Familienunternehmen: Droht das Rückgrat jetzt zu brechen?

Welche Bedeutung haben Familienunternehmen für die deutsche Volkswirtschaft? Welche Rolle spielen sie für den Arbeitsmarkt? Wie unterscheiden sich die Geschäftsmodelle und die Unternehmenskultur in familiengeführten Unternehmen von denen großer Corporates? Und wie wirken sich regulatorische Anforderungen aus der Nachhaltigkeitstransformation und ungleiche Rahmenbedingungen im internationalen Vergleich auf diese besondere Unternehmensform aus? Diese und weitere Fragen haben wir für Sie untersucht.

Familienunternehmen – in Deutschland sind sie eine tragende Säule der Wirtschaft. Sie gelten als beständig, innovationsfreudig und als Jobmotor. Arbeitsplätze in von Familien geführten Unternehmen sind oft begehrt, versprechen sie doch eine ganz besondere Unternehmenskultur und eine vergleichsweise hohe Arbeitsplatzsicherheit. Aber gerade Familienunternehmen stehen auch vor großen Herausforderungen: Ihr jahrzehntelanges Erfolgsmodell ist massiv bedroht – durch Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung. Die bange Frage lautet: Stottert der Motor gerade nur oder kommt er jetzt zum Erliegen?

Einer Studie der Stiftung Familienunternehmen zufolge sind 90 % aller Unternehmen in der Privatwirtschaft in Deutschland in Familienhand. International gesehen ist die herausragende Rolle, die von Familien geführte Unternehmen in der deutschen Wirtschaft spielen, ein Sonderfall. „In Deutschland sind Familienunternehmen tatsächlich das Rückgrat der Wirtschaft und ein wesentlicher Faktor für unsere Krisenresilienz“, sagt Jörn Dieckmann, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Partner bei Mazars.

Familienfirmen prägen den Mittelstand – aber auch globale Konzerne

Entscheidend für die Einordnung als Familienunternehmen ist die Eigentümerstruktur, in der eine oder mehrere Familien eine Entscheidungsmehrheit zur strategischen Unternehmensausrichtung haben. Die meisten Familienunternehmen finden sich in Deutschland im Mittelstand. Daneben stehen aber auch viele kleine Unternehmen wie auch auffallend große internationale Konzerne, beispielsweise die Einzelhandelskonzerne Metro und Aldi. Ein Sonderfall ist der Volkswagen-Konzern. In ihm gibt es neben einer Staatsbeteiligung und institutionellen Investoren auch immer noch eine herausgehobene Rolle der Eigentümerfamilien in der Unternehmensleitung.

„Die Vielfältigkeit unserer Unternehmenslandschaft führt dazu, dass der Personalmarkt nicht so wie in anderen Ländern durch eine relativ kleine Menge großer Aktiengesellschaften im Streubesitz dominiert wird“, sagt Mazars Experte Jörn Dieckmann. „Vielmehr tragen die Anzahl und die Diversität der Unternehmen, die Verschiedenartigkeit der Wertschöpfungsbereiche und der nationalen und internationalen Ausrichtung zur Robustheit unseres Arbeitsmarkts und damit wesentlich zur Stabilität unseres Wohlstands bei.“

Angenehmere Arbeitsatmosphäre und niedrigere Personalfluktuation sind Trümpfe

In der Tat steigen beispielsweise die Mitarbeiterzahlen in Familienunternehmen. Durch die langfristige Unternehmensausrichtung und eine häufig angenehmere Arbeitsatmosphäre weisen familiengeführte Unternehmen eine insgesamt niedrigere Personalfluktuation auf. Entsprechend positiv werden Ausbildungsplätze und freie Stellen von Bewerber*innen bewertet. So hat die TU München in Zusammenarbeit mit der Stiftung Familienunternehmen die Wahrnehmung von familiengeführten Unternehmen bei jungen Akademiker*innen analysiert. Demnach sehen diese  einen besonders großen Vorsprung der Familienunternehmen bei Arbeitsatmosphäre und Teamgeist, eigenverantwortlichem Arbeiten (jeweils 81 %), flachen Hierarchien (75 %) und kooperativem Führungsstil (72 %). Pluspunkte sammeln Familienunternehmen auch bei Corporate Social Responsibility (66 %), Innovationsstärke (64 %) und Work-Life-Balance (61 %).

