„Das Hinweisgebersystem ist Teil einer funktionierenden Compliance-Kultur“

Das Hinweisgeberschutzgesetz schützt Whistleblower im Unternehmen. Das Gesetz soll dazu beitragen, Missstände in Firmen und anderen Organisationen offenzulegen oder im Idealfall zu verhindern. Peter Christian Felst, Jurist und Partner bei Mazars, hat langjährige Erfahrung bei der Einführung von Hinweisgebersystemen. Er erklärt aus der Praxis, worauf es bei der Umsetzung ankommt.

Herr Felst, wie sollten Unternehmen ein Hinweisgebersystem einführen?

Das Wichtigste ist ein gutes Schulungs- und Kommunikationskonzept, um bei den Mitarbeiter*innen auf die Existenz des Hinweisgebersystems hinzuweisen und Vertrauen aufzubauen. Oft gibt es in Unternehmen aber Ängste, dass die Einführung eines solchen Systems zu einer Flut von Beschwerden führt oder sogar Denunziantentum fördert. Das stimmt aber so nicht. Die meisten Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass eine Meldestelle in einem Unternehmen drei bis vier Meldungen je 1.000 Mitarbeiter*innen jährlich entgegennimmt. Es ist wichtig, die Belegschaft im Umgang mit dem Hinweisgebersystem vertraut zu machen. Dazu sollten Unternehmen persönliche Schulungen abhalten. So können Unternehmen ins Gespräch mit ihren Mitarbeiter*innen kommen. Ein intaktes Hinweisgebersystem stärkt das Vertrauen der Beschäftigten und weiterer Stakeholder in das Unternehmen.

Wie wird ein Hinweisgebersystem in der Praxis zu einem Erfolg?

Das Hinweisgebersystem ist Teil einer funktionierenden Compliance-Kultur. Das bedeutet, dass das Unternehmen und alle Mitarbeiter*innen rechtskonform handeln. Dazu muss das Unternehmen die Regeln konsequent und transparent anwenden. Verstöße einer und eines jeden müssen gleich sanktioniert werden, sei es der erfolgreiche Mitarbeiter im Vertrieb oder die Vorständin. Das Unternehmen muss alle gleich behandeln und auch Leistungsträger*innen mit einbeziehen. Nur dann funktioniert ein System im Unternehmen, und nur dann wird das Hinweisgebersystem in der Praxis respektiert und bringt den gewünschten Nutzen. In den angelsächsischen Ländern sind die Menschen offener, wenn es um solche Verstöße im Unternehmen geht. Hierzulande haben die Menschen mehr Hemmungen. Das sollten wir ändern. Unternehmen wollen ja durch ein Hinweisgebersystem Missstände aufdecken. Und das ist ganz im Sinne des Unternehmens.

Sollten Unternehmen bei der Einführung eines Hinweisgebersystems auf die individuellen Gegebenheiten achten?

Unbedingt. Das Hinweisgebersystem gibt den formalen Rahmen vor. Unternehmen müssen das Gesetz umsetzen. Dazu gehört auch, die spezifischen Risiken des Geschäftsmodells zu analysieren. Die Risiken sind sehr unterschiedlich. Denken Sie nur daran, welche Risiken bei einem Waffenhersteller im Gegensatz zu einem Automobilproduzenten vorhanden sind. Das müssen Unternehmen beachten.

Laut dem Gesetz sollen Firmen eine Meldestelle einrichten. Viele Unternehmen fragen sich, was das für sie konkret bedeutet.

Auch hier gibt es nicht die für alle optimale Lösung. Sie hängt sehr stark von der Größe des Unternehmens ab. Ein Großkonzern hat eigene Compliance-Abteilungen, deren Mitarbeiter*innen diese Funktion übernehmen können. Anders ist die Lage bei kleineren mittelständischen Unternehmen. Sie können die Meldestelle auch auslagern, zum Beispiel an Rechtsanwält*innen, die diese Dienstleistung anbieten. Externe Ombudspersonen können zudem gute Dienste leisten. Ein digitales Hinweisgebersystem bietet den Vorteil, dass sich die gesetzlichen Vorgaben gut erfüllen lassen. Auch im Hinblick auf Vertraulichkeit, Datenschutz und Dokumentation.

