Die Wesentlichkeitsanalyse aus Consulting- und Audit-Sicht: Das sagen die Expertinnen

Eine Wesentlichkeitsanalyse ist für Unternehmen der erste Schritt zu einer CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive)-konformen ESG-Berichterstattung. Durch sie können die wesentlichen nachhaltigkeitsbezogenen Auswirkungen, Risiken und Chancen (Impacts, Risks and Opportunities, kurz IRO) eines Unternehmens identifiziert und bewertet werden.

Für uns bei Mazars in Deutschland ist das Thema Wesentlichkeitsanalyse sowohl für die Arbeit unserer Berater*innen als auch unserer Prüfer*innen relevant. Im Bereich Consulting unterstützen wir Firmen dabei, ihre Wesentlichkeitsanalyse durchzuführen und einen CSRD-konformen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen. Im Bereich Audit prüfen wir wiederum Nachhaltigkeitsberichte und schauen im Zuge dessen auf die zugrundeliegende Wesentlichkeitsanalyse der Unternehmen.

Um beide Blickwinkel einmal zusammenzubringen, haben wir unsere Expertinnen Dr. Katrin Meyer, ESG-Beraterin, und Yvonne Meyer, Wirtschaftsprüferin, beide Partnerinnen bei Mazars in Deutschland, zu drei Aspekten der Wesentlichkeitsanalyse befragt: 1. Wichtigste Schritte für eine CSRD-konforme Wesentlichkeitsanalyse, 2. Größte Herausforderung bei der Umsetzung und 3. Häufiger Kritikpunkt aus der Praxis. Sie beleuchten diese aus ihrer Beratungs- und Prüfungsperspektive.

1. Wichtigste Schritte für eine CSRD-konforme Wesentlichkeitsanalyse

Die CSRD basiert auf dem Prinzip der „Double Materiality“ (dt. doppelte Wesentlichkeit) im Nachhaltigkeitsbericht. Das bedeutet: Unternehmen müssen auf der einen Seite die finanzielle Wesentlichkeit (Financial Materiality; Risk and Opportunities) analysieren, also wie sich Nachhaltigkeitsthemen auf das Geschäftsmodell des Unternehmens auswirken. Auf der anderen Seite müssen Sie ihre sozialen und ökologischen Auswirkungen (Impact Materiality) miteinbeziehen, d. h. den Einfluss, den das Geschäftsmodell entlang der gesamten Wertschöpfungskette auf Mensch und Umwelt hat. Nur bei der Betrachtung beider Perspektiven lassen sich alle Auswirkungen, Risiken und Chancen identifizieren.

 

                                                                                                                                                                     

Das sagt die Beraterin:

Um alle für das Unternehmen wesentlichen IROs ermitteln zu können, führen wir zunächst eine Bestandsanalyse durch. Hierfür erstellen wir eine unternehmensspezifische Themenliste gemäß den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) und ein vertieftes Wertschöpfungskettenprofil mit Fokus z. B. auf Herstellungsländer, risikobehaftete Rohstoffe sowie die Hauptabsatzmärkte des Unternehmens. Zudem identifizieren wir die passenden internen und externen Stakeholder sowie Fachbereichs-Expert*innen und führen mit ihnen Interviews. Hierbei ist es vor allem wichtig, auf Qualität statt Quantität zu setzen – also die wirklich relevanten Stakeholder zu ermitteln und sie einzubinden.

Für die Impact Materiality identifizieren wir die nachhaltigkeitsbezogenen Auswirkungen anhand von Schwellenwerten und priorisieren sie nach Schweregrad und Eintrittswahrscheinlichkeit. Für die Financial Materiality ermitteln, bewerten und priorisieren wir mithilfe von Risikomanagementsystemen die finanziellen Risiken und Chancen des Unternehmens.

Im letzten Schritt steht die Validierung und Konsolidierung der Ergebnisse an. Wir bereiten diese visuell auf und erstellen eine Prozessdokumentation für die externe Prüfung sowie weitere Berichtsprozesse.

