Green Claims: Wie lassen sich Umweltleistungen ohne Greenwashing vermitteln?

Schönfärberei mit nicht belegbaren Aussagen zum Umweltschutz soll innerhalb der EU bald der Vergangenheit angehören. Für Legal-Abteilungen und Aufsichtsräte wird die Belastbarkeit der Umweltkommunikation so plötzlich zum zentralen Thema.

„CO2-neutral“, „Eco“, „recyclingfähig“, „aus Ozeanplastik“, „100 % biologisch abbaubar“ – mit diesen und anderen verkaufsfördernden Claims preisen Unternehmen ihre Produkte den Verbraucher*innen an. Und sie treffen ihren Nerv: Obwohl Inflation und Krisen die Kaufbereitschaft bei nachhaltigeren Produktangeboten beeinträchtigt haben, ist das Thema laut GfK-Nachhaltigkeitsindex weiterhin tief in den Werten der Konsument*innen verankert. 65 % von ihnen erwarten nachhaltiges Handeln von den Unternehmen. Um beobachten zu können, wie sich die Einstellung der Deutschen zum Thema Nachhaltigkeit entwickelt, befragt das Marktforschungsinstitut GfK seit Februar 2022 alle drei Monate eine repräsentative Gruppe von rund 1.000 Konsument*innen in Deutschland. 

Neben Handel und Markenherstellern erreicht der Trend breite Wirtschaftskreise. Im Hinblick auf die Anforderungen von Regulatorik, Finanzakteuren, Zivilgesellschaft und Geschäftskunden sind nachhaltige Produkte und Produktionsmethoden auch für die Industrie von großer Bedeutung. In den Bereichen Environment, Social und Governance (ESG) sowie Menschenrechte in den Lieferketten gibt es neue und immer anspruchsvollere Offenlegungs- und Sorgfaltspflichten. Weniger geregelt geht es bisher bei den zahlreichen Umweltsiegeln, Klimaaussagen und Nachhaltigkeitsversprechen zu. Viele Unternehmen können ihre verkaufsfördernden Claims nicht belegen und laufen somit Gefahr, Verbraucher*innen in die Irre zu führen. Auch deshalb hat die EU dem sogenannten Greenwashing den Kampf angesagt.

Der von der Kommission vorgelegte Entwurf zur „Green Claims Directive“ legt nahe: Mit Aussagen wie „klimaneutral“ oder „CO2-neutral“ zu werben, ohne es belastbar nachweisen zu können, könnte zum Problem werden. In Zukunft sollen alle Aussagen über Umweltleistungen von Unternehmen wissenschaftlich belegbar sein. Dass irreführende Aussagen teils drastische Konsequenzen nach sich ziehen können, hat sich in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, unter anderem in der Finanzwirtschaft.

EU-Studie: Rund jeder zweite Claim ist irreführend

„Einer EU-Studie zufolge sind etwa 50 % aller Claims rund um Umweltfreundlichkeit irreführend und ein wesentlicher Anteil davon ist sogar ohne jegliche Substanz“, erklärt Moritz Sckaer, der bei Mazars als Partner im Bereich ESG-Beratung und ‑Reporting arbeitet. „Das ist ein massives Problem für Verbraucher*innen, und folglich steht es auch bei den Verbraucherschützer*innen weit oben auf der Agenda.“

Unternehmen nutzen diese Claims meist gar nicht aus einer bösen Absicht heraus. Leitgedanke sei sehr oft, dass es vielfältige Maßnahmen und Erfolge im Umweltschutz gebe, die Unternehmen selbstverständlich nach innen und außen auch kommunizieren wollen. „Das anschaulichste Beispiel aus meiner Sicht ist das unterschiedliche Verständnis von ‚Klimaneutralität‘. Wenn davon gesprochen wird, ist die Wahrnehmung bei vielen Menschen, dass ein Produkt, das als klimaneutral ausgewiesen ist, quasi keine Emissionen verursacht hat. Das ist technisch aber so gut wie unmöglich. Und dass das meistens nur durch Kompensation und dabei auch nicht immer durch klar belast- und prüfbare Projekte sowie Kalkulationen erreicht werden kann, ist etwas, das sich für Konsument*innen nur schwer nachvollziehen lässt“, sagt Moritz Sckaer.

Unternehmen laufen also Gefahr, in der Kommunikation unbewusst eine Sprache zu nutzen, die irreführend ist, weil sie oft nicht wissen, wie diese komplexen Themen korrekt und zugleich für sie vorteilhaft dargestellt werden können. „Einen ungeschützten Begriff wie Klimaneutralität kann man bisher meist ohne weitere Konsequenzen verwenden. Das ist viel einfacher, als beispielsweise auf einer Verpackung zu erklären: ‚Wir kompensieren 90 % unserer Scope -1- und -2- CO2-Emissionen, die mit diesem Produkt verbunden sind‘, und das zusätzlich noch mit ganz vielen Fußnoten zu versehen“, sagt Moritz Sckaer weiter.

