. F. gilt für EU-ansässige Unternehmer mit ihren innergemeinschaftlichen Fernverkäufen nach § 3c Abs. 1 S. 2 und 3 UStG n. F., inländischen Lieferungen über elektronische Schnittstellen gem. § 3 Abs. 3a S. 1 UStG n. F. und nunmehr auch all ihren sonstigen Leistungen an Privatkunden. Dieser OSS kann nur einheitlich für alle Mitgliedstaaten und alle betroffenen Umsatzarten genutzt werden.
  • Der IOSS nach § 18k UStG n. F. gilt für Fernverkäufe von aus dem Drittland eingeführten Gegenständen, und zwar zum einen für Lieferungen, die nicht über eine elektronische Schnittstelle gehandelt werden, § 3c Abs. 2 oder 3 UStG n. F. Zum anderen sind Lieferungen eines Schnittstellenbetreibers umfasst, der aufgrund der Reihengeschäftsfiktion des § 3 Abs. 3a S. 2 UStG n. F. bei Fernverkäufen aus dem Drittland zum fiktiven Lieferer wird (dazu sogleich). Wird dieser IOSS genutzt, ist die Einfuhr nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 UStG n. F. steuerfrei.

Elektronische Schnittstellen

Ein Unternehmer, der mittels seiner elektronischen Schnittstelle (z.B. Online-Marktplätze) die Lieferung eines Gegenstandes durch Unternehmer an Nichtunternehmer und bestimmte diesen gleichgestellte Empfänger unterstützt, wird unter bestimmten Voraussetzungen so behandelt, als ob er diesen Gegenstand selbst erhalten und geliefert hätte. Es wird also ein Reihengeschäft fingiert, bei dem der zivilrechtliche Verkäufer zunächst an den Schnittstellenbetreiber liefert, der die Ware dann seinerseits an den Kunden liefert.

Dies gilt zum einen für Warenbewegungen innerhalb eines Mitgliedstaates sowie zwischen zwei Mitgliedstaaten (§ 3 Abs. 3a S. 1 UStG n.F.), sofern der liefernde Unternehmer nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässig ist. Zum anderen sind Fälle erfasst, in denen der Unternehmer durch seine elektronische Schnittstelle den Fernverkauf von aus dem Drittland eingeführten Gegenständen mit einem Sachwert von bis zu € 150 unterstützt (§ 3 Abs. 3a S. 2 UStG n.F.). Auf die Ansässigkeit des liefernden Unternehmers kommt es in diesen Fällen nicht an.

Nach § 3 Abs. 6b UStG n. F. ist die Lieferung des Schnittstellenbetreibers dabei stets als bewegte Lieferung anzusehen. Die Lieferung des ausländischen Verkäufers an den Schnittstellenbetreiber ist dementsprechend die ruhende Lieferung, die nach der allgemeinen Regel des § 3 Abs. 7 S. 2 Nr. 1 UStG n. F. am Beginn der Warenbewegung zu besteuern ist. Soweit die Lieferung demnach in Deutschland steuerbar ist, ist sie gem. § 4 Nr. 4c UStG n. F. steuerfrei.

Neue Einfuhrregelungen

§ 1a EUStBV, demnach Einfuhren mit einem Wert von bis zu € 22 von der Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) befreit sind, wird wegen der hohen Steuerausfälle aufgrund Missbrauchs dieser Vorschrift aufgehoben. In Zukunft ist daher für jede Sendung eine Einfuhrabfertigung erforderlich. Für Fernverkäufe von nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmern, bei denen die Ware nach der Einfuhr direkt an Kunden in der EU versandt wird, wird mit § 21a UStG n. F. ein besonderes Verfahren eingeführt. Danach können Dienstleister (Post, Spediteure etc.) die Ware im Namen und für Rechnung des Empfängers zum freien Verkehr anmelden. Sie sind aber mangels Verfügungsmacht nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt und müssen die EUSt daher beim Empfänger eintreiben. Dieses neue Verfahren ist nicht anwendbar, wenn der Lieferant von dem IOSS nach § 18k UStG n. F. Gebrauch macht.

