Bewegung bei der Umsatzbesteuerung von Aufsichtsräten

21.02.2020 – BFH-Urteil vom 27.11.2019 (V R 23/19)

AUSGANGSLAGE

Über Jahrzehnte hinweg galt es in Deutschland als gesicherte Erkenntnis, dass Vergütungen für Aufsichtsräte der Umsatzsteuer unterliegen, wenn das jeweilige Aufsichtsratsmitglied die Kleinunternehmergrenzen (22.000 Euro im vorangegangenen bzw. 50.000 Euro im laufenden Kalenderjahr; Grenzen i. d. F. des JStG 2019) überschritten hatte.

Eine Ausnahme vom Grundsatz der umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft eines Aufsichtsratsmitglieds hat die Finanzverwaltung bislang nur für Beamte und öffentlich Bedienstete vorgesehen, die nach beamten-/ dienstrechtlichen Vorschriften dazu verpflichtet sind, die Aufsichtsratsvergütung ganz oder teilweise an ihren Dienstherrn abzuführen.

Außerhalb des Beamtentums und des öffentlichen Dienstes wurde nicht nach der weiteren Ausgestaltung der konkreten Aufsichtsratstätigkeit differenziert. Für Unternehmen mit geringer Vorsteuerabzugsquote wie Banken, Versicherungen, Immobilienunternehmen und Holding-Gesellschaften führte dies zu einer Belastung mit zusätzlichen Kosten. Wenn die Vorsteuer nicht oder nur teilweise zum Abzug geltend gemacht werden kann, unterliegt die nichtabzugsfähige Vorsteuer ebenfalls dem hälftigen Abzugsverbot bei der Körperschaftund Gewerbesteuer. Die Aufsichtsratsmitglieder konnten im Gegenzug ihre jeweiligen Vorsteuern, z. B. aus anteiligen Pkwund Bürokosten, unter den allgemeinen Voraussetzungen zum Abzug geltend machen.

BFH VERNEINT UNTERNEHMEREIGENSCHAFT DES AUFSICHTSRATSMITGLIEDS BEI FESTVERGÜTUNG

In einem am 6.2.2020 veröffentlichten Urteil hat der V. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH vom 27.11.2019 – V R 23/19) unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass ein Aufsichtsratsmitglied, das für seine Tätigkeit allein eine Festvergütung erhält, die weder von der Teilnahme an Sitzungen noch von seinen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhängig ist und auch sonst keinerlei variable Bestandteile aufweist, in Ermangelung eines Vergütungsrisikos nicht als umsatzsteuerlicher Unternehmer tätig ist. Offengelassen hat der BFH, ob bei Vorliegen einer variablen Aufsichtsratsvergütung an der umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft entsprechend der bisherigen Rechtsprechung, wie sie noch in Abschnitt 2.2 Abs. 2 Satz 7 UStAE wiedergegeben wird, festzuhalten ist.

Tragendes Argument des BFH war, dass das Aufsichtsratsmitglied im konkreten Urteilsfall kein wirtschaftliches Risiko getragen hat. In dem vom BFH betrachteten Einzelfall war das Aufsichtsratsmitglied als leitender Angestellter bei einer Konzernmutter beschäftigt und von seinem Arbeitgeber in den Aufsichtsrat einer Tochtergesellschaft entsandt worden. Die Aufsichtsratsvergütungen aus der Tätigkeit für die Tochtergesellschaft waren an den Arbeitgeber abzuführen und wurden bei der Auszahlung von Tantiemen verrechnet. Der vom BFH beurteilte Streitfall weist eine beachtliche Nähe zu der von der Finanzverwaltung bislang auf Beamte und öffentlich Bedienstete beschränkten Ausnahmeregelung auf. Für diesen Personenkreis wurde die Aufsichtsratstätigkeit bei enger Verknüpfung mit dem Dienstverhältnis schon zuvor nicht als selbstständige unternehmerische Tätigkeit angesehen. Der BFH betont allerdings ausdrücklich, dass es bei seiner Urteilsfindung nicht auf das Abhängigkeitsverhältnis des Aufsichtsmitglieds und die Verrechnungspflicht der Aufsichtsratsvergütungen gegenüber der Konzernmutter angekommen sei. Neben dem Fehlen eines Vergütungsrisikos (reine Festvergütung) stellt der BFH primär auf die kurz zuvor vom EuGH zum Aufsichtsrat einer niederländischen Stiftung in der Rechtssache „IO“ (Urteil vom 13.6.2019 – C 420/18) getroffenen Grundsätze ab, dass die individuellen Aufsichtsratsmitglieder ihre Aufsichtsratsbefugnisse nicht individuell ausüben, sondern i. d. R. nur für Rechnung und unter Verantwortung des gesamten Aufsichtsrats tätig sind. Nach Auffassung des EuGH sind die Mitglieder eines Aufsichtsrats im Rahmen ihres Aufsichtsratsmandats nicht selbstständig tätig. Vielmehr stehen die Aufsichtsratsmitglieder in einem Unterordnungsverhältnis zum Gremium des Aufsichtsrats als Organ.