Können auch der Chef oder die Chefin die Aufgabe einer Meldestelle erfüllen?

Im Prinzip ist das möglich. Aber davon rate ich ab. Meist haben Vorständ*innen oder Geschäftsführer*innen keine Zeit, um diese zusätzliche Aufgabe einer internen Meldestelle zu übernehmen. Noch viel wichtiger: Mitarbeiter*innen möchten sich nicht an die Vorgesetzte und den Chef wenden. Von daher fördert es das Vertrauen, wenn Menschen diese Aufgabe ausüben, die nichts mit der Unternehmensleitung zu tun haben.

Wie bleibt ein Hinweisgebersystem glaubwürdig?

Das Gesetz sieht eine anonyme Meldemöglichkeit, wie sie ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehen war, nicht mehr vor. Die Opposition befürchtete durch die Anonymität massenhaft haltlose Vorwürfe. Ich rate Unternehmen dennoch, eine anonyme Meldemöglichkeit einzurichten. Vertraulichkeit und Anonymität sind wichtig. Täter sind oft Vorgesetzte. Mitarbeiter*innen, die Fehlverhalten mitbekommen, sind häufig Untergebene. Ein klassischer Fall ist eine fehlerhafte Reisekostenabrechnung. Eine anonyme Meldung erhöht die Vertraulichkeit. Anonymität ist nach unseren Erfahrungen die Basis dafür, dass ein Whistleblower-System funktioniert.

Was müssen Unternehmen tun, wenn sie einen Hinweis erhalten haben?

Kommt es zu einer Meldung, bedarf es zunächst einer Eingangsbestätigung, zum Beispiel per Mail. Im Anschluss muss das Unternehmen prüfen, ob der gemeldete Sachverhalt unter das Hinweisgeberschutzgesetz fällt. Das ist dann der Fall, wenn eine Straftat oder andere Gesetzesverstöße, die im HinSchG genannt sind, aufgrund der Schilderung möglich erscheinen. Außerdem ist die Plausibilität zu prüfen. Die Meldestelle kann weitere Zeug*innen befragen oder Unterlagen sichten. Auch hier gilt es, das Prinzip der Vertraulichkeit zu wahren. Nun hängt alles davon ab, ob sich ein Hinweis erhärtet. Die Abgabe des Falls an zuständige Behörden oder arbeitsrechtliche Konsequenzen sind möglich. Bei Mangel an Beweisen ist eine Einstellung des Verfahrens möglich. Die Meldestelle muss den gesamten Fall dokumentieren und die Unterlagen drei Jahre aufbewahren.

Was bedeutet das Hinweisgeberschutzgesetz für die Personalabteilung?

Das Gesetz schützt Hinweisgeber*innen vor Repressalien. Hat eine Meldung, die dem Schutz des Gesetzes unterliegt, eine Kündigung oder Versetzung zur Folge, ist das nicht zulässig. Allein die Androhung ist gesetzlich verboten. Dabei kann sich der*die Hinweisgeber*in in einem Gerichtsverfahren auf eine Beweislastumkehr berufen, wenn Melder*innen im Rahmen eines Gerichtsverfahrens eine solche Benachteiligung geltend machen: Wird ein*e Hinweisgeber*in benachteiligt, nachdem sie oder er eine Meldung abgegeben hat, wird vermutet, dass es sich um eine Reaktion auf die Meldung handelt und damit um eine verbotene Repressalie. In diesem Fall muss der Arbeitgeber das Gegenteil beweisen. Daher sollten Personalchef*innen arbeitsrechtliche Maßnahmen noch sorgfältiger dokumentieren. Schließlich wird die Personalabteilung in der Regel nicht wissen, ob es sich um eine*n Hinweisgeber*in handelt.
 

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