Weitere Änderungen des UStG

Weitere Neuregelungen für Betreiber elektronischer Schnittstellen

Die oben dargestellte Reihengeschäftsfiktion ist wohl die bedeutendste Änderung für Online-Marktplätze u. Ä. Die bereits jetzt geltende Haftung des Betreibers elektronischer Schnittstellen für die vom zivilrechtlichen Verkäufer nicht entrichtete Umsatzsteuer (§ 25e UStG) besteht darüber hinaus fort. Diese Vorschrift wird durch das JStG 2020 nur leicht modifiziert und an die anderen Gesetzesänderungen angepasst. Wenn die Reihengeschäftsfiktion des § 3 Abs. 3a UStG n. F. greift, findet die Haftungsvorschrift des § 25e UStG keine Anwendung. Weist der Schnittstellenbetreiber nach, dass der Verkäufer im Zeitpunkt der Lieferung über eine gültige USt-ID-Nummer verfügt, kann er sich von der Haftung befreien, § 25e Abs. 2 UStG n. F. Dies bedeutet nach der Begründung zum JStG-E 2020 (S. 170), dass der Betreiber die ihm mitgeteilte USt-ID-Nummer nicht nur aufzeichnen (§ 22f Abs. 1 S. 1 UStG n. F.), sondern auch regelmäßig auf Gültigkeit prüfen muss.

Rechnungsberichtigung kein rückwirkendes Ereignis

Nach aktueller Rechtsprechung kann der Leistungsempfänger unter bestimmten Voraussetzungen rückwirkend den Vorsteuerabzug geltend machen, wenn eine Rechnung zunächst fehlerhaft war. In diesem Zusammenhang hat sich bislang die Frage gestellt, was passiert, wenn der Veranlagungszeitraum, in dem die Rechnung ursprünglich eingegangen war, bereits festsetzungsverjährt ist. § 14 Abs. 4 S. 4 UStG n. F. stellt klar, dass die Rechnungskorrektur kein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO und § 233a AO darstellt. Dies entspricht bereits heute der Auffassung der Finanzverwaltung, vgl. BMF-Schreiben vom 18.9.2020, Dokument Nr. 2020/0920350. Nach Ablauf der Festsetzungsfrist ist die Vorsteuer demnach unwiederbringlich verloren. Nachzahlungszinsen wegen des Vorsteuerabzugs aus der fehlerhaften Rechnung entfallen nicht mit der Korrektur. Die unionsrechtliche Zulässigkeit dieser Regelung wird angesichts der herausragenden Bedeutung des Vorsteuerabzugs im System der Mehrwertsteuer teilweise bezweifelt.

Grenzüberschreitende Preisnachlässe in der Kette

Bereits jetzt gilt: Gewährt ein Unternehmer nicht seinem direkten Abnehmer, sondern einem nachfolgenden Abnehmer in einer Leistungskette einen Preisnachlass, so mindert dies die Bemessungsgrundlage des Unternehmers. Nicht der direkte, sondern der nachfolgende Abnehmer hat seinen Vorsteuerabzug zu berichtigen. Die Vorsteuer braucht nicht berichtigt zu werden, wenn die Lieferung des Unternehmers nicht steuerpflichtig ist. Die Neuregelung in § 17 Abs. 1 S. 6 UStG n. F. erfasst die Fallkonstellation, bei der die Lieferung des Unternehmers steuerpflichtig ist, die Lieferung an den nachfolgenden Abnehmer jedoch steuerfrei. In diesem Fall darf der Unternehmer seine Bemessungsgrundlage nicht mindern.

