Zukunftsfinanzierungsgesetz – der große Wurf?

Ende vergangenen Jahres verabschiedete der Bundestag das Gesetz zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen (Zukunftsfinanzierungsgesetz – ZuFinG). Im damals tobenden Streit um die Folgen des „60-Milliarden-Urteils“ des Bundesverfassungsgerichts für die Bundespolitik ging das Gesetz in der öffentlichen Wahrnehmung fast unter. Zu Unrecht, findet Charlotte Kulenkampff, Partnerin bei Mazars und seit 2016 als Rechtsanwältin und Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht im Hamburger Büro tätig. Im Interview informiert sie über die Details des Gesetzes – und dessen mögliche positive Folgen für den deutschen Kapitalmarkt und mittelständische Unternehmen.

Frau Kulenkampff, das Zukunftsfinanzierungsgesetz trägt bereits im Namen viel Optimismus und verspricht eine neuartige Finanzierung zukunftssichernder Investitionen. Ist es tatsächlich ein großer Wurf?

Das wird, wie bei jedem Gesetz, die Zeit zeigen. Ziel ist es, dass Start-ups und kleineren und mittleren Wachstumsunternehmen Anreize an die Hand gegeben werden, um die Börse stärker als Investitionsplattform zu nutzen und auf diesem Weg an neues Eigenkapital zu gelangen. Und dieser Schritt ist aus meiner Sicht richtig und überfällig. Wenn wir über die nationalen Grenzen hinausblicken, gerade ins angloamerikanische Ausland, dann müssen wir leider konstatieren: In Deutschland gehen immer noch viel zu wenige Unternehmen an den Kapitalmarkt. Es braucht neue Anreize. Daher ist es richtig, dass mit dem Gesetz die regulatorischen Anforderungen an den Börsengang gesenkt werden, dass Kapitalerhöhungen leichter möglich werden und dass es eine Reform bei den Stimmrechten gibt. Unter dem Strich helfen all diese Maßnahmen, dass junge und wachstumsstarke Firmen schneller und leichter an Eigenkapital kommen. Doch ob diese Veränderungen genügen, damit sich die Unternehmen auch aus der Deckung wagen und mehr in Richtung Börse streben, bleibt abzuwarten. Zu Ihrer Eingangsfrage: Es könnte durchaus ein großer Wurf werden, braucht aber seine Zeit. Vor allem sollte sich niemand der Illusion hingeben, dass das Gesetz allein für einen neuen IPO-Boom bei jungen Firmen in Deutschland sorgen wird. In einem Jahr, in dem die Finanzierungskosten hoch bleiben und das Land mit von der Bundesregierung prognostizierten 0,2 Prozent Wirtschaftswachstum auf der Stelle tritt, ist kein Run auf die Börse zu erwarten.

Haben es junge deutsche Firmen denn derzeit wirklich so schwer, aufs Börsenparkett zu kommen? Oder jammern nicht eher Unternehmen, die einfach nicht kapitalmarktreif sind?

Die Hürden und Zulassungsvoraussetzungen sind in Deutschland schon vergleichsweise hoch. Da ist zum einen die Mindestkapitalisierung. Sie wurde im Zuge des Gesetzes jetzt um 250.000 € auf nur noch eine Million € gesenkt. Hinzu kommt, dass Unternehmen für eine bestimmte Dauer bestehen müssen, bevor sie hierzulande überhaupt an die Börse gehen dürfen. Auch die rechtlichen Anforderungen etwa an den Wertpapierprospekt sind hoch. Nicht zu vergessen sind die Zulassungsfolgepflichten; denn mit dem reinen Gang an den Kapitalmarkt ist es ja nicht getan. Unternehmen, die an der Börse notiert sind, haben vielfältige Publizitätspflichten – vom Finanzbericht bis hin zu Ad-hoc-Mitteilungen, und teils sogar in Deutsch und Englisch. Hinzu kommen Veranstaltungen für Investor*innen sowie Halbjahres- und Jahresabschluss. Unter dem Strich bedeutet das gerade für kleine Firmen mit schlanken Strukturen eine Menge Bürokratie. Und ich möchte Ihnen widersprechen: Ich sehe nicht, dass junge Unternehmen über all das groß jammern würden. Was sie vielmehr umtreibt, ist die Angst der Gründer*innen, mit dem Gang an die Börse zu viel Einfluss zu verlieren und die strategischen Geschicke des Unternehmens nicht mehr selbst steuern zu können.

Wer an der Börse frisches Kapital einwerben will, muss doch damit leben können, dass diese Geldgeber*innen dann auch mitreden möchten.