Als weiteren positiven Aspekt hebt der Mazars Experte die vergleichsweise hohe Widerstandskraft von Familienunternehmen hervor. „Diese Resilienz ist gekennzeichnet durch die unbedingte Verbundenheit der Eigentümerfamilien mit dem Unternehmen. Die innere Einstellung, das Unternehmen für die nächste Generation zu erhalten und weiterzuentwickeln, ist ein beeindruckender Treiber für nachhaltiges Handeln“, sagt Jörn Dieckmann. Im Gegensatz zu den großen kapitalmarktorientierten Unternehmensgruppen geht es in der Unternehmensführung von Familienunternehmen weniger um kurz- bis mittelfristige Erfolge, sondern eher um langfristige Stabilität. Das zeigt sich nicht zuletzt objektiviert in der typischen hohen Eigenkapitalstärke. In einer Langzeituntersuchung hat das Institut für Mittelstandsforschung Bonn (IfM) auf der Basis von Daten der Deutschen Bundesbank für die Jahre 1997 bis 2020 einen Anstieg der Eigenkapitalquote kleiner und mittlerer Unternehmen um rund 28 % nachgewiesen. Und die bereits erwähnte Studie der TU München belegt für Familienunternehmen eine Eigenkapitalrendite von 2,2 % im Vergleich zu 1,8 % bei Nichtfamilienunternehmen.

„Uns hat sich gerade auch in der Pandemie noch einmal sehr deutlich gezeigt, wie gut diese Unternehmen und damit die Gesamtwirtschaft durch diese vielschichtige Krise gelaufen sind. Die Stärke unseres Mittelstands hat maßgeblich zur Stabilität der wirtschaftlichen Entwicklung und des Arbeitsmarktes beigetragen“, sagt Jörn Dieckmann.

Neben die Resilienz stellt der Mazars Partner den Erneuerungswillen der Familienunternehmen: „Viele davon sind 100 Jahre und älter. Um so lange am Markt zu bestehen, muss sich ein Unternehmen immer wieder neu erfinden. Dahinter steht eine enorme Innovationskraft.“

Arbeitnehmer*innen schätzen die besondere Unternehmenskultur in Familienunternehmen. „Der Umgang mit Mitarbeiter*innen im Unternehmen ist anders als in großen Corporates. Es gibt häufig eine Nähe zu und Identifizierung mit den Shareholdern. Man kennt sich eben doch auch besser. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied zu anderen Arbeitsmärkten“, erklärt Jörn Dieckmann.

Besondere Stellung der Familienfirmen ist gefährdet

Aber: Diese wichtige Rolle für den Arbeitsmarkt und die Volkswirtschaft sei gefährdet. Vor allem die Politik müsse sich der besonderen Bedeutung der Familienunternehmen noch bewusster werden. „Es darf nicht zu einem Ausverkauf der Familienunternehmen aufgrund schlechterer Wettbewerbsbedingungen kommen. Die Diskussion um die Energiepreise oder die hohen regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeitstransformation unserer Wirtschaft sind zwei der jüngsten Beispiele“, warnt Dieckmann. „Die starken Belastungen, die hier entstehen, und die unzureichende Berücksichtigung dessen durch die Politik bringen mittelständische Unternehmen zu häufig an die Belastungsgrenzen oder darüber. Die bereits gesehenen Verkäufe an große internationale Wettbewerber oder Private Equity-Investoren sollten uns zum Nachdenken bringen.“

Doch die tatsächlich größten Bedrohungen resultieren aus den Auswirkungen der demografischen Entwicklungen auf den Arbeitsmarkt und aus der Nachfolgefrage. „Wir sehen die Folgen der demografischen Entwicklung sehr deutlich im Fachkräftemangel, der für viele Unternehmen mittlerweile zu einer Gefahr für das eigene Wachstum geworden ist. Das Problem spiegelt zudem die typischen Familienunternehmensstrukturen wider: In der nächsten Generation finden sich schlicht nicht genügend Nachfolger*innen, um in die Fußstapfen der Familienmitglieder zu treten, die ein Unternehmen gerade führen oder beaufsichtigen“, sagt Jörn Dieckmann.

Er erklärt weiter: „Wir müssen in der Wirtschaft und in der Politik die richtigen Antworten auf die entscheidenden wesentlichen Fragen finden: Wie können wir vermeiden, dass unsere mittelstandsgeprägte, vielfältige Unternehmenslandschaft durch Wettbewerbsnachteile im internationalen Vergleich weiter zurückfällt? Und wie können wir das Unternehmertum in Deutschland insgesamt wieder attraktiver machen?“

 

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