MDK-Reformgesetz Klage(welle), die Zweite!

08.10.2019 – Die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) sind die sozialmedizinischen Beratungs- und Begutachtungsdienste der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Die Aufgaben des MDK sind in § 275 SGB V geregelt. Die im Auftrag der Krankenkassen durch die MDK in immer größerem Umfang durchgeführten Krankenhausabrechnungsprüfungen gemäß § 275c SGB V sind Anlass für eine Vielzahl von Streitigkeiten. Diese haben den Gesetzgeber veranlasst, den „Entwurf eines Gesetzes für bessere und unabhängigere Prüfungen“ (MDK-Reformgesetz) vorzulegen. Der Gesetzesentwurf wurde am 17.7.2019 im Bundeskabinett beschlossen. Das MDK-Reformgesetz betrifft in wesentlichen Teilen die Neuorganisation des MDK. Vorgestellt und bewertet werden sollen aber vor allem die Neuerungen, die nicht unmittelbar mit der Neuorganisation zusammenhängen.

NEUORGANISATION

Der MDK war bisher (lediglich) eine Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen. Zukünftig soll der MDK als eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) unter der Bezeichnung Medizinische Dienste (MD) geführt werden. Geändert werden außerdem die Regelungen zur Neubesetzung der Verwaltungsräte. Der vom Vorstand vorzulegende und den Verwaltungsräten festzustellende Haushaltsplan wird künftig von den Aufsicht führenden Ländern zu prüfen und zu genehmigen sein. Weitere Neuregelungen betreffen den Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) – zukünftig Medizinischer Dienst Bund (MD Bund), der ebenfalls als KdöR geführt und dessen Mitglieder die MD sind. Dieser wird über die Richtlinien für die Aufgabenwahrnehmung der MD entscheiden, die – nach entsprechenden Anhörungserfordernissen – vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zu genehmigen sind. Die Stärkung der Unabhängigkeit des MD von den Krankenkassen ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung.

AUFRECHNUNGSVERBOT

(§ 109 ABS. 6 SGB V) Ein Streitpunkt war, dass die Krankenkassen Rückforderungsansprüche gegen Krankenhäuser wegen überzahlter Vergütungen nicht durch Klage vor dem Sozialgericht geltend gemacht, sondern mit ihren Rückforderungsansprüchen gegen unbestrittene Forderungen des Krankenhauses auf Vergütung erbrachter Leistungen aufgerechnet haben. Dies führte zu Liquiditätsengpässen bei den Krankenhausträgern und verlagerte das Prozessrisiko auf deren Seite. Diesbezüglich wird in § 109 Abs. 6 SGB V ein Aufrechnungsverbot normiert, wobei Ausnahmen vom Aufrechnungsverbot in der Vereinbarung nach § 17c Abs. 2 S. 1 KHG vorgesehen werden können, in der der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1c SGB V regeln. Durch das Aufrechnungsverbot wird den Krankenkassen ein wesentlicher Anreiz für Massenprüfungen genommen. Auch diese Neuregelung ist zu begrüßen.

PRÜFVERFAHREN (§ 275C SGB V)

Die Anreize für eine regelkonforme Abrechnung des einzelnen Krankenhauses sollen gestärkt werden. Die Abrechnungsqualität bestimmt zukünftig den Umfang der zulässigen Prüfungen von Schlussrechnungen für vollstationäre Krankenhausbehandlungen durch den MD. Bis zum Jahr 2020 wird die zulässige Prüfquote auf 10 % der Abrechnungen gedeckelt. Ab dem Jahr 2021 ist die Höhe der zulässigen quartalsbezogenen Prüfquote von dem Anteil der unbeanstandeten Abrechnungen eines Krankenhauses abhängig. Weniger Beanstandungen führen zu einer reduzierten, mehr zu einer erhöhten Prüfquote (+/- 5 %-Punkte). Sinkt der Anteil korrekter Abrechnungen unter 60 %, greift außerdem ein Sanktionsmechanismus mit Aufschlägen von bis zu 50 % auf den jeweiligen (zurückzuerstattenden) Differenzbetrag. Der Aufschlag ist gedeckelt auf EUR 1.500,00. Die Deckelung dürfte sich allerdings nur auf die jeweilige Abrechnung beziehen. Klargestellt wird außerdem, dass die Krankenkassen nicht berechtigt sind, Prüfungen der Wirtschaftlichkeit erbrachter Krankenhausleistungen oder der Rechtmäßigkeit der Krankenhausabrechnung durch Vereinbarungen mit Krankenhäusern über pauschale Abschläge auf die Abrechnungen abzubedingen. Ob die Festschreibung von Prüfquoten auf maximal 15 % – nach unserer Erfahrung sind die Prüfquoten bereits bisher selten höher gewesen – und bei entsprechender Abrechnungsqualität bis zu 5 % tatsächlich zu einer Reduzierung der Prüfverfahren führt, bleibt abzuwarten.

Tagesbezogene Pflegeentgelte psychiatrischer und psychosomatischer Krankenhäuser sind von der Prüfung der Wirtschaftlichkeit im Übrigen ausgenommen. Die durch einzelne Kostenträger veranlasste Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verweildauer würde nach der Gesetzesbegründung lediglich zu Umverteilungen zwischen den Kostenträgern, nicht aber zu einer insgesamt verminderten Zahlung führen, da die entstehenden krankenhausindividuellen Pflegepersonalkosten vollständig zu finanzieren sind.