Mitreden ist das eine. Aber viele Gründerteams befürchten, durch die Zersplitterung der Stimmrechte nicht mehr schnell genug und strategisch klug entscheiden zu können. Besonders in der frühen Wachstumsphase eines Unternehmens, in der sich die Märkte und Produkte schnell verändern, könnte das gefährlich werden.

Genau hier sieht das Zukunftsfinanzierungsgesetz eine entscheidende Änderung vor. Bisher galt der Grundsatz: eine Aktie, eine Stimme. Nun soll die Aufnahme von Eigenkapital dadurch erleichtert werden, dass Unternehmen Mehrstimmrechtsaktien ausgeben dürfen. Was wird das verändern?

In dem Punkt könnte das Gesetz tatsächlich viel Positives bewirken. Mehrstimmrechtsaktien gab es schon einmal in Deutschland. Zuletzt existierten sie nur in anderen Ländern – mit der Folge, dass sich dort mehr junge Firmen als in Deutschland für den Börsengang entschlossen. Das große Plus der Mehrstimmrechtsaktien ist, dass die Inhaber*innen – und das sind häufig die Gründer*innen – strategisch das Heft auch nach dem Initial Public Offering in der Hand behalten. Deutschland bügelt also im Kern einen alten Fehler, das einstige Streichen der Mehrstimmrechtsaktien, wieder aus.

Versetzen wir uns einmal in die Gegenposition. Ich bin der Kapitalverwalter eines Family Office. Warum sollte ich einer jungen Firma Geld geben, die ich kaum kenne und bei der meine Stimme weit weniger zählt als die der Gründer*innen?

Das spielt auf eine vermeintliche Ungerechtigkeit an, die ich nicht erkennen kann. Zunächst einmal braucht es für die Einführung der Mehrstimmrechtsaktie selbst Einstimmigkeit unter den Anteilseigner*innen. Entweder gründet man dafür eine Aktiengesellschaft und führt die Aktien als Mehrstimmrechtsaktien ein. Oder die Firma ändert im Nachhinein die Satzung, um mehr Stimmrechte einführen zu können. Beides muss jeweils mit Einstimmigkeit erfolgen. Allen Aktionär*innen ist damit bewusst, worauf sie sich einlassen. Für mich überwiegen eindeutig die Vorteile der Mehrstimmrechte: Jungen Gründer*innen wird auf diese Weise die Angst genommen, dass sie durch die Ausgabe weiterer Anteile oder den Börsengang ihren strategischen Einfluss auf das Unternehmen verlieren könnten. Zudem gibt es klare Begrenzungen: Eine Mehrstimmrechtsaktie darf maximal das zehnfache Stimmrecht einer normalen Aktie ermöglichen. Ferner sind bestimmte Dinge wie Kapitalmaßnahmen gar nicht vom Mehrstimmrecht betroffen: Dort kommt es weiter auf die Höhe der Kapitalbeteiligung an und nicht auf die Stimmrechte. Ungeachtet dessen – und da gebe ich Ihnen Recht – gibt es auch Gefahren: So könnten wenige Aktionär*innen mit ihren Mehrfachstimmrechten Entscheidungen durchsetzen, die nicht von der Mehrheit der Anleger*innen getragen werden. Das kann unter Umständen Investor*innen abschrecken. Dafür müssen Gründer*innen gegenüber potenziellen Geldgeber*innen immer maximal transparent kommunizieren.  

Entfallen soll laut Gesetz auch die Pflicht, einen Emissionsbegleiter, etwa eine Bank, als Mitantragsteller für den Börsengang zu nominieren. Das mag Kosten sparen. Aber klappt der Börsengang denn wirklich ohne die Hilfe etablierter und gut vernetzter Partner?

Grundsätzlich ist es erst einmal nur eine Pflicht, die entfällt. Diese neue Wahlfreiheit finde ich gut. Junge Firmen können sich von einem Emissionsbegleiter unterstützen lassen, müssen es aber nicht mehr. Gerade Banken als Emissionsbegleiter bringen viel Erfahrung mit und verfügen über ausgebaute Netzwerke, kosten junge Unternehmen aber auch eine Menge Geld. Und nicht jedes Start-up braucht eine Bank an seiner Seite. Oft reichen ein*e Rechtsanwält*in und das bereits gut funktionierende und gut aufgestellte Netzwerk im Feld möglicher Kapitalgeber*innen. Mir gefällt jedenfalls, dass der Gesetzgeber jungen Unternehmen, aber auch wachstumsstarken etablierten mittelständischen Firmen, die an den Kapitalmarkt streben, offenkundig mehr zutraut und ihnen neue Wahlrechte einräumt.