Arbeitsrechts-Themen gehören auf die Agenda jedes Aufsichtsrats

Details des Arbeitsrechts überlassen Manager*innen und Aufsichtsrät*innen in der Regel speziell ausgebildeten Jurist*innen. Doch sich deswegen gar nicht mit arbeitsrechtlichen Themen zu befassen, wäre fatal, warnt Mazars Expertin Dr. Tatjana Ellerbrock. Die Fachanwältin für Arbeits- und Steuerrecht gehört dem Management Board von Mazars an und erklärt im Interview, welch große Rolle arbeitsrechtliche Themen für Unternehmen heute spielen.

Frau Dr. Ellerbrock, für viele sind Detailfragen aus dem Arbeitsrecht in etwa so furchteinflößend wie der Besuch beim Zahnarzt. Da ist es doch verständlich, dass sich Manager*innen und Aufsichtsrät*innen lieber mit anderen Fragen der Unternehmensführung beschäftigen, oder?

Tatjana Ellerbrock

Das mag menschlich verständlich sein. Aber wenn ich beim Beispiel Zahnarztbesuch bleibe: Wir wissen alle, dass es nichts bringt, wenn man nicht zum Zahnarzt geht und die Zähne nicht regelmäßig kontrollieren lässt. Die Probleme verschwinden dadurch nicht. Sie werden nur größer und schmerzhafter. Und genauso verhält es sich mit dem Arbeitsrecht. Niemand muss das Thema lieben. Aber jede Aufsichtsrätin und jeder Aufsichtsrat sollte sich im eigenen Interesse damit beschäftigen. Arbeitsrechtliche Themen betreffen die Aufgaben des Aufsichtsrats auf vielfältige Weise. Da geht es nicht um operative Details, sondern um die strategische und die Compliance-Ausrichtung des Unternehmens.

Haben Sie ein paar Beispiele parat, um die Dringlichkeit des Themas zu dokumentieren?

Strategische HR-Themen sind von großer Relevanz für die Topebenen eines Unternehmens. Auch der Aufsichtsrat muss sich etwa mit der zentralen Frage beschäftigen, wie die Belegschaft von morgen aussehen wird – angesichts von Fachkräftemangel, Transformation und Siegeszug der künstlichen Intelligenz. Bereits heute ist es so, dass wir in einem Bewerbermarkt agieren. Nicht mehr die Talente bewerben sich bei den Unternehmen, sondern umgekehrt. Immer wichtiger werden auch generelle Vergütungsfragen, allen voran die Lohngerechtigkeit, die Gehältertransparenz und die Tarifvertragsgebundenheit. All diese Fragen dürfen Aufsichtsräte nicht allein in die HR- und Legal-Abteilungen von Unternehmen delegieren.

Deutschland befindet sich wirtschaftlich abermals in Schieflage. In vielen Branchen stehen die Zeichen derzeit eher auf Jobab- als auf Jobaufbau. Welche Rolle spielt das Arbeitsrecht in Krisenzeiten?

Eine immens wichtige. In vielen Branchen machen die Personalkosten längst den größten Kostenfaktor im Unternehmen aus. Bevor sich ein negativer Trend zu einer echten Krise ausweitet, müssen Vorständ*innen und Aufsichtsrät*innen aktiv werden. Das ist ihre Pflicht. Und um dieser Pflicht gerecht zu werden, müssen sie zumindest ein gutes Verständnis und solides Wissen auch zu arbeitsrechtlichen Themen mitbringen.

In den vergangenen Jahren hat das Thema Arbeitsrecht vor allem von regulatorischer Seite massiv an Bedeutung gewonnen. Der Gesetzgeber misst gerade dem Thema Arbeitsgerechtigkeit eine immer größere Bedeutung zu. Ist das in den Aufsichtsräten schon angekommen?

Größtenteils ja. Aber ich kann nur daran appellieren, diese Themen noch ernster zu nehmen. Die Gesetzgeber und Regulatoren in Deutschland und in Europa haben nicht nur das Regelwerk in den vergangenen Jahren weiter verschärft und komplexer gestaltet. Sie schauen auch immer genauer hin und sanktionieren Fehlverhalten. Ein Beispiel für diese Entwicklungen ist etwa das im Juli dieses Jahres eingeführte Hinweisgeberschutzgesetz. Es verpflichtet im ersten Schritt nur größere Unternehmen dazu, Hinweisgeber*innen, die Verstöße etwa gegen Compliance-Regeln melden möchten, zu schützen und im Whistleblowing kein Verpfeifen, sondern einen konstruktiven Beitrag zum Unternehmenswohl zu sehen. Ab Mitte Dezember wird die Beschäftigtengrenze weiter gesenkt – dann greift das Gesetz für jede Firma mit mehr als 50 Mitarbeiter*innen. Auch beim Thema Lohngerechtigkeit schaut der Gesetzgeber immer genauer hin. Frauen und Männer sollen in der Europäischen Union für gleiche und gleichwertige Arbeit künftig den gleichen Lohn erhalten. Das sieht die Entgelttransparenz-Richtlinie der Europäischen Union vor. Zwar haben die Firmen für deren Umsetzung noch bis 2026 Zeit. Doch das Thema ist so groß, so umfassend, so komplex, dass sie gut beraten sind, damit bereits jetzt loszulegen.

Also eine leidige Pflicht, die Unternehmen am besten schnell angehen sollten?

Ich rate da dringend zu einem Perspektivwechsel. Wer etwa im Hinweisgeberschutzgesetz oder der Entgelttransparenz-Richtlinie nur eine weitere bürokratische Last sieht, übersieht die Risiken bei aufgedeckten Verstößen – und verkennt vor allem die Chancen, die in den Themen stecken. Unternehmen, die etwa vorbildlich in Sachen Hinweisgeberschutzsystem vorgehen oder besonders schnell und maximal transparent über die Entgelte und die Lohngerechtigkeit informieren, können im Wettbewerb gerade um junge Talente punkten und ihre Reputation verbessern.

Neue Serie zum Arbeitsrecht: In den kommenden Wochen und Monaten wird Mazars im Board Briefing-Portal ausführlich auf Details des Arbeitsrechts und dessen Bedeutung für Aufsichtsrät*innen eingehen. Den Auftakt macht in dieser Ausgabe ein Beitrag zu den Folgen des Hinweisgeberschutzsystems auch für kleinere Unternehmen ab Dezember 2023.

Zur Person

Dr. Tatjana Ellerbrock ist seit 1998 Partnerin bei Mazars. Seit 2003 ist sie Fachanwältin für Steuerrecht, seit 2004 auch Fachanwältin für Arbeitsrecht. Dem Management Board von Mazars Deutschland gehört sie seit 2017 an. Tatjana Ellerbrock vertritt und berät Arbeitgeber und Führungskräfte in allen arbeitsrechtlichen Angelegenheiten. Zu ihren Mandanten gehören mittelständische Unternehmen, Gesellschaften und Einrichtungen der öffentlichen Hand und NPOs aus unterschiedlichen Branchen und Bereichen der Daseinsvorsorge.

 

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