STRUKTURPRÜFUNG (§ 275D SGB V)

Die strukturellen Vorausetzungen der Leistungserbringung, ob etwa bestimmte Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten bestehen, wurden bislang im Rahmen von aufwendigen Einzelfallprüfungen geprüft. Die Prüfung, ob ein Krankenhaus über die erforderlichen strukturellen Voraussetzungen der Leistungserbringung verfügt und damit zu deren Abrechnung befugt ist, wird zukünftig in einer regelmäßigen zweijährigen Strukturprüfung überprüft. Eine entsprechende Rechtsgrundlage wird in § 275d SGB V geschaffen. Der MD wird die Einhaltung der Strukturmerkmale entsprechend begutachten. Gemäß § 275d Abs. 2 SGB V erhalten die Krankenhäuser das Gutachten und bei Einhaltung der Strukturmerkmale eine „Bescheinigung“ über das Ergebnis der Prüfung. Viel interessanter ist dagegen die Frage, welche Rechtsqualität der Bescheinigung zuzubilligen ist, und damit einhergehend, ob und welche Rechtsmittel zur Verfügung stehen, wenn die Bescheinigung zu Unrecht nicht erteilt wird. Hierzu findet sich im Gesetzesentwurf nichts. Es ist zu erwarten, dass die Strukturprüfungen die Gerichte zusätzlich beschäftigen werden.

SCHLICHTUNGSAUSSCHUSS (§ 19 KHG)

Der bestehende Schlichtungsausschuss auf Bundesebene hat die Aufgabe, Kodier- und Abrechnungsfragen von grundsätzlicher Bedeutung verbindlich zu klären (§ 17c Abs. 3 KHG). Da die anrufungsberechtigten Verbände keine Anträge gestellt haben, konnte der Schlichtungsausschuss auf Bundesebene seit seiner Gründung im Jahr 2014 bislang lediglich einen Beschluss fassen, obwohl es eine Vielzahl offener Streitfragen gibt. Aus diesem Grund werden die Regelungen zum Schlichtungsausschuss auf Bundesebene in § 19 KHG überführt und weiterentwickelt. Von besonderer Bedeutung ist die Erweiterung des Kreises der Anrufungsberechtigten.

Neben dem GKV-Spitzenverband, der DKG sowie den Krankenhaus- und Krankenkassenverbänden auf Landesebene können zukünftig auch der vdek sowie einzelne Krankenhäuser und Krankenkassen, die MD, mit der Kodierung von Krankenhausleistungen befasste Fachgesellschaften, das BMG und der unparteiische Vorsitzende des Schlichtungsausschusses selber den Schlichtungsausschuss anrufen. Unklar ist, wie bei einer derartigen Erweiterung der Anrufungsberechtigten sichergestellt wird, dass es sich und Kodier- und Abrechnungsfragen von grundsätzlicher Bedeutung handelt, insbesondere wie die zu erwartende Vielzahl von Anrufungen priorisiert und/ oder gebündelt werden soll. Für die Entscheidung des Schlichtungsausschusses auf Bundesebene – der wohlgemerkt die Stellungnahmen des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) und des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), einer nachgeordneten Behörde des BMG, zu berücksichtigen hat – ist eine Frist von lediglich acht Wochen vorgesehen. Die Einhaltung einer solchen Frist bei der zu erwartenden Vielzahl von Anrufungen setzt die Einrichtung und Vorhaltung einer umfangreichen administrativen Struktur hinter dem Schlichtungsausschuss voraus.

Da es bei der bisherigen Regelung verbleibt, dass gegen die Entscheidung des Schlichtungsausschusses auf Bundesebene der Sozialrechtsweg gegeben ist, ein Vorverfahren nicht stattfindet und die Klage keine aufschiebende Wirkung hat, dürfte es wie nach der Verjährungsverkürzung zu einer weiteren Klagewelle kommen.

AOP-KATALOG (§ 115B SGB V)

Einen Großteil der bisherigen MDK-Prüfungen macht die Frage nach der stationären Behandlungsbedürftigkeit (primäre Fehlbelegung) aus. Ambulante Behandlungsmöglichkeiten werden nach Auffassung des Gesetzgebers noch nicht konsequent genug genutzt und der diesbezügliche medizinische und medizinisch-technische Fortschritt im „Katalog ambulant durchführbarer Operationen und sonstiger stationsersetzender Eingriffe gemäß § 115b SGB V im Krankenhaus“ (AOP-Katalog) nicht hinreichend reflektiert. Um ambulantes Potenzial in Krankenhäusern besser zu nutzen und auszubauen sowie zugleich der Entstehung der häufigsten Prüfanlässe entgegenzuwirken, werden die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-Spitzenverband) beauftragt, einen AOP-Katalog auf Grundlage eines gemeinsam zu beauftragenden Gutachtens zum Stand der medizinischen Erkenntnisse zu vereinbaren und künftig regelmäßig anzupassen. Leistungen auf Grundlage des AOP-Katalogs obliegen nicht der Prüfung durch den MD. Ob dadurch der erwartete Anreiz für die ambulante Erbringung der Leistung gesetzt wird, bleibt abzuwarten.

Insgesamt wirft der Gesetzesentwurf eine Vielzahl von neuen Fragen auf und es ist anzunehmen, dass diese auch die Sozialgerichte beschäftigen werden. Allerdings ist auch zu erwarten, dass der Gesetzesentwurf im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch einige Anpassungen erfahren wird. Über etwaige Änderungen und deren Auswirkungen werden wir Sie selbstverständlich auf dem Laufenden halten.

Autor:

Dr. Moritz Ulrich, M. mel.
Tel: +49 30 208 88-1408

Dies ist ein Beitrag aus unserem Health-Care-Newsletter 2-2019. Sie können diesen Newsletter auch abonnieren und erhalten die aktuelle Ausgabe direkt zum Erscheinungstermin.