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Das sagt die Prüferin:

In unserem Prüfungsprozess betrachten wir zunächst, ob der Prozess der Wesentlichkeitsanalyse den Anforderungen der ESRS bzw. der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) entspricht. Ein zentraler Punkt dabei ist die Frage, ob alle relevanten Stakeholder eingebunden wurden – entlang der gesamten Wertschöpfungskette des Unternehmens.

Zu einem angemessenen Prozess gehört auch eine Vollständigkeitsüberprüfung der Bestandsanalyse durch das Unternehmen. Außerdem prüfen wir die von den Verantwortlichen definierten Schwellenwerte zur Priorisierung der identifizierten nachhaltigkeitsbezogenen IROs. Wichtig ist hierbei für uns u. a. eine nachvollziehbare Dokumentation der wichtigsten Entscheidungen. Eine spezifische Dokumentation ist zwar nicht vorgeschrieben, aber sie ist sowohl für interne Zwecke als auch für die Prüfung als Nachweis unerlässlich.

2. Größte Herausforderungen bei der Umsetzung

Die Anforderungen der CSRD bzw. der ESRS sind äußerst komplex. Diese verpflichten Unternehmen u. a. dazu, sogenannte geeignete Schwellenwerte für die Wesentlichkeit ihrer IROs zu definieren. Sowohl CSRD als auch ESRS jedoch enthalten keine genaue Definition hierzu – Firmen bzw. deren Berater*innen müssen also diese Schwellenwerte selbst unternehmensspezifisch ermitteln und festlegen. Hinzu kommen weitere Herausforderungen, wie der Aufbau internen Fachwissens und die genaue Prozessdokumentation. 

                                                                                               

Das sagt die Beraterin:

Eine der größten Herausforderungen ist es wahrscheinlich, die unternehmensinternen Kapazitäten und das ESG-Fachwissen aufzubauen. Firmen müssen ihre internen Stakeholder definieren, diese einbeziehen und auf die neuen Anforderungen der CSRD bzw. ESRS vorbereiten. Das erleichtert es später u. a., die IROs zu definieren und zu bewerten, ist allerdings mit einigem finanziellen sowie personellen Aufwand verbunden.

Die ESG-Verantwortlichen im Unternehmen zu schulen, ist auch vor dem Hintergrund wichtig, dass der Gesetzgeber die Verantwortung, nachhaltigkeitsbezogene IROs zu steuern, bei den Firmen selbst sieht. Das bedeutet, Unternehmen können das Thema Nachhaltigkeit künftig nicht mehr auslagern, sondern müssen selbst in der Lage sein, ihre Wesentlichkeitsanalysen durchzuführen.                                        

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Das sagt die Prüferin:

Eine Wesentlichkeitsanalyse zu erstellen, ist bereits sehr komplex. Für Unternehmen kommt herausfordernd hinzu: Sie müssen diesen gesamten Prozess genau dokumentieren, in ihrem Reporting beschreiben und korrekt darstellen. Einfach ausgedrückt: Während sie den Weg gehen, müssen die Firmen gleichzeitig eine Karte dieses Weges zeichnen. Es geht schließlich neben der Offenlegung von Informationen auch darum, deren Glaubwürdigkeit sicherzustellen.

Damit wir als Prüfer*innen nachvollziehen können, wovon ausgehend überhaupt Themen oder IROs identifiziert wurden, müssen Unternehmen u. a. folgendes korrekt veröffentlichen:

- Wie sind sie vorgegangen, um alle Elemente in der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette zu identifizieren?
- In welchem Detailgrad haben sie Daten und Informationen gesammelt, um Themen für die ESRS bzw. die IRO zu ermitteln?
- Wie wurde(n) bei der Identifizierung wesentlicher Themen die Wertschöpfungskette(n) der gesamten Unternehmensgruppe miteinbezogen?    