Viele Vorgaben drohen – aber es fehlt eine Positivliste

Genau hier will die EU-Regelung ansetzen. Bis der Entwurf vom EU-Parlament und vom Rat verabschiedet ist und anschließend die nationalen Ratifizierungsverfahren durchlaufen hat, vergeht wahrscheinlich noch eine Weile. Dennoch ist es sinnvoll, bereits heute die Weichen für belegbare Aussagen über komplexe Prozesse im eigenen Geschäft und in den dazugehörigen Lieferketten zu stellen, um keine gravierenden Wettbewerbsnachteile, Imageverluste oder Strafzahlungen für Falschbehauptungen zu riskieren. Vorbild sind die regulatorischen Änderungen nach dem Diesel-Skandal: „Unternehmen sind hier mittlerweile dazu verpflichtet, in der B2C-Kommunikation mit umfassenden Fußnoten zu arbeiten, in denen immer wieder die CO2-Emissionen des Produkts benannt werden. Der Nachweis muss über die Nutzungsphase gemäß standardisierter Verfahren und für jede spezifisch abgebildete Motorisierung klar erkennbar erfolgen. Damit wird die Einordnung und die Vergleichbarkeit für die Kund*innen geschaffen – und vor allem sind die bei der E-Mobilität enorm reduzierten Emissionen in der Nutzungsphase sofort erkennbar“, sagt Mazars Experte Sckaer.

Den Versuch, über regulatorische Maßnahmen hier mehr Klarheit und Sicherheit für Unternehmen und Verbraucher*innen zu schaffen, begrüßt Moritz Sckaer. Aber: „Die Problematik liegt vor allem darin, dass sich die geplante Regelung auf Verbote bestimmter Begrifflichkeiten und Strafen fokussiert. Bisher wird seitens der EU keine Positivliste oder konkrete Orientierungshilfe zu den Möglichkeiten in Aussicht gestellt, wie Unternehmen ihre Bemühungen den Konsument*innen gegenüber rechtskonform und einfach nachvollziehbar kommunizieren können.“ Für Unternehmen wird zwar ziemlich genau definiert, was sie nicht machen dürfen. Was aber in der Kommunikation von Umweltschutzmaßnahmen umgesetzt werden kann, bleibt der Fantasie und dem Versuch der Unternehmen überlassen. „Das könnte sogar zu einer massiven Reduktion der Nachhaltigkeitskommunikation führen, weil Unternehmen Fehler vermeiden wollen. Und dies könnte den Nachhaltigkeitsbestrebungen und einer positiven Marktdynamik für den Umweltschutz erheblich schaden.“

Klar definierte Begriffe und Kompetenzaufbau in Aufsichtsgremien

Einige Branchen sind bereits stark reguliert. Die Nahrungsmittelbranche beispielsweise unterliegt mittlerweile gewissen Vorgaben über die Kennzeichnung von Inhaltsstoffen, Nährwerten und standardisierten Scores. In der Verkehrsbranche ist es ähnlich. Jüngst kam noch die Finanzbranche dazu, die ethische und „grüne“ Investments im Rahmen der „Sustainable Finance Disclosure Regulation“ (SFDR) definiert hat. Deswegen hält der Mazars Experte eine Kennzeichnung mit klar definierten und überprüfbaren Siegeln oder standardisierten Aussagen für eine gute Möglichkeit, an Verbraucher*innen positive Botschaften über Umweltschutzmaßnahmen zu adressieren. Via Fußnoten oder Links zu den wissenschaftlich validierten Kernpunkten und Aussagen könnte man hier auch die vielen kritischen und interessierten Konsument*innen weiter informieren. Dies kann helfen, den Umweltschutzmaßnahmen selbst, die für die Unternehmen auch mit erheblichen Kosten verbunden sind, mehr Glaubwürdigkeit und Rückenwind zu geben.

Für Aufsichtsrät*innen wird es besonders wichtig, das Nachhaltigkeits- und Umweltschutzmarketing, das ein Unternehmen betreibt, über das im Rahmen der geprüften nichtfinanziellen Berichterstattung hinausgehende Maß genau zu betrachten und zu hinterfragen. Greenwashing vollzieht sich vor allem in der Produkt- und Kundenkommunikation. Durch die geplante Regulierung auf EU-Ebene wird ein rechtlicher Rahmen für die Kommunikation umschrieben, dessen Umsetzung und Einhaltung vor allem durch die Legal-Abteilungen, aber auch durch den Aufsichtsrat geprüft werden muss. Abgeleitet aus diesen Vorgaben für die B2C-Kommunikation kann man dann die eigentlichen Nachhaltigkeits- und Umweltmaßnahmen ebenfalls prüfen und beurteilen. Aufsichtsrät*innen müssen hier also eine besondere Struktur aus Kommunikations-, Legal- und Nachhaltigkeitsabteilungen zusammenbringen und Kompetenz für die Bewertung von Umweltschutzbemühungen entlang der Wertschöpfungskette und deren Kommunikation entwickeln.

Als Beispiel für solche Freigabe- und Governance-Strukturen nennt Sckaer die Positionierung deutscher Unternehmen im Umgang mit heiklen geopolitischen Themen. „In vielen Unternehmen werden jegliche Botschaften rund um die Geschäftstätigkeit mit gewissen kritischen Regimen durch eine kommunikative Kontrollinstanz geprüft, die die politischen und wirtschaftlichen Risiken gewisser Aussagen und Darstellungen evaluiert. Eine ähnliche Struktur wird für Umweltbotschaften benötigt. In der Rückkopplung wird es wichtig, nicht nur Risiken abzuwägen und Entscheidungen zu treffen, sondern auch bewusst mit der Legal-Abteilung und mit Umweltwissenschaftler*innen zusammenzuarbeiten und zu entscheiden, welche Begriffe in der Kommunikation in diesem speziellen Fall sinnvoll, zielführend und belastbar sind und welche nicht. Und da sehe ich den Aufsichtsrat in der ganz besonderen Funktion und Verantwortung, für solche Wege zu sensibilisieren und sich dann auch Prozesse und Governance-Strukturen anzuschauen.“

 

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