BFH VERNEINT AUCH DIE GLEICHSTELLUNG EINER GUTSCHRIFT ÜBER AUFSICHTSRATSVERGÜTUNGEN MIT EINER RECHNUNG

Bemerkenswert ist noch die Aussage des BFH, dass im Fall der gutschriftmäßigen Abrechnung der Aufsichtsratsvergütung mit Steuerausweis gegenüber einem nichtunternehmerischen Aufsichtsratsmitglied kein Fall des unberechtigten Steuerausweises i. S. v. § 14c Abs. 2 UStG gegeben sei. Eine Steuerschuld des die Gutschrift empfangenden Aufsichtsratsmitglieds begründet der rechtsirrige Steuerausweis nach Ansicht des BFH nicht.

EINORDNUNG

Die Entscheidungen des BFH und des EuGH sind Einzelfallentscheidungen, die nicht vorschnell verallgemeinert werden sollten. Ob ein Aufsichtsratsmitglied tatsächlich ein wirtschaftliches Risiko trägt oder nicht, wird immer eine Frage der konkreten Ausgestaltung des Einzelfalls bleiben. So hat der BFH z. B. offengelassen, ob bei Vorliegen einer variablen Aufsichtsratsvergütung an der umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft entsprechend der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten ist. Die Finanzverwaltung wird auf die Urteile des BFH und des EuGH nun reagieren und ihre in Abschnitt 2.2 Abs. 2 Satz 7 UStAE wiedergegebene Verwaltungsmeinung anpassen müssen. In der Praxis ist es weit verbreitet, dass die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder für den Fall der Inanspruchnahme aus Pflichtverletzung in eine gesellschaftsseitig abgeschlossene und finanzierte D&O-Versicherung inkludiert sind. Auch wenn sich der BFH und der EuGH mit der Bedeutung des Versicherungsschutzes in den beiden Streitfällen nicht auseinandergesetzt haben, ist das Bestehen einer gesellschaftsfinanzierten D&O-Versicherung aber ein mögliches weiteres Indiz, dass ungeachtet der persönlichen Einstandspflicht des Aufsichtsratsmitglieds ein die umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft begründendes wirtschaftliches Risiko negiert werden kann.

Diese Grundsätze sollten sich grundsätzlich auch auf andere Aufsichtsgremien, die auf die Überwachung der Geschäftsführung gerichtet sind, übertragen lassen. Zu denken ist z. B. an den Beirat, den eine Kapitalverwaltungsgesellschaft (KVG) nach Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) oder ein Bestandsfonds (vor Einführung des KAGB) unterhält.

PRAXISEMPFEHLUNG

Für die Zukunft können Aufsichtsratsvergütungen auf der Grundlage des neuen BFH-Urteils rechtssicher ohne Umsatzsteuer abgerechnet werden, wenn das jeweilige Aufsichtsratsmitglied allein Festvergütungen erhält und somit kein Vergütungsrisiko trägt. Empfehlenswert ist die Umstellung insbes. bei nicht oder nur teilweise vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen, die einen Aufsichtsrat unterhalten. Zugrunde liegende Verträge sollten geprüft und ggf. angepasst werden.

Bis zu einer Reaktion der Finanzverwaltung auf das neue BFH-Urteil und insbes. für die Vergangenheit dürfte Vertrauensschutz hinsichtlich des Vorsteuerabzugs bei den Unternehmen bestehen, weil die von der Finanzverwaltung in Abschnitt 2.2 Abs. 2 Satz 7 UStAE mit Verweis auf die mittlerweile überholte BFH-Rechtsprechung undifferenziert angeordnete Unterwerfung der Aufsichtsratstätigkeit unter die Umsatzsteuer noch nicht angepasst wurde.

Aufsichtsräte von nicht bzw. eingeschränkt vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen sollten unter Verweis auf die EuGH- und BFH-Rechtsprechung eine mögliche Rückforderung der von ihnen abgeführten Umsatzsteuer prüfen, sofern dies verfahrensrechtlich noch möglich ist und der damit verbundene Wegfall des Vorsteuerabzugs für Eingangsleistungen nicht erheblich ist. Unternehmen sollten entsprechend auf ihre Aufsichtsräte zugehen.

Bei auch variablen Aufsichtsratsvergütungen wird es auf den Einzelfall ankommen. Der BFH hat es ausdrücklich offengelassen, ob dann an der umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft des Aufsichtsratsmitglieds festzuhalten ist. Diese Frage wird die Steuergerichte vermutlich noch beschäftigen. Aus Vorsichtsgründen sollten variable Aufsichtsratsvergütungen bis zu einer finalen Klärung vollständig mit Umsatzsteuer abgerechnet werden, wenn die Kleinunternehmergrenzen überschritten sind.

Mazars unterstützt Sie gerne dabei, die Folgen der aktuellen Rechtsprechung für Ihr Unternehmen, Ihre Organisation oder Ihre Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied zu überprüfen. Sprechen Sie uns gerne an!

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