Nichtentrichtung von Umsatzsteuer wird schärfer sanktioniert

Der bisherige § 26b UStG wird aufgehoben und modifiziert in § 26a UStG übernommen. Auch nach der bisherigen Regelung begeht eine Ordnungswidrigkeit, wer in einer Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer am Fälligkeitstag nicht entrichtet. Die Neuregelung verzichtet auf den Verweis auf den Steuerausweis in der Rechnung. Die §§ 18, 18i, 18j und 18k werden durch ein ausdrückliches Gebot zur Zahlung der Umsatzsteuer ergänzt. Damit werden Unschärfen der bisherigen Regelung beseitigt. Da die Vorschrift vorsätzliches Verhalten voraussetzt, gewinnt ein entsprechendes Tax Compliance Management-System hier eine noch größere Bedeutung. Zu beachten ist, dass die Umsatzsteuer auch dann am 10. des Folgemonats fällig wird, wenn keine Umsatzsteuervoranmeldung abgegeben wurde. Die dreitägige Schonfrist für Säumniszuschläge gem. § 240 Abs. 3 AO gilt hier nicht. Säumnis- oder Verspätungszuschläge können zusätzlich festgesetzt werden.

Dezentrales Besteuerungsverfahren für Bund und Länder

Unter der Geltung von § 2 Abs. 3 UStG a. F. wurde durch die Finanzverwaltung ohne gesetzliche Grundlage für die Gebietskörperschaften Bund und Länder zugelassen, dass die Betriebe gewerblicher Art einer juristischen Person des öffentlichen Rechts ihre Umsatzsteuer dezentral und eigenständig melden. Nach § 2b UStG n. F. ist der Begriff des Betriebs gewerblicher Art weggefallen und somit auch der Anknüpfungspunkt für die (nicht normierte) dezentrale Besteuerung. § 18 Abs. 4f und 4g UStG n. F. schaffen den neuen Begriff der Organisationseinheit, die für ihren Bereich die Umsatzsteuererklärungen selbst abgibt. Es besteht die Möglichkeit, untergeordnete Organisationseinheiten zu bilden. Übergeordnete Organisationseinheiten können die umsatzsteuerlichen Erklärungspflichten der untergeordneten erfüllen. Auf die Anwendung dieser Neuregelung kann verzichtet werden.

Inkrafttreten

Laut Artikel 34 JStG-E sollen die Neuregelungen bezüglich einer Rechnungsberichtigung (B / 2.) sowie zu grenzüberschreitenden Preisnachlässen (B / 3.) am Tag nach der Verkündung in Kraft treten.
Am 1.1.2021 werden die Neuregelungen des dezentralen Besteuerungsverfahrens für Bund und Länder (B / 5.) in Kraft treten.
Die Neuregelungen bezüglich des Mehrwertsteuer-Digitalpakets (A / 1.–2.), Betreibern elektronischer Schnittstellen (A / 3. und B / 1.) sowie die neuen Einfuhrregelungen (A / 4.) treten gemäß § 27 Abs. 33 UStG n. F. bzw. Art. 50 Abs. 6 JStG 2020 am 1.7.2021 in Kraft (die Regelungen für die OSS und IOSS [§§ 18i–k UStG n. F.] bereits am 1.4.2021 mit Wirkung zum 1.7.2021 Art. 50 Abs. 5 JStG 2020 i. V. m. § 27 Abs. 33 UStG n. F.).
Die hier genannten Neuregelungen bezüglich des Mehrwertsteuer-Digitalpakets sollten ursprünglich für ab dem 1.1.2021 ausgeführte Leistungen gelten. Auf Ebene der EU wurde der zuvor festgelegte Stichtag jedoch aufgrund der Coronapandemie auf den 1.7.2021 verschoben; die Anzeige der Teilnahme am OSS wurde vom 1.10.2020 auf den 1.4.2021 verschoben.

Die Verschiebung des Stichtags erfolgte, da es im Zuge des Mehrwertsteuer-Digitalpakets zwingend notwendig ist, dass alle Mitgliedstaaten eine Aktualisierung ihrer IT-Systeme durchführen, um die ursprünglich erlassene Verordnung (EU) 2017/2454 anwenden zu können. Um auf die Auswirkungen der Coronapandemie entsprechend zu reagieren, wurden den Mitgliedstaaten für die Aktualisierung ihrer IT-Systeme somit nun sechs Monate mehr Zeit zur Verfügung gestellt.