Versagung des Vorsteuerabzugs bei Betrug ist nicht auf den Steuerschaden begrenzt – EuGH-Entscheidung vom 24. November 2022

Wer wusste oder hätte wissen müssen, dass sein Umsatz (Einkauf) Teil einer Steuerhinterziehung ist, dem wird der Vorsteuerabzug versagt. Dies gilt laut EuGH (C-596/21) auch, soweit der Vorsteuerbetrag den hinterzogenen Steuerbetrag überschreitet. Da im Normalfall der Preis entlang der Leistungskette steigt, dürfte eine solche Konstellation zwar eher selten sein, der entschiedene Fall verdeutlicht aber die ausgesprochen strenge Haltung des EuGH in dieser Frage.

Sachverhalt und Vorlagefragen

Unternehmer C wollte dem Kläger A einen Gebrauchtwagen für 64.705,88 € zzgl. 12.294,12 € Umsatzsteuer verkaufen, dabei aber nicht den vollen Umsatzsteuerbetrag an das Finanzamt abführen. Daher wollte er den Anschein erwecken, er habe den Wagen für nur 52.10,84 € zzgl. 9.899,16 € Umsatzsteuer an einen Zwischenhändler (W) verkauft, der ihn schließlich zum Preis von 64.705,88 € zzgl. 12.294,12 € Umsatzsteuer an A verkauft habe. C gab sich gegenüber A für W aus. W war mit dieser Vorgehensweise einverstanden.

C stellte W eine Rechnung über 52.10,84 € zzgl. 9.899,16 € Umsatzsteuer aus, W wiederum berechnete A 64.705,88 € zzgl. 12.294,12 € Umsatzsteuer. A bezahlte den Rechnungsbetrag an C; W erhielt keine Zahlung und leistete auch keine. C führte 9.899,16 € an das Finanzamt ab, W hingegen meldete seinen Umsatz nicht.

Diese Gestaltung wertete das Finanzgericht Nürnberg, das den Fall dem EuGH vorgelegt hat, als atypische Verkaufskommission, sodass eine Lieferung von C an W und eine weitere Lieferung von W an A vorliege. Die Gestaltung habe aber für C nur den Zweck gehabt, die Steuer auf seinen Verkauf zu verkürzen, während W seine steuerlichen Pflichten überhaupt nicht erfüllen wollte. Dies hätte A wissen müssen. Hierdurch ist dem Fiskus ein Steuerschaden von 2.394,96 € (12.294,12 € – 9.899,16 €) entstanden.

Das Finanzgericht fragte zum einen, ob A der Vorsteuerabzug versagt werden könne, obwohl auch der erste Erwerber in der Kette (W) bereits wusste, dass C bei der Veräußerung des Wagens Umsatzsteuer hinterzog. Sollte dies bejaht werden, wollte das Finanzgericht wissen, ob der Vorsteuerabzug nur in Höhe des eingetretenen Steuerschadens (2.394,96 €) oder in voller Höhe (9.899,16 €) zu versagen sei.

Entscheidung

Dass auch W bereits Kenntnis von der Steuerhinterziehung von C hatte, ist für den EuGH ohne Belang. Entscheidend sei allein, dass der Erwerb von A die Steuerhinterziehung von C begünstigte, indem er den Absatz der Ware ermöglichte.

Die Versagung des Vorsteuerabzugs ist nach Ansicht des EuGH betragsmäßig nicht auf den eingetretenen Steuerschaden begrenzt. Ziel der Versagung des Vorsteuerabzugs sei es, die Steuerpflichtigen dazu anzuhalten, die Sorgfalt walten zu lassen, die vernünftigerweise bei jedem wirtschaftlichen Vorgang verlangt werden kann, um sicherzustellen, dass die von ihnen bewirkten Umsätze nicht zu ihrer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führen. Dieses Ziel könne bei einer Beschränkung der Versagung des Vorsteuerabzugs nicht wirksam erreicht werden.

Praktische Einordnung

Bei Betrug und Missbrauch kennt das Umsatzsteuerrecht keine Gnade. Seit 1. Januar 2020 ist mit § 25f UStG auch gesetzlich geregelt, dass der Vorsteuerabzug und auch bestimmte Steuerbefreiungen versagt werden, wenn der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit der von ihm erbrachten Leistung oder seinem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, bei dem der Leistende oder ein anderer Beteiligter auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe in eine Steuerhinterziehung einbezogen war. Die große Frage ist dabei: Was hätte man wissen müssen? Hierzu hat sich das BMF mit Schreiben vom 15. Juni 2020 positioniert und dabei hohe und zum Teil auch fragwürdige Anforderungen an die Unternehmer gestellt – wir berichteten hier.

Das vorliegende Urteil verfolgt die strenge Linie weiter und stellt klar, dass der Vorsteuerabzug in einer Leistungskette auch bei mehreren Beteiligten versagt werden kann. Den Vorsteuerabzug auch insoweit zu versagen, als er den entstandenen Steuerschaden übersteigt, könnte aber über das Ziel hinausschießen, denn immerhin führt dies beim Fiskus zu Steuereinnahmen, die er bei einem regulären Ablauf der Geschäftsbeziehungen nicht erzielt hätte. Unternehmer sind aber dennoch gut beraten, sorgfältig auf Auffälligkeiten zu achten und ggf. auch entsprechende Kontrollen in das Tax-Compliance-Management-System zu integrieren.

16. Dezember 2022