ESG-Rating: Eine Frage der Übung

Viele Unternehmen treiben ihre Transformation in Richtung Nachhaltigkeit voran. Häufig wollen sie dabei mit einem ESG-Rating den Fortschritt nach außen und innen dokumentieren. Doch nicht immer fällt das Ergebnis wie gewünscht aus. Hier erfahren Sie, welche Möglichkeiten es gibt, Fehler zu vermeiden.

Für die Wirtschaft steigt der Druck in Sachen Nachhaltigkeit. Einerseits durch neue Regeln etwa im Rahmen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) und durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Andererseits verlangen Banken und Investoren immer öfter ein Nachhaltigkeitssiegel, bevor sie frisches Kapital für Investitionen zur Verfügung stellen. Ein ESG-Rating (Environmental, Social, Governance) zu beauftragen wird daher für immer mehr Firmen zur Pflichtaufgabe. Allerdings bestehen zwischen den einzelnen Siegeln methodische Unterschiede. Das zeigt eine Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Universität Zürich, die im Herbst vergangenen Jahres veröffentlicht wurde. Einer der Gründe: Die Agenturen ziehen unterschiedliche Merkmale zu einzelnen Indikatoren zusammen. Dazu gesellen sich Messabweichungen, also Differenzen bei der Einschätzung einer Unternehmenseigenschaft anhand unterschiedlicher Indikatoren und Gewichtungsunterschiede. So kommt es immer wieder vor, dass im Ergebnis die Bewertung anders ausfällt, als es sich die Unternehmensverantwortlichen bei der Beauftragung erhofft haben. Daher lohnt es sich, vor Beauftragung möglichst genau in Erfahrung zu bringen, welche Schwerpunkte die einzelnen Ratingagenturen haben.

Methodenvielfalt der Ratingagenturen erfordert besonders gute Vorbereitung

Zwar registriert auch Philipp Killius, Partner bei der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Mazars und dort Head of Sustainability/ESG, dass die Methodik der einzelnen Anbieter von einer gewissen Intransparenz geprägt ist. Dem lässt sich jedoch nach seiner Ansicht durch gute Vorbereitung begegnen. „Wenig sinnvoll ist es, wenn ein Unternehmen einfach ein paar Unterlagen zusammenstellt und zur Agentur schickt, von denen es annimmt, dass sie für das Rating irgendwie gebraucht werden könnten“, sagt Killius. Bei den Ratingprozessen, die er und sein Team als Berater*innen und Sparringspartner*innen begleiten, achte man daher darauf, über Briefings, Meetings und Workshops alle notwendigen Informationen im Vorfeld zu strukturieren. Bei jedem Ratingprozess gibt es zudem mehrere Kollaborationsphasen, in denen es die Möglichkeit gibt, mit der Agentur in den Dialog zu kommen. „Das darf man sich allerdings nicht als Eins-zu-eins-Interview oder Gesprächsrunde vorstellen“, meint Killius. „Vielmehr gibt es auf Basis der Erstinformationen vonseiten der Agentur einen Zwischenbericht, in dem es eine erste Einschätzung geben wird, wie viele Punkte in einzelnen Bewertungskategorie erzielt worden sind. Auf dieser Basis hat das Unternehmen dann die Möglichkeit, noch mal Sachen klarzustellen beziehungsweise ergänzende Informationen nachzuliefern.“

Fragwürdiger Trend zum Outsourcing der Prüfungsaufgaben

Grundsätzlich ist die Nachfrage nach Ratings hoch. Daher gehen die Ratingagenturen mehr und mehr dazu über, vorbereitende Arbeiten für die Prüfung auf das beauftragende Unternehmen auszulagern – etwa, indem sie sehr dezidiert vorgeben, was in einzelnen Dokumenten, die eingereicht werden, enthalten sein muss, wo genau es zu finden ist und wie es zu einer bestimmten Bewertungskategorie passen könnte. „Dieses Vorgehen kann man als fragwürdig ansehen , denn der Aufwand für ein beauftragtes Rating, das die Unternehmen ja bezahlen, ist dadurch erheblich gestiegen. Aber darin liegt auch ein Vorteil, weil die Unternehmen zusätzliche Orientierung bekommen“, sieht Killius in der Not eine Tugend.

Auch nach dieser Stufe steht wieder eine Feedbackschleife an, in deren Rahmen es möglich ist, mit der Agentur in Dialog zu kommen und einzelne Punkte klarzustellen. „Über bestimmte Themen lassen die Agenturen nicht mit sich diskutieren“, weiß der Mazars Experte. „An vielen anderen Stellen ist aber schon eine gewisse Einflussmöglichkeit vorhanden, sodass sich unter Umständen einzelne Punkte leicht nach oben korrigieren lassen. Letztendlich gibt es dann aber auch beim Folge-Rating die Option, das Ganze noch einmal zu optimieren, da das Unternehmen den Prozess dann bereits kennt.“

Eine mögliche Alternative ist, mehrgleisig zu fahren und bei mehreren Agenturen Ratings in Auftrag zu geben. Bei den meisten Anbietern ist bekannt, welche Methodiken sie verfolgen und dabei einzelne Bereiche, wie etwa Governance- oder Umweltfaktoren, höher gewichten als andere. „Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen ein gutes Rating auf Basis vor allem derjenigen Bereiche bekommt, bei denen es besonders gut aufgestellt ist“, erklärt Killius.

Richtiger Umgang mit schlechten Ratings

Was aber, wenn das Rating dennoch sehr schlecht ausfällt? Eine Möglichkeit ist, die Angelegenheit zunächst einmal für sich zu behalten. Zumindest im ersten Jahr beziehungsweise bei der Erstbeauftragung stellen es viele Agenturen dem Auftraggeber frei, ob er die Bewertung veröffentlichen will. Diese Option ist umso hilfreicher, weil über die vergangenen Jahre hinweg der Ratingprozess immer komplexer und anspruchsvoller geworden ist. Gleichzeitig wurden die Agenturen strikter in ihren jeweiligen Bewertungen. Folge: Unternehmen sollten entweder eigene Compliance- und Nachhaltigkeitsmanager*innen beschäftigen, um die die immer größer werdenden Datenmengen zu organisieren, die für ein Rating vorgehalten werden sollten – oder sie müssen sich diese Expertise und Ressourcen von außen zukaufen. Auftraggeber können zudem zusätzlich punkten, wenn sie die Informationen, die sie an die Agentur schicken, von unabhängiger Stelle zuvor prüfen lassen. „Ein ESG-Rating ist kein triviales Projekt mehr, geschweige denn ein Selbstläufer. Es erfordert gute Vorbereitung und zeitlichen Vorlauf“, weiß der Mazars Experte. „Vor diesem Hintergrund ist der Vorteil von einem Dry Run, dass das Unternehmen den gesamten Ratingprozess einmal unter Echtbedingungen durchspielen und auf diese Weise Erfahrung sammeln kann. Und auch wir als Berater*in können danach besser einschätzen, in welchen Bereichen noch Nachholbedarf besteht und wo es noch Hausaufgaben zu machen gilt.“

So lässt sich in vielerlei Hinsicht die Wahrscheinlichkeit für ein gutes Rating, das ja meist aus einem konkreten Anlass heraus benötigt wird, steigern. Killius rät allerdings Unternehmen davon ab, eine Art Rating-Hopping zu betreiben und so lange die Agentur zu wechseln, bis das gewünschte Ergebnis herauskommt. „Dies ist erstens sehr kosten- und zeitaufwendig, zweitens ist es alles andere als sicher, dass sich am Ende auch der gewünschte Erfolg einstellt.“

 

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