3. Häufiger Kritikpunkt aus der Praxis

Besonders seitens NGOs, aber auch durch andere Interessensgruppen, wird häufig kritisiert, dass nun Unternehmen „Geld ausgeben, um Nachhaltigkeitsberichte zu erstellen“ anstatt sich „wirklich“ für Klimaschutz und andere ESG-Ziele zu engagieren. Grund der Kritik: Die Berichterstattung benötigt personelle Ressourcen, Strukturen und teilweise IT-Systeme sowie meist externe Berater*innen. Zeit und Finanzen, die an anderen Stellen dann eventuell fehlen.

                                                                            

Das sagt die Beraterin:

Sicher, die Wesentlichkeitsanalyse ist aufwendig. Aber sie ist auch eine Chance für Unternehmen, denn sie zeigt die wichtigen Handlungsfelder für die eigene ESG-Transformation auf. Firmen sollten ein CSRD-konformes Reporting also nicht als reine Pflichtübung betrachten, sondern die Gelegenheit nutzen, um ihre ESG-Risiken zu minimieren und ihr eigenes Geschäftsmodell zukunftssicher aufzustellen.

Über die Wesentlichkeitsanalyse sorgen Unternehmen auch für mehr Transparenz gegenüber Investoren und Stakeholdern. Zudem hilft sie, mit den Stakeholdern in den Dialog zu treten und deren Ansprüche und Bedürfnisse klarer herauszuarbeiten.

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Das sagt die Prüferin:

Richtig ist, dass die Pflichterfüllung der Berichterstattung nichts an der Geschäftspolitik von Unternehmen ändern wird. Denn dies resultiert aus dem weiteren Erkenntnisgewinn seitens Unternehmensverantwortlichen und den Marktdruck von Kund*innen, Arbeitnehmer*innen, Investor*innen, Kreditgeber*innen sowie weiterer Geschäftspartner*innen. Das Reporting, das auf der Wesentlichkeitsanalyse basiert, ist daher kein Selbstzweck. 

Es dient einem gesellschaftlichen Interesse. Die Adressat*innen haben einen Bedarf an einer transparenten und verlässlichen Darstellung der möglichen finanzielle Risiken und Chancen für das Unternehmen sowie der Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf Mensch und Umwelt. Die Transparenz trägt zur Stärkung der Finanzmarktstabilität sowie zum Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Deutschland und Europa bei.

Die Bedeutung der Wesentlichkeitsanalyse: Fazit der Expertinnen

Eine Wesentlichkeitsanalyse durchzuführen, stellt für viele Unternehmen eine Herausforderung dar – und das auf mehreren Ebenen. Wie viel Aufwand die Analyse für die Firmen bedeutet, ist jedoch vor allem abhängig von deren eigener Struktur und ihrer Wertschöpfungskette.

Als Unternehmen die eigenen nachhaltigkeitsbezogenen IROs zu identifizieren und zu beurteilen, bietet aber auch die Gelegenheit, die ESG-Strategie zu optimieren sowie mögliche Gefahren für das Geschäftsmodell abzumildern. Mit der Analyse schaffen Firmen erst die Grundlage, um die wichtigsten Handlungsfelder zu erkennen und klare Ziele zu formulieren. Eine Folgewirkung ist, dass viele Unternehmen neue Prozesse und IT-Systeme einführen bzw. bestehende anpassen, um weitere Daten für Berichtszwecke erheben zu können. Selbst Unternehmen, die sich bereits seit vielen Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen, können durch das „Double Materiality“-Prinzip der ESRS und den geforderten Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette neue, wichtige Erkenntnisse gewinnen.

Ein Tipp unserer Expertinnen zum Schluss: Wir empfehlen Berichtsverantwortlichen bzw. Berater*innen eine frühzeitige Abstimmung mit ihren Prüfer*innen. So können sie unliebsame Überraschungen im Berichtsjahr vermeiden.